Bauwelt

Autobahnkirche


Für Raser und Schleicher


Text: Slasten, Tanja, Heiligenhaus


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    Foto: Jörg Hempel

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    Foto: Kirsten Bucher

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Die 40. Autobahnkirche hierzulande steht an der A 45 bei Siegen. Durch Eigeninitiative einiger Bürger und durch Spenden finanziert, realisierten die Architekten Schneider und Schumacher hier ihr Lieblingsprojekt.
Weiße Hülle, abstrakte Form. Wie eine Skulptur sticht die neue Autobahnkirche der Architekten Schneider und Schumacher auf dem Autohof Wilnsdorf im Siegerland aus dem architektonisch fragwürdigen Mix der übrigen Gebäude hervor. Während Tankstelle, Burger King, Hotel, Waschanlage und all die anderen Angebote mit großer Schrift und knalligen Farben versuchen, auf sich aufmerksam zu machen, kommt die kleine Kirche am Rand des Autohofs ohne diese aufdringlichen Gesten aus. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – möchte man näher treten und die „Tankstelle für die Seele“, wie Autobahnkirchen auch gerne genannt werden, erkunden.
Kirche am Weg
Autobahnkirchen sind eine Erscheinung des Automobilzeitalters. Wenn man so will, eine Weiterentwicklung der mit­telalterlichen Wegkapellen und -kreuze, die abseits von Ballungszentren an Wanderrouten und Straßen liegen. Sie bieten dem Vorbeikommenden die Möglichkeit anzuhalten, Ruhe zu schöpfen, sich auf Gott zu besinnen und Schutzgebete zu sprechen. Während das Innehalten immer mehr abnimmt, steigert sich die Mobilität. Schnelligkeit, Termindruck sowie allgemeine psychische und physische Belastungen sind häufiger Bestandteil unseres Alltags. Umso wichtiger ist es, einen ruhigen Gegenpol inmitten des von Hektik gezeichneten Straßennetzes zu schaffen. Autobahnkirchen und -kapellen sind dieser Ruhepol: „Räume der Stille“, die für alle Reisenden, ganz gleich welcher Glaubensrichtung, offenstehen, mindestens zwölf Stunden am Tag.
Gottesdienste und Konzerte, gemeinsame Andachten und Seelsorger als Ansprechpartner sind im kirchlichen Alltag in Städten und Dörfern üblich. An einer Autobahn spielt all das eine untergeordnete Rolle. Stattdessen laden Anliegenbücher den Besucher ein, seine Wünsche, Hoffnungen oder Sorgen niederzuschreiben. Oder einfach die besondere Atmosphäre und Ruhe, die für Kirchenräume so charakteristisch sind, in sich aufzunehmen, um Kraft und Entspannung für die Weiterfahrt zu tanken. Die älteste Autobahnkirche steht an der A8 bei Adelsried. „Maria, Schutz der Reisenden“ wurde 1958 eingeweiht und lädt seitdem die Menschen zur Einkehr ein. Rund 55 Jahre später, seit dem 26. Mai letzten Jahres, ist Deutschlands Autobahnnetz um eine außergewöhnliche Kirche reicher. 
Vom Logo zum Körper
Ob Origami, Teufelskopf oder Batman – die Bezeichnungen und Assoziationen in Bezug auf die neue Autobahnkirche sind nicht nur vielfältig, sondern auch gewünscht. Dabei war das allseits bekannte Verkehrsschild für Kirchen der Ausgangspunkt dieses Entwurfs. Aus dem schlichten zweidimensionalen Kirchenlogo einen interessanten dreidimensionalen Körper zu entwickeln, dieser Gedanke kam ihm auf der Autobahn, erklärt Architekt Michael Schumacher. „Ein Schild bauen, ein abstraktes Zeichen zum Gebäude zu machen, und das auf eine Art zu tun, die es dem Betrachter ermöglicht ständig die Rezeptionsebene zu wechseln, konkret, abstrakt, dreidimensionale Skulptur oder zweidimensionales Zeichen“, so beschreibt es der Architekt im Buch „Autobahnkirche Siegerland“. Dieses „subtile Spiel“, wie er es nennt, ist den Architekten geglückt. Zur Autobahn und zum Parkplatz des Autohofs zeigt sich dem Autofahrer die schlichte, zurückhaltende Silhouette des Piktogramms: längliches Kirchenschiff mit Turm und Spitzdach. Nur ganz in Weiß, statt in Schwarz wie auf dem Logo. Und zwischen diesen beiden ruhigen Fassaden spannt sich der ungewöhnliche Kirchenbau mit seinen vielfältig geformten Flächen und Kanten. Ein Gebilde, das „sich immer verändert“ und „rätselhaft, vieldeutbar“ ist, so der Architekt. Und in der Tat, umrundet der Betrachter das Gebäude, bieten sich ihm stetig neue Eindrücke.
Der beschichtete Holzbau
Der introvertierte weiße Hauptkörper entfaltet sich über ei­nem von außen kaum wahrnehmbaren quadratischen Grund­riss. Die beiden Ecktürme, diagonal sich gegenüberstehend, ragen wie zwei spitze Hauben in den Himmel. Statt der üblichen Pyramidenform handelt es sich hierbei um dreiseitige Aufbauten. Die sich gegenüberliegenden offenen Flächen der Türme sind jeweils verglast und dienen als natürliche Lichtquellen für den Andachtsraum. Zum Eingangsbereich der Kirche führt ein leicht ansteigender Verbindungssteg. Die flankierenden, kontinuierlich emporwachsenden Wandscheiben enden in einer Art Tunnel und scheinen den Besucher regelrecht hineinzuziehen. Außer den Stahlträgern im Boden des Stegs und dem Fundament ist der komplette Kirchenbau in Holzbauweise errichtet worden. Durch die Vielzahl vorgefertigter Elemente konnte die Montagezeit optimiert werden. Die Innen- und Außenseiten der Holzkonstruktionen sind mit OSB-Platten verkleidet, die Zwischenräume mit Wärmedämmung gefüllt. Sowohl die beiden Seitenwände des Zugangsstegs als auch sämtliche Fassaden sind, um sie vor Feuchtigkeit und Beanspruchung zu schützen, mit einer Polyurethan-Sprühabdichtung behandelt worden. Die in Weiß verwendete Sprühabdichtung sorgt gleichzeitig für ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild.
Das Spantenflechtwerk
Während das Äußere beim Wettbewerb feststand, gab es für den Innenraum zunächst nur eine vage Idee. Von „kugel­förmig, weich, warm, mystisch“, spricht der Architekt; vom Wunsch, „eine selbstverständliche Einheit von Konstruktion, Material und Atmosphäre“ zu entwickeln, schreibt er. Und gleichzeitig einen überraschenden Gegensatz zu schaffen zur Außenhülle. Gelungen ist dieser Effekt mit einer autonomen Kuppel. Ein filigranes Flechtwerk aus 66 Holzspanten formt den Raum. Zum Boden hin wird das Raster immer enger, und die dahinter liegenden Wände werden unsichtbar. Die zwischen Innenkuppel und Außenwänden entstandenen Zwischenräume dienen als Sakristei und Stuhllager.
Zur Ostecke hin öffnet sich die Kuppel. Hier, leicht erhöht auf einem Podest, befindet sich der Altar. Das Tageslicht, das über die Türme durch die Holzrippen-Struktur fällt, taucht den Innenraum in die gewünschte warme Atmosphäre. Bei Dunkelheit sorgen an der Decke versteckte Lichtstrahler für einen ähnlichen Effekt. Um die einheitliche Wirkung zu vervollständigen, ist sämtliches Mobiliar – Pulte, Bestuhlung, Kerzenständer und Kniebänke – aus dem gleichen Material wie die Kuppel hergestellt. Einzig die Ostnische hebt sich farblich vom übrigen Raum ab: Das Podest, der Altar sowie das große, indirekt beleuchtete Kreuz erstrahlen, wie schon die Außenfassaden, in strahlendem Weiß.



Fakten
Architekten Schneider + Schumacher, Frankfurt am Main
Adresse Autohof Wilnsdorf Elkersberg 57234 Wilnsdorf


aus Bauwelt 9.2014
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