Bauwelt

Architekturmuseum der Stiftung Insel Hombroich


Die Architektur als Implantat


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Thomas Riehle

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Im Norden der Raketenstation errichtete der ehemalige Mitarbeiter von Siza, Rudolf Finsterwalder, das Architekturmuseum in einem stimmigen materiellen Dreiklang aus Abbruchklinkern, Eichenbalken und Dielenboden.
Als Karl-Heinrich Müller, der im letzten Jahr verstorbene Mäzen der „Museum Insel Hombroich“, 1996 die Raketenstation zwischen Holzheim und Kapellen als neuen Ort für die von ihm gepflegte Symbiose von Landschaft, Kunst und Architektur präsentierte und die Liste der dafür gewonnenen Architekten verlas, stellte sich der militärisch karge Hügel noch als ein recht unwirtlicher, wenngleich besonderer Ort dar. Vier Jahre später, als die ersten neuen Architekturen von Er­win Heerich zu besichtigen waren (Heft 04.2001), hatte sich daran noch nicht viel geändert. Inzwischen aber ist die raue Atmosphäre durch intensiven Bewuchs und auch durch Überformungen der militärischen Topographie einer kontemplativen Lieblichkeit gewichen, die die Andersartigkeit dieses Ortes gegenüber der Auenlandschaft der „Museum Insel“ weichzeichnet. Der so monströse wie prätentiöse Neubau von Tadao Ando für die Langen Foundation (Heft 35.2004) hat dem Ensemble zudem eine beklemmend kunstgewerbliche Note zugefügt, die nach dem Tod von Heerich im November 2004 Zweifel schürte am Sinn und am künstlerischen Rang der geplanten weiteren Bebauung der Raketenbasis und der sie umgebenden Felder durch greise Architektenstars. 
Der Neubau von Álvaro Siza und Rudolf Finsterwalder, der jetzt im Norden der Raketenstation fertiggestellt worden ist und der als Architekturmuseum der Stiftung dienen wird, knüpft zum Glück wieder an die Dimension und Materialität der Heerich-Bauten an – und übertrifft diese noch in der Qualität seiner Materialisierung und Detaillierung. Seine Geschichte reicht zurück bis ins Jahr 1995, als Siza von Müller gebeten wurde, sich an seinen Plänen für die Raketenstation zu beteiligen. Sizas damaliger Mitarbeiter Finsterwalder überzeugte den Architekten, zuzusagen, und brachte dann den Entwurf für das Siza zugewiesene Institut für Biophysik mit zwei Gästewohnungen innerhalb weniger Wochen zur Bauantragsreife. Danach passierte jahrelang nichts mehr, das Institut baute schließlich Heerich.
Der Wechsel des für den Siza-Bau gedachten Bauplatzes und die neue Bestimmung als Architekturmuseum (im „Ausleger“ wird statt Gästewohnungen das Fotoarchiv von Volker Kahmen und Ursula Schulz-Dornburg eingerichtet), aber auch der drohende Verfall von Fördergeldern brachten schließlich neuen Schwung in die Sache. Siza verbrachte ein paar Tage auf der Station, um sich in das Wesen des neuen Orts zu versenken, überarbeitete den Entwurf im Sinne der von ihm ange­strebten „implantação“, und Rudolf Finsterwalder, der heute, nach einigen Jahren in Berlin, mit seiner Frau Maria ein Büro im bayerischen Stephanskirchen betreibt, kümmerte sich, in Abstimmung mit Siza, um die Ausführungsplanung.
Die größte Veränderung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf ist die Drehung der Gebäudefigur. Ihr Eingang liegt nun auf der Südseite, der Raketenstation zugewandt, ihr Hof öffnet sich nach Norden. Der Besucher erblickt, nachdem er den Ando-Bau passiert hat, zunächst nur die Trauflinie des verklinkerten Gebäudes, verliert es dann hinter einem Hügel der Raketenstation aus den Augen, um erst durch einen Einschnitt in diesen Hügel der geschlossenen Backsteinwand wieder gewahr zu werden. Biegt man vom Hauptweg ab, wird der Eingang sichtbar, eine Tisch-ähnliche Kleinarchitektur aus por­tugiesischem Kalkstein, wie sie dem Kenner von Sizas Gesamtwerk in ähnlicher Form schon begegnet ist. Vom Hauptweg abzuzweigen, lohnt übrigens auch deshalb, weil in der Ferne das „Haus der Musiker“ von Raimund Abraham dräut, das schon jetzt, wo es verlassen im Rohbau dasteht, einen äußerst zweifelhaften Eindruck macht.
Die Außenhaut des Siza-Baus besteht aus Abbruchklinkern aus den Niederlanden. Diese hinterlüftete Schale ist allerdings nicht nur eine dünne Vormauer, sondern eine „richtige“ Wand, bei der die Köpfe echte Binder sind und nicht nur ein Bild von Wand ergeben. Ihr Farbton ist dunkler, „miesischer“, als jener der von Heerich verwendeten Abbruchziegel; der Kalkstein, der außer für den Eingang auch für Fensterbänke und Mauerabdeckungen verwendet wurde, erinnert an die Betonteile der Heerich-Bauten, wirkt aber eleganter.
Das außen eingeführte Motiv der verzögerten Ansicht setzt sich im Inneren in der Dramaturgie der Ausblicke fort. Aus dem eher dämmerigen Eingangsraum fällt der Blick nach Norden durch die drei Ausstellungsräume, die jeweils einem der für die Stiftung Hombroich tätig gewesenen Architekten gewidmet sein werden, und durch eine Glastür auf die Mauerscheibe, die das Fotoarchiv anbindet. Wendet sich der Besucher nach rechts, vorbei an dem Büro des Museumsdirektors (auf diesem Posten wurde Winfried Wang installiert), gelangt er in einen breiten Flur, an dessen Ende ein Fenster wiederum keinen Ausblick in die Landschaft bietet, sondern das Laubwerk eines Baumes rahmt. Erst in der Mitte des Flures steht der Besucher in der zentralen Sichtachse, die Innen und Außen und die eine und die andere Seite des Gebäudes miteinander verbindet. 
In dieser Blickachse kommt eine Besonderheit des Gebäudes besonders gut zur Geltung: die durchlaufende Decke aus massiven Eichenholzbalken. Eichenholz kam auch für den Dielenboden, die Fenster und die Türen zum Einsatz – man beachte die kostbar wirkenden Türblätter, für die Finsterwalder in der Schweiz ein kaum erhältliches Eichenschälfurnier aufspürte, mit den eingefrästen Piktogrammen, von Siza für sein eigenes Büro in Porto entworfen. Der außen verwendete Kalkstein taucht im Inneren bei den Fensterbänken und in den Sanitärräumen wieder auf, so dass sich insgesamt ein stimmiger Dreiklang der Materialien ergibt. Durch die planerische Präzision ihrer Fügung und durch die Kraft der Dimensionierung der einzelnen Elemente wirkt das Architekturmuseum gegenüber der in den Heerich-Bauten vorherrschenden Stimmung mönchischer Kargheit geradezu gediegen; es weist aus dem Reich der künstlerischen Abstraktion in die Gefilde einer mit architektonischen Mitteln erzeugten Atmosphäre.
Einen großen Anteil daran hat auch das Licht im Gebäude. Statt des in Museen oft üblichen Entweder-Oder aus gleißender Helligkeit und geheimnisvollem Dunkel wird das Architekturmuseum von Dämmerlicht geprägt und vom Verzicht auf starke Kontraste. Die Kontinuität der Räume und das die Exponate Verbindende wird dadurch deutlich – womit die Architekten ihren Ansatz, an die Geschichte und die Qualititäten des Ortes anzuknüpfen, bis in die Wahrnehmung des Besuchers hinein bedacht haben.
Das meiste Licht sammelt sich dank der großen Fenster in der zentralen Blickachse. Hier steht der Besucher im Saal für die Wechselausstellungen. Im September soll das Projekt „RaumOrtLabor“ gezeigt werden, dass sich dem weiteren (und zunehmend hypertroph wirkenden) Ausbau der Raketenstation und ihrer Umgebung widmet. Die erste „richtige“ Ausstellung wird dann im Frühjahr nächsten Jahres Álvaro Siza gelten; mit ihr wird das Architekturmuseum offiziell eröffnet.Der sich an den Wechselausstellungssaal anschließende Ostflügel bleibt indes dem Nachlass von Erwin Heerich vorbehalten. Im Werk von Siza und Finsterwalder ist er würdig aufbewahrt.



Fakten
Architekten Siza, Álvaro, Porto; Finsterwalder, Rudolf, Stephanskirchen
Adresse Raketenstation, Neuss


aus Bauwelt 34.2008
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