Bauwelt

Castello Sforzesco-Visconteo


Stadtmuseum im Werden


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Foto: Mauro Davoli

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    Foto: Paolo Zermani

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Das mittelalterliche Castello in Novara wird für eine Nutzung als Museum derzeit wieder aufgebaut. Paolo Zermani nimmt die Ruinen zum Ausgangspunkt für ein neues Ganzes. Wiederherstellung und Neugestaltung gehen dabei Hand in Hand
Eine Festung wiederaufbauen ist eine architektonisch so reiz- wie anspruchsvolle Aufgabe. Die Masse der alten Mauern, ihre mitunter gar raumhaltigen Volumen stehen in denkbar krassem Gegensatz zu den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen des Bauens wie zu den Idealen von Transparenz, Flexibilität und Leichtigkeit, denen Architekten hier und da noch anhängen. Südlich der Alpen, wo das Verhältnis zur Vergangenheit entspannter ist, gibt es jedoch eine ungebrochene Tradition der Beschäftigung mit der Frage, wie sich historische Monumente angemessen und zeitgenössisch zugleich ergänzen lassen – erwähnt sei nur Carlo Scarpas Adaption des Castelvecchio in Verona (1958–64). Derzeit entsteht mit dem Wiederaufbau des Castello Sforzesco-Visconteo in Novara das jüngste Beispiel dieser Auseinandersetzung.
Die gut 100.000 Einwohner zählende Stadt im Piemont, nahe der Grenze zur Lombardei gelegen, war für Architektur-interessierte bislang vor allem aufgrund ihrer Gebäude aus dem 19. Jahrhundert einen Besuch wert. Damals war das Stadtbild einer gründlichen Modernisierung unterzogen worden; kein Geringerer als Alessandro Antonelli erneuerte den Dom und ergänzte die Basilika San Gaudenzo um einen gigantischen Vierungsturm, der an sein berühmtestes Werk, die Mole Antonelliana in Turin, erinnert (Bauwelt 35.2000). Das Castello im Südwesten des Stadtzentrums hingegen bot lange Zeit wenig Anlass, sich mit ihm zu beschäftigen, so baufällig und scheinbar vergessen, wie es da an der Piazza Martiri della Libertà, gegenüber der historistischen Pracht von Teatro Coccia und Palazzo Orelli, vor sich hin dämmerte. Entstanden in mehreren Bauphasen unter den Familien Visconti (ab 1293) und Sforza (ab 1447), war es im 19. Jahrhundert zum Gefängnis umgenutzt worden; seit 1973 hatte es leergestanden. Erst der Übergang der Anlage aus staatlicher in städtische Verantwortung schaffte vor elf Jahren die Voraussetzung für die Revita­lisierung als städtisches Museum, die seit 2007 in mehreren Abschnitten durchgeführt wird. Baulich bereits fertiggestellt, aber noch nicht in Betrieb, sind Nord-, Ost- und Südflügel. Der neue Westflügel, der das kleinteilige Innenleben der Anlage um größere Ausstellungssäle ergänzen wird, ist derzeit im Bau, die Restaurierung der Bastionen und die Gestaltung der Außenanlagen hingegen noch nicht in Angriff genommen. Doch das bislang Erreichte lässt bereits die Herangehensweise von Paolo Zermani an diesen Wiederaufbau erkennen: Nicht äußerliche Rekonstruktion des Zustands zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern interpretierender Weiterbau lautet der Ansatz. Zwar steht das Konservieren auch hier im Vordergrund – „più archeologici di muratori“, mehr Archäologen als Maurer, seien meistens auf dieser Baustelle, so der Architekt aus Parma. Geprägt aber wird die alte Festung heute schon von einer neuen Schicht.
Entwerfen, Bauen, Entdecken, Entwerfen, Bauen ...
„Wir lassen uns in Italien für ein solches Projekt heute so viel Zeit wie einst die Baumeister der Kathedralen – nur sind die Gründe dafür leider andere“, bemerkt Zermani ironisch zu der langwierigen Umsetzung seiner Pläne. Diese Gründe aber liegen nicht allein in den Besonderheiten italienischer Politik und Verwaltung und den Schwierigkeiten der Finanzierung eines solchen Projekts in Krisenzeiten, sondern auch in Geschichte und Bausubstanz des Castello selbst – immer neue Funde und Erkenntnisse zu seiner Entstehung ergaben sich im Lauf des Projekts und erforderten ein entsprechendes Reagieren der Planung. Ein Beispiel dafür ist der über dem stadtseitigen Portal aufragende Turm, das weithin sichtbarste Zeichen der Erneuerung. Dass diese Seite des Castello auch früher schon von einem Turm dominiert wurde, war Historikern bekannt, doch herrschte Unklarheit über seine exakte Position – bis der untere Teil des Turmschafts unter einem Abschnitt des Dachs zutage kam. Seine Höhe und sein genaues Äußeres aber liegen bis heute im Dunklen – und so entwarf Zermani eine Interpretation dieses Turms: eine abstrakte Form aus dem typischen „mattone padano“, dem Ziegel der Po-Ebene, die, indem sie sich nach Norden öffnet, ein Belvedere mit Blick über das Zentrum von Novara bereithält; eine Architektur „in der Schwebe“ zwischen unvollendet abgebrochen oder bereits wieder im Verfall begriffen. Auch der einstige Munitionsturm auf der Ostseite wurde wieder aufgemauert, während die Südost­ecke, anders als vom Architekten vorgeschlagen, von der zuständigen Behörde in ihrem fragmentarischen Zustand belassen wird – eine unverständliche Entscheidung, wurde doch auch der anschließende Südflügel mit seinen Nebengebäuden aus dem 17. Jahrhundert wieder aufgebaut. Die Planung für den Westflügel wiederum wurde maßgeblich von einem Fragment der Festungsmauer aus dem Mittelalter bestimmt, das sich, wie Ausgrabungen ergeben haben, exakt auf einer Außenseite des einstigen römischen Kastells erhebt, von dem auch die Fundamente des Südwestturms entdeckt wurden. Mauer wie Fundamente werden in den Neubau integriert und bilden künftig das wichtigste Exponat der archäologischen Ausstellung im Untergeschoss. Wenn keine weiteren Entdeckungen dazwischen kommen, werden Besucher vielleicht schon Ende nächsten Jahres hier tief in die Geschichte von Novara hinabsteigen können.



Fakten
Architekten Zermani, Paolo, Parma
Adresse Piazza Martiri della Libertà, 28100 Novara, Italien ‎


aus Bauwelt 27.2014
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