METARAUM Heinisch.Lembach.Huber Architekten haben als Mit-Initiatoren der Baugruppe „Glockenstraße 36“ jahrelang mit den Stuttgarter Behörden gerungen, um eine leerstehende Gießerei aus den 1940er Jahren nach ihren Vorstellungen umnutzen zu können. Das Ergebnis überzeugt auch architektonisch.
„Das Unfertige bauen“, so der Titel des 1977 erschienenen Buchs von Lars Lerup (Bauwelt-Fundamente 71), könne man als das Leitthema des Projekts ansehen, erläutert die Architektin Wallie Heinisch im Gespräch. Mit dem Umbau des von 1939 bis 41 nach Plänen des Bonatz-Schülers Hans Volkert entstandenen Fabrikgebäudes im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt, zwischen der Wohnbebauung auf dem Hallschlag und dem Industrieareal eines großen Zuliefererbetriebs der Automobilindustrie, hat sich eine Baugemeinschaft das geschaffen, was ihre Mitglieder „permanentes Leben“ nennen: Sie haben Wohnen, Arbeiten und Freizeit zusammengeführt.
Drei Büros, vier Lofts, Gemeinschaftsräume und ein Veranstaltungsraum sind hier eingerichtet worden. Das Wort „Projekt“ ist in diesem Fall auch für ein bereits genutztes Gebäude angemessen. Permanent leben heißt auch, zunächst nur die wichtigsten Dinge festzulegen, um die Offenheit für noch nicht erkennbare Bedürfnisse zu bewahren. Eines der vier über 300 Quadratmeter großen Lofts wird derzeit erst ausgebaut; Fitnessraum, „Kinderloft“ und die Gemeinschaftssauna sowie die Terrassen sind ebenfalls noch nicht fertig; auch eine kleine Ausstellung über die Geschichte des Hauses ist im Gespräch. Heinisch, selbst Mitglied der Baugruppe, vermittelt glaubhaft, dass es damit auch keine Eile habe.
Hindernis Baurecht
Diese Gelassenheit wird verständlich, wenn man weiß, dass die Gemeinschaft die größten Schwierigkeiten inzwischen gemeistert hat, denn leicht hatte sie es nicht. Auch wenn die Stadt sich bemüht, es zu ändern: Bislang war Stuttgart für Baugemeinschaften ein „ausgesprochen schwieriger Ort“, wie in der von der Wüstenrot Stiftung beauftragten Untersuchung „Städte und Baugemeinschaften“ (2009) festgestellt wurde – als Gründe genannt werden unter anderem die hohen Grundstückspreise, die häufig unattraktive Lage der Grundstücke, die Baugemeinschaften angeboten werden, und die unzureichende Abstimmung zwischen den städtischen Ämtern. Noch 2011 lag man mit insgesamt 170 in Baugemeinschaften realisierten Wohnungen hinter kleineren Städten wie Kiel, Karlsruhe, Tübingen, Freiburg. In der Glockenstraße hatte es die Baugemeinschaft außerdem schwer, weil das Bauvorhaben politisch zwar grundsätzlich unterstützt wurde, die variable Nutzungsaufteilung zwischen Wohnen und Arbeiten aber, mit der möglichen Änderungen der Lebensverhältnisse Rechnung getragen werden sollte, die baurechtliche Bewertung herausforderte: Es stehen kaum Instrumente zur Verfügung, eine solche Offenheit entsprechend zu berücksichtigen. Die Genehmigung zog sich zwei Jahre lang hin, immer wieder musste sich die Gemeinschaft direkt an den Baubürgermeister wenden, damit das Projekt nicht auf der Sachbearbeiterebene scheiterte. Ein weiteres Hindernis stellte die Nachbarschaft zu einem Industriebetrieb dar, in dessen Besitz sich das Gebäude befunden hatte. Zwar hatte die Gemeinschaft in den Verkaufsverhandlungen insofern eine gute Position, als das Haus bereits 20 Jahre leer gestanden hatte; skeptisch war man allerdings hinsichtlich der Wohnnutzung. Schließlich ließ das Unternehmen über einen städtebaulichen Vertrag sicherstellen, dass Klagen der Bewohner über die Belastung durch die Nachbarschaft der Industrie ausgeschlossen sind.
Offenheit, räumlich und zeitlich
Die mühsame Entwicklungsphase hat sich gelohnt. Das Projekt gilt inzwischen vor allem in Stuttgart in Diskussionen um Baugemeinschaften und alternative Wohnformen als vorbildlich. Aber auch der architektonische Umgang mit der Aufgabe verdient es, gewürdigt zu werden. Wer das Haus heute besucht, wird feststellen, dass „das Unfertige bauen“ nicht heißt, dass auf einer Baustelle gelebt wird. Hier wurde eine Form gefunden, mit begrenzten finanziellen Mitteln einen Umgang mit dem großen, etwa 4000 Quadratmeter Nutzfläche umfassenden Haus zu pflegen: Die Architekten haben den fortlaufenden Prozess der Aneignung und Entwicklung des Bestehenden in ein schlüssiges Konzept übersetzt. Trennwände, die aus einem großen Raum viele kleine machten, wurden vermieden; eingestellte Elemente zonieren horizontal, in den Wohnungen auch vertikal, ohne zu trennen. Außerdem wurden die Investitionen dort konzentriert, wo sie von dauerhaftem Nutzen sind: in der Fassade, in den Freiräumen am rückwärtigen, im Norden gelegenen Hang sowie in den Bodenbelägen und der Haustechnik. Die Fassade wurde mit dreifach verglasten Fenstern ertüchtigt, deren Rahmen aus glasfaserverstärktem Kunststoff an der Außenseite und aus Holz an der Innenseite bestehen. Die Fußböden sind allesamt mit einer Flächenheizung ausgestattet, die aufgrund des dünner als üblich ausgeführten Bodenaufbaus (35 bis 40 Millimeter Anhydritestrich, rissfestes Magnesit als Oberfläche) besonders schnell anspringt. Das schadhafte Dach des ehemaligen Ladehofes, das hinter dem Haus zwischen dem Altbau und der Wand eines Luftschutzbunkers spannte, wurde abgerissen; teilweise wurde es durch eine neue „Landschaftsplatte“ aus Stahlbeton ersetzt, auf der ein Garten angelegt wurde – dieser schwebt sieben Meter über dem Hof. Die Innenausbauten sind aus leicht rückbaubaren Elementen, in der Regel als Holzkonstruktion, ausgeführt – in den Wohnungen wie in den Büros. Alle Oberflächen, von den Böden abgesehen, und auch die Elemente der ursprünglichen Technikinstallation wurden nur gereinigt und dort, wo es notwendig war, ausgebessert – so konnten die Spuren der vorherigen Nutzung sichtbar bleiben. Und es wurde nicht suggeriert, dass man, wenn auch nur in Teilen, eine scheinbar endgültige Lösung gefunden habe. Die Gemeinschaft hatte sich auf wenige Materialien und Farben geeinigt, die auf den vom Wesen her schmucklosen Industriebau abgestimmt sind, sodass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt, das die Offenheit der Nutzung ästhetisch unterstreicht.
Diese Haltung tritt auch in dem 400 Quadratmeter großen Veranstaltungsraum im Untergeschoss zutage, der es erlaubt, kulturelle Initiativen zu unterstützen, diesen wenig bekannten Teil Stuttgarts zu beleben und Impulse in die Nachbarschaft zu setzen. Denn was hier im Architektonischen zum Thema gemacht wurde, gilt für das Zusammenleben im Quartier ohnehin: Es muss offen bleiben für das, was kommt.
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