Crown Hall BlueBox
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Auf dem von Beton geprägten Campus der Ruhr-Universität Bochum ist eine Ikone des Stahlbaus der Spätmoderne für die Architekturfakultät zu neuem Leben erweckt worden. Wolfgang Krenz hat das einst als Mensa errichtete Gebäude von Bruno Lambart interpretierend erneuert und dabei die Architekturlehre vom Raum ausgehend gedacht.
Als 1965 die Mensa I der Ruhr-Universität Bochum eröffnete, dürften die Studenten gestaunt haben über das, was da hoch über den Tischen zu schweben schien: Architekt Bruno Lambart hatte, inzwischen selbstständig, nachdem er und Günter Behnisch ihre jahrelange Büropartnerschaft aufgelöst hatten, ein Mero-Raumtragwerk über die Köpfe der Speisenden montieren lassen – jenes stählerne Stabwerk, das, obwohl bereits in den 1930er Jahren von Max Mengeringhausen entwickelt, erst in den sechziger Jahren den Durchbruch erleben sollte und heute als eine architektonische Ikone dieser Zeit gilt. Steht man jetzt in dem vom Architekten Wolfgang Krenz und seinem Bochumer Büro Archwerk sanierten und zum studentischen Lernzentrum umgenutzten Gebäude, wird der Betrachter schnell der Gründe gewahr, die dazu geführt haben, dass ein so rationales Strukturelement zu einem Sinnbild der gesellschaftlichen Verfasstheit einer Ära werden konnte: Nicht nur, dass sich mit dem Mero-System große und sehr große Flächen stützenfrei überdachen lassen und so keiner darunter denkbaren Nutzung im Weg stehen, sondern auch, dass das Tragwerk selbst wie frei von Hierarchien scheint, gebildet aus einer auf den ersten Blick unüberschaubaren Anzahl gleichwertiger Einzelteile, von denen keines wichtiger scheint als ein anderes, vermag die allgemeine Aufbruchstimmung jenes Jahrzehnts zu symbolisieren.
Aufgrund seiner stählernen Materialität ist das Gebäude aber auch in ganz direkter Weise mit seiner Umgebung verbunden. Vielen, die seinerzeit ihr Studium an der neu gegründeten Universität aufnahmen, dürfte die Konstruktion aufgrund der Erwerbsbiographien in Familie und Bekanntenkreis vertraut gewesen sein. Ob vielleicht gar die Väter der Studierenden den Stahl dafür gekocht haben? Eine schöne, etwas sentimentale, aber zumindest realistische Vorstellung. Das einer demokratischen Gesellschaft angemessene, wenn auch bis heute nicht eingelöste Versprechen, die Chance auf Bildung unabhängig von der Herkunft zu gewähren – hier wird es architektonisch lesbar. Das Mensagebäude also auch ein soziales Baudenkmal? Ganz gewiss!
Um so mehr verwundert es, wie gering die Universität den Lambart-Bau geschätzt hat: Nach dem Ende seiner Nutzung als Mensa im Jahr 1971 diente er zunächst der Universitätsbibliothek, stand dann jahrelang leer, beherbergte Anfang der achtziger Jahre Studentengruppen und wurde schließlich vom Kölner Hochschulbibliothekszentrum als Speicher benutzt. Dafür wurde die großflächige Verglasung des Obergeschosses durch blaue Paneele ersetzt, welche dem Gebäude die Bezeichnung „BlueBox“ eintrugen, unter der es heute noch firmiert. Von 2002 bis 2005 folgte abermals eine Zeit des Leerstands, bevor zu guter Letzt die bis heute andauernde Nutzung als Atelier- und Lerngebäude für die Architekturstudenten eingebracht wurde. Diese, über drei Jahrzehnte einem steten „down grading“ folgende Nutzungsgeschichte ist einmal mehr Beleg dafür, dass sich das Selbstbewusstsein im Ruhrgebiet selten an bauliche Zeugnisse der eigenen Herkunft bindet, mögen diese als Architektur noch so gelungen sein. Dass Lambarts Mensagebäude am Ende gerettet, wieder in Wert gesetzt und mit neuem Leben erfüllt worden ist, verdient insofern eine Würdigung, die über das allein auf dem Gebiet der Architektur Geleistete hinausreicht. Zu verdanken ist diese Rettung vor allem zwei Personen: Da ist zu allererst Wolfgang Krenz selbst zu nennen, der, 1993 als Professor an die Architekturfakultät der damaligen Fachhochschule berufen, als Eiermann-Schüler die strukturelle Klarheit des Stahlbaus zu schätzen weiß; und neben ihm der 2009 verstorbene Textilunternehmer, Ehrensenator der Institution und Präsident des Fußballclubs SG Wattenscheid 09 Klaus Steilmann, dessen Unterstützung Krenz gewinnen konnte und der mit seinen vielfältigen Kontakten die Umsetzung möglich werden ließ.
Der Architekt erinnert sich, wie er das Gebäude sah und sofort wusste: „Da will ich rein mit den Studenten!“. Zu diesem Zweck gründete er einen Verein, der die Aufgabe hatte, Sponsorengelder für die Renovierung des Gebäudes zu aquirieren, aber auch fächerübergreifende Veranstaltungen zu konzipieren, um den pädagogischen Anspruch des „Learning Center“ zu untermauern. „BlueBoxBochum ist Lerninstrument und Lernkonzept“, ist ein Leitsatz des an Leitsätzen reichen Programms (s. Kasten Seite 40). Maßstab sind Vorbilder in den Niederlanden und der Schweiz, etwa das Rolex Learning Center der ETH Lausanne von SANAA (
Bauwelt 13.2010).
Betontisch in Stahlkäfig
Die neue Nutzung scheint für das Gebäude optimal. In Grundriss und Schnitt hatte Lambart seine Mensa zweiteilig angelegt: In die stählerne Hülle stellte er eine Art Tisch aus Stahlbeton, dessen „Beine“ im Raster von 5x5 Metern angeordnet sind und eine „Platte“ aus vorfabrizierten Trogplatten tragen; So entstand ein niedrigeres Eingangs- und ein saalartig hohes Obergeschoss. Im Grundriss orientiert sich jeweils zur Südseite ein Großraum, während kleinere Räume auf der Nordseite abgeteilt wurden.
Daran hat sich mit der neuen Nutzung wenig geändert: Wo einst die Studenten Schlange standen vor den Aufgängen hoch zur Essensausgabe, sind heute die Arbeitsplätze der Bachelor-Stufe eingerichtet, hier können aber auch Lernateliers und Workshops für internationale, hochschulübergreifende Projekte durchgeführt werden. Im ehemaligen Küchenbereich wurden die Handbibliothek, Werkstätten, Copy- und Ploträume untergebracht; im Geschoss darüber die Arbeitsplätze der Masterstudenten. Der einstige Speisesaal schließlich wurde zum „Klaus-Steilmann-Auditorium“ mit Platz für 800 Zuhörer. Dieses kann mittels weißer Theatervorhänge vom übrigen Geschehen im Haus abgeschirmt werden. Insgesamt sind auf 3500 Quadratmetern 350 Einzelarbeitsplätze, davon 45 CAD-Plätze entstanden. „Wir haben das Gebäude interpretiert“, beschreibt der Architekt die Herangehensweise.
Dieser Ansatz zeigt sich nicht zuletzt im Umgang mit den Details. So wurden die alten, feststehenden Lamellen an der Fassade, obwohl korrodiert, kurzerhand belassen. Komplett erneuert werden mussten hingegen die Fassade, deren Profile vom Rost zerfressen waren; darüber hinaus die völlig marode Dachdeckung und die veraltete Haustechnik, was ermöglichte, das Gebäude heutigen Ansprüchen an Bauphysik und Wärmedämmung anzupassen. Im Inneren wurden Fußböden und Wandoberflächen erneuert, an Ort und Stelle hingegen verblieben die gusseisernen Heizkörper und die beiden Treppen auf der Ost- und Westseite. Auch die alten Kalksandsteinwände sind geblieben, obwohl sie sich als weit weniger solide erwiesen denn erwartet: Statt massiv ausgeführt, bestanden sie nur aus zwei miteinander nicht verbundenen Schichten aus Normalformatsteinen, dazwischen ein Luftraum. Dieser wurde nun ausbetoniert, Fehlstellen mit vorhandenen Großblocksteinen geschlossen.
Dass das Mit- und Nebeneinander von Neu und Alt nicht weiter auffällt, liegt auch am homogenisierenden Weiß, mit dem die Räume gestaltet wurden. Das Ergebnis ist ein Gebäude, das, obwohl mit Respekt in seiner Zeit belassen, zeitlos „modern“ wirkt und so, als sei es für seinen heutigen Zweck von vornherein bestimmt gewesen. Lediglich die ihm eigene Akustik legt dem Besucher Rückschlüsse auf seine tatsächliche Entstehungszeit nahe. Wolfgang Krenz formuliert es so: „Das Haus verlangt soziales Verhalten“. Für Architekten kein unwesentlicher Lerninhalt.
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