Bauwelt

Betonoase in Berlin


Ein Jugendclub und ein Familienzentrum haben im Herzen einer Plattenbausiedlung ein neues Domizil gefunden. Der Flachbau hat 50 Zentimeter dicke Wände, denn gebaut ist er aus einem neuen Baustoff: Infraleichtbeton.


Text: Landes, Josepha, Berlin


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    Infraleichtbeton verlangt Behutsamkeit: Die Ausarbeitung der Fensterdetails verleiht dem Baukörper Feinschliff.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Infraleichtbeton verlangt Behutsamkeit: Die Ausarbeitung der Fensterdetails verleiht dem Baukörper Feinschliff.

    Foto: Alexander Blumhoff

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    Die teils unregelmäßige Oberfläche des in Vlies geschalten Betons trägt, den Architekten zufolge, zur Lebendigkeit und „Wärme“ des Materials bei.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Die teils unregelmäßige Oberfläche des in Vlies geschalten Betons trägt, den Architekten zufolge, zur Lebendigkeit und „Wärme“ des Materials bei.

    Foto: Alexander Blumhoff

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    Unter dem Vordach des Familienzentrum-Zugangs können Eltern ihre Kinderwagen parken, ...
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Unter dem Vordach des Familienzentrum-Zugangs können Eltern ihre Kinderwagen parken, ...

    Foto: Alexander Blumhoff

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    ... ohne sie aus dem Blick zu verlieren.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    ... ohne sie aus dem Blick zu verlieren.

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    Eingangsfoyer und Spielzimmer sind durch eine Fenster in der Schrankwand verknüpft.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Eingangsfoyer und Spielzimmer sind durch eine Fenster in der Schrankwand verknüpft.

    Foto: Alexander Blumhoff

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    Vordächer geben Privatheit. Jugendliche und Familien teilen sich den Garten, ...
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Vordächer geben Privatheit. Jugendliche und Familien teilen sich den Garten, ...

    Foto: Alexander Blumhoff

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    ... ein Beet soll Distanz wahren.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    ... ein Beet soll Distanz wahren.

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    Die Einbaumöbel aus Seekiefernholz sind in Abstimmung mit den Nutzern entwickelt worden.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Die Einbaumöbel aus Seekiefernholz sind in Abstimmung mit den Nutzern entwickelt worden.

    Foto: Alexander Blumhoff

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    Ihre Formate entsprechen den Brettspielen, die darin verstaut werden sollen.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Ihre Formate entsprechen den Brettspielen, die darin verstaut werden sollen.

    Foto: Alexander Blumhoff

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    Hölzerne Sitzflächen in den Fensternischen laden ein, den Beton zu bewohnen.
    Foto: Alexander Blumhoff

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    Hölzerne Sitzflächen in den Fensternischen laden ein, den Beton zu bewohnen.

    Foto: Alexander Blumhoff

Ödnis ist der natürliche Kontrahent jeder Oase – die Wüste gegen die wacker ihr Paroli bietende Wasserstelle, wo Palmen gedeihen, Kamele und Menschen sich laben. Lichtenberg, ein Bezirk im Berliner Osten, ist keine Ödnis – es gibt hier allerdings auch keine Kamele. Lichtenberg ist ein aufstrebendes Stadtviertel, geprägt von fünf- bis vierzehngeschossigen Zeilen- und Plattenbauten aus DDR-Zeiten, gut angebunden ans Berliner Stadtzentrum. Zum Teil gibt es noch gro­ße Wiesen in den Innenhöfen, zum Teil wurde auf diesen „Potentialflächen“ schon nachverdichtet. Lichtenberg profitiert seit einigen Jahren von der Verdrängung aus der Innenstadt. Trotzdem gibt es hier bereits seit den siebziger Jahren eine Oase, und zwar in Form des Jugendclubs „Be­tonoase“. Für Jugendliche ist das Alltägliche oft Ödnis – das Wohnviertel, das Zuhause, die Eltern – und das Zusammensein mit Gleichaltrigen ein Labsal.
Doch die alte Betonoase fällt nun der Nachverdichtung zum Opfer. Da man sich im Bezirksamt ihrer sozialen Bedeutung bewusst ist, begab man sich, als 2016 der Neubau von 600 Wohnungen an Ort und Stelle beschlossene Sache war, auf die Suche nach einer Alternative zur Unterbringung des Jugendzentrums. In direkter Nachbarschaft fand sich ein freies Baugrundstück in kommunalem Besitz, das sodann als Grundlage für ein Gutachterverfahren herhielt. Die Berliner Architekten Gruber + Popp, deren Büro sich im Westteil der Stadt befindet, konn­ten in diesem Verfahren mit einem Entwurf, der nichts an Betonigkeit zu wünschen übrig lässt, punkten.
Der im vergangenen Dezember eröffnete Flachbau ist ein Innovationssträger, nicht nur, weil auf der Jugend, seinen Nutzern, per se Hoffnung liegt. Die Betonoase ist das erste öffentliche Gebäude aus Infraleichtbeton, ein Baustoff, den die Bauingenieure des Lehrstuhls für Entwerfen und Konstruieren von Mike Schlaich an der TU Berlin entwickelt haben (s. Interview). Wände und Dach der Betonoase sind selbstdämmend – Styrodur blieb bei diesem Projekt weitestgehend den Modellbauern im Büro vorbehalten. Die Projektarchitekten hatten sich vielmehr mit der Schwierigkeit herumzuschlagen, jedes Detail vereinfachen zu müssen. Anschlussfugen im Fensterdetail? – Braucht es nicht. Zudem: Entwerfen in Infraleichtbeton fordert eine andere Denkweise als Entwerfen in Beton. Nicht nur sind die Wände 50 Zentimeter dick, die Vordächer 32, auch Stürze, Auskragungen und Spannweiten müssen neu gedacht werden. Infraleichtbeton, ein Werkstoff, der dank hochporöser Zuschläge eine geringere Dichte als Wasser aufweist, nämlich nur 700 kg/m³ wiegt, bedingt, einhergehend mit einer verringerten Festigkeit, neue Gebäudeproportionen.
Das Grundstück der Betonoase schließt an einen Weg durch den Wohnhof an. Die Eingangsfassade liegt vis-à-vis einer Schule, die derzeit noch Umbaumaßnahmen erfährt. Zur Rechten des Grundstücks ist ein, derzeit als Vierzehn­geschosser geplanter, Wohnblock avisiert, dessen beide unteren Etagen ein Kindergarten beziehen soll – Lichtenberg bekommt Nachwuchs. Es gibt zwei Eingänge zur Betonoase, denn der Jugendclub hat sich ein Familienzentrum als Partner an Bord geholt. Dieses Familienzentrum war früher an anderer Stelle im Viertel ansässig und nutzt nun den rechten Teil des Neubaus als Mie­ter. Der mittige Eingang, dem ein langgezogener, überdachter Außenbereich vorgelagert ist, ist von beiden Einrichtungen nutzbar, funktional jedoch besonders auf die Bedürfnisse der jungen Familien abgestimmt. Für die Jugendlichen gibt es zusätzlich einen Zugang über einen tief überdachten Außenbereich an der linken Gebäudeseite, einen Raum, der auch zum „gepflegten Abhängen“ geeignet ist.
Die Betonaußenwände, die beidseitig roh belassen wurden, sind fein strukturiert. Horizontale Streifen zeugen vom Arbeitsprozess, bei demLage um Lage frisch zubereiteten Betons aufgeschüttet wurde. Die Laibungen der Fenster, diein allen Funktionsräumen und dort stets über Kopfhöhe einbinden, sind außen jeweils zweiseitig abgeschrägt, was dem Lichteinfall, aber auch der Ästhetik des kastigen Baukörpers zugutekommt. Daneben gibt es in jedem Aufenthaltsbereich quasi raumhohe, breite Fensternischen, die, mit Holz ausgelegt, zum Sitzen und darin Spielen einladen, jeweils einen Gartenzugang und Oberlichtkuppeln. Die Kunst am Bau der Künstlergruppe dreidreidrei fängt das durch diese Öffnungen einfallende Licht in verschiedenartigen kleinen Satelliten ein, die das Thema „Kosmos“ aufgreifen, und verwandelt es spielerisch in Wandprojektionen.
Der Grundriss des Gebäudes ist unkompliziert: Das Familienzentrum zur Rechten des Eingangs besteht aus einem großzügigen Raum mit integrierter Küche und angegliedertem Spielzimmer. Dieses Spielzimmer, mittels zwei­er großer, übereck angeordneter Nischenfens­ter auf den Garten ausgerichtet, ist durch eine Einbauregalwand aus Seekiefernholz vom Eingang abgetrennt. Ein in diese Wand integriertes Fenster zeugt vom Verständnis der Architekten für die Bedürfnisse der Nutzer: Das Fenster öffnet den Kindern Einblick ins Spiel der anderen, was den, bisweilen von den kleineren Kindern verspürten, Trennungsschmerz von den Eltern überwinden hilft.
Derartige Bezüge zum praktischen Gebrauch des Hauses finden sich im gesamten Gebäude, auch im Jugendclub, der ähnlich dem Familienzentrum organisiert ist. Hier schließen seitlich an einen eher länglichen Aufenthaltsraum, ebenfalls mit integrierter Küche, kleine Räume für Sport, Spaß und Pauken an. Auch hier nutzen die Architekten visuell ein Wandregal zur Raumtrennung. Die Module dieser Einbauwände sind in Absprache mit den Betreibern auf Maß gebracht worden, um den Kartons der Gesellschaftsspiele, die darin Platz finden sollten, zu entsprechen.
Trennen und Verbinden ist eine Devise, die dem Entwurf der Betonoase zugrunde liegt. Sie äußert sich in den Einbauwänden für die innenräumliche Gliederung. Sie zeigt sich in den verschiedenen Typen von Fensterformaten und den weit auskragenden Vordächern, die einen sensibel ersonnenen Puffer zwischen privaten und öffentlichen, von der hohen Umgebungs­bebauung aus einsehbaren, Bereichen herstellen. Sie ist auch Grundlage für das Gemüsebeet, das den Garten des Jugendclubs auf nahbare Art und Weise von dem des Familienzentrums trennt.
Die andere Treibkraft des Projekts war zweifellos der Drang aller Beteiligten, die Möglichkeiten des neuartigen Werkstoffs, den zum Einsatz zu bringen sich unter dem Titel Betonoase geradezu aufdrängte, auszureizen. Architekten wie auch Bauingenieure geizen in der Nachbetrachtung nicht mit Lob für die Auftraggeber, das Bezirksamt Lichtenberg. Der Wille, beim Bau der Betonoase den plastikarmen Weg zu favorisieren, wurde effektiv unterstützt. Nicht zuletzt hinsichtlich des Bestrebens, dem Baustoff zu einer Zustimmung im Einzelfall zu verhelfen. Die mit der bauaufsichtlichen Prüfung verbundenen bürokratischen Schritte verliefen reibungslos und schnell.



Fakten
Architekten Gruber + Popp Architekten, Berlin
Adresse Dolgenseestraße 11A, 10319 Berlin


aus Bauwelt 5.2019
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