Allianz-Hauptquartier
Die „Europäische Stadt“ in der Agglo
Text: Gabler, Christiane, Basel
Eine Brache in Wallisellen, eingeklemmt zwischen Autobahn und Gleistrassen – Masterplaner Lampugnani will hier ein Stück steinerne Stadt wachsen lassen, der Hauptmieter will ein Glashochhaus beziehen. Wiel Arets weiß sich aus der Affäre zu ziehen
Wallisellen im Norden Zürichs ist von der Bevölkerungszahl her eine Stadt, doch das Verständnis des Ortes ist lange das eines Dorfs geblieben. Das Gleisfeld der S-Bahn bildet eine Grenze zwischen dem historischen Ortskern und den Industriequartieren an der Autobahn. Hervorragend angebunden, ist der Ort längst Teil des Zürcher Stadtkörpers. Dazu bekannte sich die Gemeinde auch mit der Zustimmung zu einem Bauvorhaben, mit dem der Ort ebenso wie der Investor Allreal – ein Schweizer Generalunternehmer, der gleichzeitig auch Grundeigentümer ist – Neuland betreten haben. Denn die mit einer Investitionssumme von rund 700 Millionen Franken derzeit größte private Baustelle der Schweiz verwandelt nach sieben Jahren Planung das zwanzig Jahre brachliegende „Richti-Areal“ direkt hinter dem Bahnhof in eine urbane Insel. Auf diesem „Versuchsfeld“ für großstädtisches Bauen entsteht ein Quartier mit dem Vokabular der „europäischen Stadt“ wie aus dem Katalog: polygonale Blockbebauungen, durchgängige Traufkanten und Attikageschosse zum zersiedelten Umfeld. Eine wohlproportionierte Hauptachse führt mit eleganten Arkaden auf einen spitzwinkligen Platz, grüne Innenhöfe bieten Rückzugsorte. Dominiert wird das rund zwanzig Fußballfelder große Quartier von einem 68 Meter hohen Hochhaus.
Die Rückbesinnung auf traditionelle Stadtbilder hatte sich bereits im Berlin der neunziger Jahre etabliert. Im Schweizer Kontext aber ist das von Vittorio Magnago Lampugnani entwickelte Konzept für das Richti-Areal ein Novum. Das ungebrochene Verhältnis hiesiger Stadtplaner zu den Rezepten der Moderne führt bis heute dazu, dass rigorose Nutzungsentflechtungen und beziehungslose Baustrukturen vor allem das Schweizer Mittelland in einen strukturlosen Siedlungsbrei verwandeln. Zaghaft werden Stimmen laut, die ein Umdenken fordern: weg vom Flächenverbrauch, weg von der Vernichtung von Kulturlandschaft, weg vom immer weiter steigenden Verkehrsaufkommen und hin zu höher verdichteten Strukturen – vor allem in der Nähe der Zentren.
Für die Brache in Wallisellen gab es im Lauf von zwei Jahrzehnten verschiedenste Vorentwürfe, die die Bevölkerung aber jeweils ablehnte. Seit 2007 befindet sich das Grundstück im Besitz der Allreal, die in Zusammenarbeit mit der Gemeinde einen Gestaltungsplan erarbeiten ließ, der neben Industrie und Gewerbe auch Wohnen ermöglichen sollte. Vier Architekturbüros waren an der Planung beteiligt, darunter auch das Büro des niederländischen Architekten Wiel Arets. Das Projekt von Lampugnani wurde favorisiert und zur Grundlage für den Gestaltungsplan. Um die Wirkung eines homogenen Ensembles zu erzielen, beinhaltet dieser Plan neben den Bebauungsformen auch Vorgaben zur Materialität der Fassaden und zu ihrem Öffnungsanteil. Die architektonische Qualität für sämtliche Baufelder sollen die prominenten Büros gewährleisten, die für die Realisierung beauftragt worden sind: Neben Arets sind dies Lampugnani, Max Dudler, Diener + Diener und SAM. Arets wurde der repräsentativste Komplex aus Hochhaus und angrenzendem Block zugesprochen. Mit Hilfe der ersten Entwürfe gelang es, den Versicherungskonzern Allianz als Hauptmieter für beide Gebäude zu gewinnen. Dadurch wurde es wirtschaftlich möglich, das gesamte Quartier innerhalb von rund vier Jahren zu errichten.
Das steinerne Glashaus
Wiel Arets’ erstes Projekt in der Schweiz hatte sich mit zwei konträren Vorgaben auseinanderzusetzen. Verlangte der Gestaltungsplan eine steinerne Lochfassade, definiert die Corporate Identity der Allianz weltweit eine Glasfassade als Standard für ihre Gebäude. Die somit erforderliche Überlagerung eines „konservativen“ städtebaulichen Ansatzes mit den Erwartungen eines „modernen“ technischen Ausdrucks überführte Arets in eine einzigartige Lösung: Jeweils zwei Elemente einer Glasfassade aus größtmöglichen Elementen wer-den mit Hilfe eines breiten, aufgedruckten „Rahmens“ zum Bild einer Lochfassade zusammengefasst. Dieser Siebdruckrahmen ist asymmetrisch aufgetragen und wechselt von Geschoss zu Geschoss. Die vergleichsweise kostengünstige Technik verwendete das niederländische Büro bereits mehrfach. Das Motiv für das Allianz-Hauptquartier lieferte die berühmte Onyx-Wand aus Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon. Ne-ben einer Hommage an den Meister der Moderne spielt Arets damit auf den Wert des Materials an – Onyx ist einer der teuersten Natursteine der Welt. Der Druck setzt sich aus je einer schwarzen und einer weißen Schicht zusammen, die in jeweils verschiedenen Ebenen im Inneren der Verglasung aufgetragen wurden. Von der Seite betrachtet, wirkt die Reflexion des Glases somit über den Druck hinweg, frontal hingegen wirkt der Druck scharf, ja plastisch. So erfüllt das Gebäude die Vorgaben, mit einem gewissen Augenzwinkern, während es gleichzeitig eine eigene Ausstrahlung entwickelt.
Die Fassade wurde auf das Spiel der Fugen und den Siebdruck reduziert, Auskragungen und Einschnitte gehorchen der Geometrie der durchgehenden Fuge, was die Abstraktion der Erscheinung noch erhöht. Jedes Element stellt ein „closed-cavity“-System dar. Zwischen der Prallscheibe und der inneren, thermisch wirksamen Verglasung entsteht ein 22 Millimeter großer, belüfteter Zwischenraum, in dem der Sonnenschutz angeordnet ist. Der hierfür verwendete aluminiumbedampfte Stoff wurde in einer solchen Fassade erstmals verwendet und monatelang auf dem Werksgelände der ausführenden Firma getestet. Das Material gewährt auch in geschlossenem Zustand Ausblick und sorgt für wohnliches Raumklima. Als dynamische zweite Fassadenebene nimmt er der Glasfassade die Härte und trägt so zum eleganten Erscheinungsbild des Ganzen maßgeblich bei – ein medial bestens verwertbares Image. Doch das Gebäude ist nicht nur Aushängeschild, seine räumliche Gliederung unterstützt auch zeitgemäßes Arbeiten.
Neues Arbeiten anregen
22 Standorte der Allianz wurden hier zusammengefasst. Wiel Arets entwickelt das Gebäude als eine Art Landschaft aus Arbeitsinseln, die sowohl horizontal, innerhalb der Großraumbüros, als auch vertikal, durch eine Vielzahl von offenen Treppen und Lufträumen, miteinander verknüpft sind. Für die Mitarbeiter, die Einzelbüros gewöhnt waren, eine Umstellung. Das Raumkonzept soll projekt- und abteilungsübergreifendes Arbeiten erleichtern. Die Mitarbeiter können sich im gesamten Haus bewegen, ohne einen Lift, eine Schleuse oder eine Fluchttreppe betreten zu müssen. Jeder hat seinen persönlichen Arbeitsplatz, ist aber dank Laptop auch mobil und kann so eine der abteilungsübergreifenden Räumlichkeiten zu nutzen.
Ein dominierendes Element im Inneren ist die mit einem dreidimensionalen Muster geprägte Metalldecke, deren Ornamentik Arets der Detaillierung von Traufgesimsen Schweizer Chalets entlehnte. Die darin geführte Lüftung aktiviert die Betondecke thermisch. Die erwärmte Luft dringt über die Mikroperforierung der Paneele in den Raum, die Abluft wird über seitliche Fugen an den Fassaden abgeführt. Ein rückseitig aufgeklebtes Akustikflies dient der Absorbtion von Schall. Somit sind nur wenige technische Einbauten in der Abhangdecke sichtbar, was deren nahezu wohnliche Anmutung verstärkt.
Lobby und Espressobar im Erdgeschoss sind vom vorgelagerten Platz aus öffentlich zugänglich. Eine luftige Treppe hängt frei im Foyer. Ihre Steinstufen mit unterschiedlichen Laufbreiten bilden eine Promenade durch das Sockelgebäude, die bis ins fünfte Obergeschoss führt. Hier befinden sich Restaurant, Café und Business Center mit Meeting- und Projekträumen. Die beiden Baukörper werden durch vier Brücken auf unterschiedlichen Höhen verbunden, deren großzügige Breite sie zu Treffpunkten werden lässt. Die ins Attikageschoss eingeschnittenen Lichthöfe und das öffentliche Blockinnere werden von roten Japanischen Ahornen geprägt.
Noch in diesem Jahr werden die Bauarbeiten auf dem Richti-Areal beendet sein. Der Nutzungsmix in den fertigen Gebäuden erfreut sich reger Nachfrage. 1200 Menschen werden hier wohnen, viele Eigentumswohnungen sind bereits verkauft. Mit den Hauptquartieren der Allianz und der UPC Cablecom entstehen rund 3000 Arbeitsplätze. Ob der Griff in die Schatzkiste des traditionellen Stadtvokabulars aufgeht und die getrennten Welten beidseits der Gleise zueinander finden, wird die Zeit zeigen.
Fakten
Architekten
Wiel Arets Architects, Amsterdam/Maastricht/Zürich
Adresse
Richtiplatz 1, 8034 Wallisellen, Switzerland
aus
Bauwelt 20.2014
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