Bellevue di Monaco in München
In München machen Aktivisten vor, wie man selbst in gentrifizierter Innenstadtlage Freiräume schaffen kann. Aus satirischen Aktionen für den Erhalt einer städtischen Liegenschaft wurde Ernst: Die Stadt München hat den Abriss gestoppt und verpachtet die Altbauten an die neu gegründete Sozialgenossenschaft „Bellevue di Monaco“. Nach dem Umbau sollen dort Geflüchtete wohnen – und München bekommt einen Ort, an dem über Migration und Stadtentwicklung diskutiert werden kann
Text: Kleilein, Doris, Berlin
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Die Müllerstraße 2–6 im Münchner Glockenbachviertel: vom Abrisskandidaten zum Leuchtturmprojekt
Collage: http://bellevuedimonaco.de/
Die Müllerstraße 2–6 im Münchner Glockenbachviertel: vom Abrisskandidaten zum Leuchtturmprojekt
Collage: http://bellevuedimonaco.de/
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2013: Aktivisten gründen die fiktive Immobilienfirma Goldgrund und renovieren eine der Wohnungen Müllerstraße 6.
Abb.: Architekten
2013: Aktivisten gründen die fiktive Immobilienfirma Goldgrund und renovieren eine der Wohnungen Müllerstraße 6.
Abb.: Architekten
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Das Video dieser „Gorilla-Aktion“, bei der auch Dieter Hildebrandt mit putzte, ist ein Hit im Netz
Abb.: Architekten
Das Video dieser „Gorilla-Aktion“, bei der auch Dieter Hildebrandt mit putzte, ist ein Hit im Netz
Abb.: Architekten
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2016: Umbau zu WGs und Wohnungen für Geflüchtete und zum Kulturzentrum nach den Plänen von Hirner und Riehl Architekten
Isometrie: Architekten
2016: Umbau zu WGs und Wohnungen für Geflüchtete und zum Kulturzentrum nach den Plänen von Hirner und Riehl Architekten
Isometrie: Architekten
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Ausgerechnet in der Münchner Innenstadt, ausgerechnet im teuren Glockenbachviertel, wo die Monatsmieten bei 20 Euro pro Quadratmeter liegen, hat eine Handvoll Kulturschaffender einen Ort ins Leben gerufen, an dem bald Geflüchtete wohnen werden – in die Nachbarschaft eingebunden durch ein Kulturzentrum, in dem die Debatte um Migration und Stadt geführt, aber auch ein konkretes Miteinander und Hilfe organisiert werden kann. Natürlich gibt es Vorbilder wie das Hotel Cosmopolis in Augsburg (Heft 3.2014) oder magdas Hotel in Wien (Heft 48.2015). Aber die Münchner gehen ihren ganz eigenen Weg, und das bereits lange bevor die Stadt im Sommer 2015 Schlagzeilen mit ihrer Offenheit für Geflüchtete machte.
Der Kampf um die städtische Liegenschaft Müllerstraße 2-6, auf der das „Bellevue di Monaco“ nun entsteht, wurde mit viel Witz und jeder Menge Prominenz geführt, nicht zuletzt, weil einer der Initiatoren, Till Hofmann, der Betreiber der Münchner Lach- und Schießgesellschaft ist. Und er geht weit über die Flüchtlingsunterbringung hinaus, zielt er doch im Kern auf grundlegende Fragen: Wie können günstiger Wohnraum und Nachbarschaften im Stadtzentrum erhalten werden? Schöpft die Stadtverwaltung dazu alle Ressourcen aus, oder müssen neue Wege gegangen werden?
Erst Spaßguerilla, dann Verhandlungspartner
Die drei Altbauten, an denen sich der Protest entzündete, stehen seit geraumer Zeit leer; ein in die Jahre gekommener, aber ganz rüstiger Bestand, wie man ihn im einstigen Arbeiterviertel noch bis in die neunziger Jahre hinein öfter finden konnte: ein grün verputztes, sechsgeschossiges Wohnhaus aus den fünfziger Jahren, das mit zwei Stadthäusern aus dem 19. Jahrhundert einen kleinen Hof bildet. Eigentümerin ist die Stadt München, die ihre Liegenschaft erst lange vernachlässigte und dann Pläne für den Neubau von Sozialwohnungen auf den Tisch legte. Doch dafür hätte nicht nur der Bestand weichen müssen, sondern auch ein Bolzplatz, der sich auf dem Gelände befindet. Die benachbarte Glockenbachwerkstatt, ein seit 30 Jahren im Viertel verankertes Bürgerhaus mit Kindertagesstätte, nutzte diesen Platz ebenso wie viele Anwohner. Dieses kleine Stück Bewegungsfreiheit wollten sich die Nutzer nicht nehmen lassen und schlugen die Trommel: Till Hoffmann organisierte 2011 mit anderen Kindergarteneltern ein Fußballspiel mit Bastian Schweinsteiger, der Bolzplatz konnte bleiben. Nach diesem ersten Akt der Einmischung fand sich eine Gruppe von Aktivisten, die den Umgang mit dem Gelände angesichts der Münchner Wohnungsnot zunehmend als Skandal empfanden, zumal der Stadtrat die Gebäude enfgültig als nicht sanierungsfähig einstufte und den Abriss beschloss. Was dann an Protest in Form von Spaßguerilla folgte, hatte man in München lange nicht erlebt: Die Aktivisten gründeten die fiktive Immobilienfirma „Goldgrund“ und chauffierten mit goldenen Bauhelmen und im Anzug potenzielle Anleger zur Verkaufstour im Bus durch die Stadt. Zudem nahm sich Goldgrund der Müllerstraße 6 an: Die Aktivisten renovierten auf eigene Faust eine der Wohnungen und drehten dazu ein Video, das auf Youtube durch die Decke ging – Prominente, die als Gorillas durchs Haus springen und den Pinsel schwingen. Renovierung statt Abriss! Die Gorilla-Aktion brachte die Presse in die Müllerstraße – und die Verantwortlichen zum Einlenken. Im Januar 2015 nahm der Stadtrat den Abrissbeschluss zurück. Aus der Spaßguerilla war ein ernst zu nehmender Verhandlungspartner geworden: Gemeinsam mit der WOGENO eG gründete das inzwischen auf mehrere Hundert Unterstützer angewachsene Bünd-nis die Sozialgenossenschaft „Bellevue di Monaco“, ein Projekt, bei dem nur noch der Name an den üblichen Maklersprech erinnert. Die Besonderheit dieser Genossenschaft: Keines der Mitglieder will selbst einziehen, viele zeichnen Anteile im Wert von 500 Euro, um als Genossen die Idee zu unterstützen. 2015 hat die neu gegründete Genossenschaft sieben Architekturbüros zum Wettbewerb für Sanierung und Umbau der Liegenschaft eingeladen: Der Zuschlag ging an das lange im Glockenbachviertel ansässige Büro Hirner und Riehl, das mit seinem Konzept auf Zurückhaltung und auf die schrittweise Entwicklung mit den Nutzern setzt: möglichst wenig architektonische Überformung, kaum Grundrissänderungen. Im grünen Hochhaus sollen neben einem Info-Café acht Zweier-WGs speziell für junge Erwachsene entstehen, die mit dem 18. Geburtstag aus den Einrichtungen für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge entlassen werden – sie können in der Müllerstraße für zwei Jahre wohnen und werden dort von der Jugendhilfe betreut. Auch die sechs Wohnungen in der Müllerstraße 4 sind als Übergangslösung für Alleinerziehende und Familien „mit Fluchthintergrund“ konzipiert. In die Müllerstraße 2 soll das Kulturzentrum mit Räumen für Büros und Veranstaltungen einziehen.
Stadtentwicklung von unten braucht einen langen Atem und viele Partner: Um das Erbbaurecht für die Liegenschaft vergeben zu können, wie es die Genossen vorschlugen, musste die Stadt München europaweit ausschreiben, ein Prozess, der sich einige Monate hinzog. Im Dezember 2015 schließlich bewarb sich die Bellevue di Monaco eG als einziger Bieter, im Januar 2016 erteilte der Stadtrat den Zuschlag für das Wohn- und Kulturprojekt. Mit den Architekten wurde ein Partner gefunden, der sich auf den Prozess einlässt: Für die Sanierung des Bestands arbeiten die Planer mit der Handwerkskammer und mit Betrieben zusammen, die Geflüchtete einbinden und sie zu Malern, Fliesen- und Bodenlegern ausbilden. Derzeit entwickelt das Büro gemeinsam mit Studierenden der Hochschule München ein Möblierungskonzept aus industriellem Halbzeug. 2017 soll in der Müllerstraße, die nun schon seit fünf Jahren für Feste, Versammlungen und Pressekonferenzen genutzt wird, endlich ganz offiziell das Leben einziehen.
Das Aktionsbündnis Bellevue di Monaco weiß, wie man mit Medien und Öffentlichkeit umgeht und hat Juristen, Profis aus der Sozialarbeit und Politaktivisten mit ins Boot geholt. Hartnäckig und sehr professionell haben sie den Protest in eine Institution überführt und immer wieder an dem Standort mitten in der Stadt festgehalten, auch wenn Ausweichquartiere angeboten wurden. Ein Vergleich mit den siebziger Jahren, als Bürger Stadtteilzentren gründeten, drängt sich auf: Die Zivilgesellschaft lässt sich nicht mehr abspeisen mit dem Hinweis auf Verfahren, Notwendigkeiten und knappe Kassen: Sie fordert die Verwaltung auf, nicht weiter auf Sicht zu fahren, vielmehr die Stadt langfristig zu entwickeln. Das „Bellevue di Monaco“ steht in einer Reihe mit dem „Haus der Statistik“ in Berlin oder dem „Experimentierzentrum Elixier“ in Dresden. In Deutschland entstehen derzeit Orte der Einwanderungsgesellschaft, die nicht von oben verordnet, sondern bereits vor der Schlüsselübergabe verankert sind.
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