Bauwelt

Der Vergleich 1970–2020


Der dänische Patient


Text: Buschbeck, Tobias, Berlin; Glade, Susanne, Bremen


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Nach dem Bauboom der sechziger und siebziger Jahre gab es landesweit ca. 125 Krankenhäuser.
    Grafik: Bauwelt

    • Social Media Items Social Media Items
    Nach dem Bauboom der sechziger und siebziger Jahre gab es landesweit ca. 125 Krankenhäuser.

    Grafik: Bauwelt

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Der Masterplan 2020 sieht etwa 20 große Akut-Krankenhäuser und ebenso viele kleine Häuser für die Nahversorgung vor.
    Grafik: Bauwelt

    • Social Media Items Social Media Items
    Der Masterplan 2020 sieht etwa 20 große Akut-Krankenhäuser und ebenso viele kleine Häuser für die Nahversorgung vor.

    Grafik: Bauwelt

Der dänische Krankenhausbau nahm 1757 seinen Anfang, König Frederik V. eröffnete das Rigs­ho­spitalet in Kopenhagen, das erste dänische Krankenhaus. Der König hatte einen Vorschlag seines Beraters, Graf Adam Gottlob von Moltke, aufgegriffen.Gut 200 Jahre später, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, erlebte Dänemark einen wahren Boom im Krankenhausbau.
1970: Medizinischer Fortschritt
Das Land reagierte damals auf den weltweiten medizinischen Fortschritt der vorangegangenen Jahrzehnte. Von einem pflegebasierten Umgang mit dem Patienten hatte sich die Versorgung in eine medizinisch-pflegerische Behandlung mit immer größer werdendem Heilungserfolg gewandelt. Medizinische Versorgung entwickelte sich von der Einzelfallanwendung hin zur Breitenversorgung. Dies zog Reformen und stetigen Änderungen an der baulichen In­frastruktur nach sich.
Die Entwicklung in Dänemark in den sech­ziger und siebziger Jahren stellte eine wesentliche Reformmaßnahme dar. Um die beste Behandlung des Patienten zu gewährleisten, wurden spezialisierte Fachabteilungen gebildet. Sie sollten unter einem Dach versammelt werden. Die Entscheidung, eine zentralisierte Klinikstruktur um nur begrenzt verfügbaren Fachabtei­lungen zu konzentrieren, war bereits 1932 mit einem Plan des „National Board of Health“ getrof­fen worden. In den sechziger Jahren bestand die Krankenhauslandschaft zum großen Teil aus kleinen, pflegeorientierten Häusern, die meisten sanierungsbedürftig. Sie sollten durch Bezirkskrankenhäuser mit mindestens fünfzig Betten und mindestens drei Abteilungen (Chirurgie, Innere, Röntgendiagnostik) ersetzt werden. Der Zentralisierungsprozess ging jedoch lang­samer voran als gewünscht, auch weil die zuständigen Bezirke zu klein waren. Um dies zu beschleunigen, wurde von 1968 bis 1973 die Verwaltungsreform durchgeführt, in der die für das Gesundheitswesen zuständigen Verwaltungs­bezirke („Amtskommunen“) vergrößert wurden. Die ursprünglich 25 Bezirke wurden auf 14 re­duziert. In der Folge hat die Zahl der Krankenhäuser kontinuierlich abgenommen. Gab es Anfang der siebziger Jahre noch zwei Drittel der ursprünglichen Krankenhäuser, so liegt ihre Zahl heute bei nur noch einem Drittel. Dies war das Ergebnis eines Baubooms in den sechziger und siebziger Jahren: ca. 1,8 Millionen Quadratmeter BGF, das entspricht etwa der Hälfte des dänischen Krankenhausbaus des 20. Jahrhunderts, konzentrierten sich auf diese zwanzig Jahre.
Der Zugang zum Gesundheitswesen soll unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten oder dem Wohnort des Einzelnen sein, dies ist eine Grundsatz der dänischen Politik. Bis in die späten sechziger Jahre hinein wurde die Entwicklung im Gesundheitswesen eher technisch als politisch gesehen. Die Verantwortung lag bei den Experten, insbesondere den Medizinern. Die politischen Parteien spielten eine eher reagierende Rolle. Die übergeordnete Gesetzgebung legte traditionell höhere Priorität auf die lokale Selbstverwaltung als auf die Herstellung eines landesweit gleichen Versorgungslevels mittels einer zentralen Steuerung. Die steigenden Ausgaben wurden als unabwendbare Konsequenz des medizinischen Fortschritts gesehen. Diese Kosten gerieten jedoch trotz des Wirtschaftsbooms zum politischen Problem, und so wurde politische Planung als ein Werkzeug der Krankenhauspolitik wichtiger. Von 1968 bis 1973 wurde, unter Führung des Finanzministeriums, ein langfristiger Plan für den gesamten öffent­lichen Sektor erarbeitet. Dabei stellte sich aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive auch die Frage nach der Angemessenheit der Ausgabensteigerungen, zugleich musste man sich aber auch mit der Frage nach der Priorisierung im Gesundheitswesen beschäftigen – Krankenhausausgaben versus Ausgaben für Primärversorgung und Prävention. In den frühen Neunzigern führte die Kostenbegrenzung bei verbesserten medizinischen Möglichkeiten u.a. zur Rationierung von Behandlungen und Operationen und zu teilweise lange Wartelisten und entsprechenden Protesten der Bevölkerung. Das Gesetz zur freien Krankenhauswahl von 1993 sollte den Wettbewerb zwischen den Häusern anstoßen und die Versorgung verbessern. Dies waren Vorläufer für den jetzt begonnen Reformprozess.
2020: „Qualität vor Nähe“
„Qualität hat Vorrang vor Nähe“, so lautet die Leitidee für die aktuelle Umbauplanung der dänischen Krankenhauslandschaft. Das medizinische Leistungsspektrum mit der dazugehörigen Spezialisierung ist weiter erheblich gestiegen, wobei eine immer größer werdende Zahl von Behandlungen ambulant erfolgt und die stationäre Behandlungsdauer von Patienten im Schnitt weiter gesenkt werden kann – so die dänischen Grundannahmen. Das Fazit daraus lautet: Eine entsprechende State-of-the-art-Versorgung kann in der bestehenden Struktur auf absehbare Zeit nicht sichergestellt und finanziert werden. Die verschiedenen Spezialisten sind zu verstreut angesiedelt und die Krankenhäuser noch zu stark auf stationäre Behandlung ausgerichtet. Die Spezialisten sollen daher in Zentren arbeiten, um ihre Erreichbarkeit besser sicherzustellen, die interdisziplinäre Arbeit zu fördern und die Qualität durch eine ausreichende Anzahl an Pa­tienten zu gewährleisten. Ergänzend sollen die ambulanten Kapazitäten der Krankenhäuser um etwa 50 Prozent ausgebaut und die Gesamtbettenkapazität um etwa 20 Prozent reduziert werden. Die stationären Bereiche, überwiegend mit Einbettzimmern, werden dabei auf behandlungsbedürftigere Fälle ausgerichtet.
Um die landesweite Versorgung für akute Fälle im teilweise schwach besiedelten Dänemark sicherzustellen, muss gleichzeitig die präklinische Notfallversorgung umgebaut und das Hausarztmodell weiter gestärkt werden. Ein wichtiger Baustein für die Steuerung des Zugangs zu den Krankenhäusern ist ein neues, landesweites Akut-Telefon für die leichteren Fälle. Dies wäre auch von großem Vorteil für die durch „Bagatellfälle“ beanspruchten Notaufnahmen
in Deutschland.
Als Grundvoraussetzung wurden 2007 die Bezirke in einer weiteren Verwaltungsreform in noch größeren Regionen zusammengefasst. Statt vierzehn gibt es jetzt nur noch fünf (!). Zur Finanzierung stellen der Staat und die Regionen 5,5 Mio. Euro in einem sogenannten Qualitätsfond als Sonderinvestition zur Verfügung. Die Planung der einzelnen Maßnahmen erfolgt in den Regionen. Für die übergeordnete Planung wird die Regierung durch das „Ekspertpanel“ beraten. Es handelt sich dabei um eine fünfköpfige Gruppe aus Medizinern, Architekten und Vertretern der Wirtschaft. Dieses Team, geleitet durch den Mediziner Erik Juhl, hat, an für Dänemark ungewöhnlich zentraler Stelle, weitreichende Kompetenzen. Es berechnet Kapazitäten, gibt Qualitätsrichtlinien und wirtschaftliche Kennwerte vor und lenkt die Mittelvergabe. In seinen Entscheidungen lehnt es sich u.a. an das bereits weitreichend umgebaute norwegische Krankenhauswesen an.
Neben der Qualitätsverbesserung sollen Einsparungen durch höhere Produktivität er­zielt werden – u.a. durch größere Einheiten, die Konzentration von Verwaltungs- und Technik­bereichen und eine Ausdehnung der wöchentlichen Betriebsdauer. Die Devise lautet: „Der Patient soll sich künftig nur wenn notwendig in den teuren Fachbereichen eines  Krankenhauses aufhalten.“
Die Konzentrationstendenz des 20. Jahrhunderts wird fortgesetzt und ein neuer Bauboom ausgelöst. Das Geld des Qualitätsfonds wird dabei landesweit in sechzehn Krankenhäuser investiert, als Neubau- oder Erweiterungsmaßnahme. Diese Häuser sollen im Wesentlichen die zukünftige Akut- und Notfallversorgung sowie die Versorgung mit Spezialisten sicherstellen und bis 2020 fertiggestellt sein.
Das langfristige Ziel ist eine landesweite Versorgung mit insgesamt rund zwanzig großen Akut-Krankenhäusern, die von etwa ebenso vielen kleineren Häusern für die Versorgung chronisch Kranker und die elektiven Behandlungen im Nahbereich ergänzt werden. Die Pla­nungen gehen von einer Personaleinsparung um etwa acht Prozent aus.
Für die Baumaßnahmen werden in der Regel Wettbewerbe mit Berwerbungsverfahren durchgeführt. Aufgrund der Projektgrößen fordern die Auslober oft die Bildung von Arbeitsgemeinschaften aus Architektur- und Ingenieurbüros. Dies ist in diesem Umfang aus deutscher Perspektive ungewohnt – genauso wie die gewerkschaftlich geregelten Arbeitszeiten der Architekten.
1970: Die perfekte Maschine
„Fly me to the moon – das Krankenhaus der Sechziger und Siebziger als perfekte Maschine, jedoch fehlt oft Tageslicht“, so beschreibt Jan Henrik Jansen, Architekt im Kopenhagener Büro JJW Architects, ein wesentliches Merkmal vieler dänischer Krankenhäuser. Das ist international typisch für Gesundheitsbauten dieser Epoche. Das fehlende Tageslicht bezieht sich meist auf die Untersuchungs- und Behandlungsbereiche. Um die ständig steigenden Kosten der medizinischen Versorgung zu senken, wurde die medizinische Behandlung verstärkt als logistischer Ablauf mit Parallelen zu industriellen Prozessen betrachtet. Die Bereiche mit einer ho­hen Dichte an funktionalen Abläufen wurden räumlich kompakter ausgebildet, um die Abläufe eng zu vernetzen. Dazu wurde die zur Verfügung stehende Technik intensiv genutzt, zum Beispiel Klimatisierung und Kunstlicht für in­nen liegende Räume sowie gebäudeinterne Transportsysteme und erste Datenverarbeitungs­systeme für die immer größer werdenden Strukturen. Der Umgang mit dem Menschen wurde dabei technischer betrachtet als heute. In Dänemark hatte damals aber auch Design und Kunst einen hohen Wert bei der Gestaltung der Krankenhäuser.
Das vermutlich radikalste Beispiel hierfür wurde 1976 in Herlev, im Südwesten Kopenhagens, fertiggestellt. Dessen 120 Meter hohe Kran­kenhausturm war lange Zeit der weltweit höchste seiner Art. Er wurde vom Künstler Poul Gernes (Foto Seite 16) als Gesamtkunstwerk ausgestaltet: von der Eingangshalle über die Bettenzimmer mit einer auf die jeweilige Himmelsrichtung abgestimmten Farbwahl bis hin zu den Lichtschaltern. Ein faszinierender Gesamteindruck, aber: Wie baut man ein Gesamtkunstwerk um?
2020: Tageslicht
Viel Tageslicht ist zur Zeit ein zentraler Punkt im dänischen Entwurfsprozess – nicht nur beim Krankenhausbau, sondern bei allen Gebäuden. Die durch den dänischen Gesetzgeber neu vorgeschriebene Menge an Tageslicht ist dabei deutlich höher, als in den schon hohen Anforderungen anderer skandinavischer Länder, ganz zu schweigen von den Vorgaben in Deutschland. In den aktuellen dänischen Krankenhauspro­jekten führt dies, im internationalen Vergleich, zu deutlich geringeren Gebäudetiefen und somit zu weitläufigeren Strukturen. Die ebenfalls höheren Raumflächenstandards verstärken
dies noch.
„Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“, so liest es sich direkt oder indirekt in den Wettbewerbsausschreibungen. Diese allgemein formulierte Zielstellung unterscheidet sich nicht von der der sechziger und siebziger Jahre.  Durch die Vorgaben des Gesetzgebers und der Wettbewerbsprogramme soll sie aber mit ganz anderen baulichen Mitteln erreicht werden. Neben dem Tageslicht und den Flächenstandards ist dabei auch der Bezug zum Außenraum und zur Landschaft ein wichtiges Thema.
Lars Steffensen, der als Partner im Büro Henning Larsen Architekten die Erweiterung des Herlev-Krankenhauses plant, sieht darin eine wichtige Möglichkeit, das räumliche Potenzial zu erweitern: „Man kann Krankenhäuser wie kleine Städte betrachten, als Orte mit aktiven und attraktiven Außenräumen.“ Eine diesbe­züglich im Rahmen des Masterplans 2020 in Dänemark heftig diskutierte Frage ist: Welche ist die richtige Gewichtung zwischen Tageslicht und Außenraumbezug im Vergleich zu Wege­längen und Flächenverbrauch?
1970: Ein großes Haus
Wir befinden uns in Hvidovre, einem kleinteilig bebauten Vorort südwestlichen von Kopenhagen. Mittendrin liegt das kommunale Hvidovre Hospital, eine Ikone des skandinavischen Krankenhausbaus, 1962 aus einem Wettbewerb hervorgegangen. Es ist der erste Flachbau, der gegen das damalige Dogma vom Bettenhochhaus entstanden ist. Der Baukörper, 400 Meter lang und 200 Meter breit, ist kompakt und funktional, klar und verständlich in einfache geometrische Baukörper gegliedert: ein eingeschossiges Plateau mit eingeschnittenen Höfen im Erdgeschoss und aufgesetzten zweigeschossigen Bettenhäusern. Im Untergeschoss befinden sich die Tiefgarage und der automatische Warentransport, im Erdgeschoss alle Untersuchungs- und Behandlungsbereiche und darüber die Technik. Der Dachgarten, der größte in Dänemark, legt sich wie ein Landschaftsteppich über diese Struktur. Einziges vertikales Element ist der Schornstein des Heizwerks. Aufgebaut auf nur einem Grund­raster über alle Geschosse, hat die Klinik den Veränderungen bis heute standgehalten. Torben Mogensen, Vizedirektor und seit den siebziger Jahren Arzt im Haus, ist begeistert von der weitsichtigen Planung: „Durch die modulare Stahlbetonskelettkonstruktion und die flexiblen inneren Wände können wir ständig umbauen. Das hat uns über die Jahre gerettet.“ Die Qualität der verwendeten Materialien und der Möblierung ist so hoch, dass sich die Klinik nach fast vierzige Jahren nahezu im Originalzustand zeigt: Wo man auch ist hat man einen dänischen Designklassiker neben sich.
„Die Dänen waren uns in vielem voraus“, sagt Peter Maron (Architekten Maron.Rinne, Berlin) und meint damit den gesamtkonzeptionellen Vorbildcharakter, den dieses Gebäude auf deutsche Krankenhausplanungen ausübte, von Lichthöfen bis in die Tiefe, über die Flexibilität und Variabilität der Grundraster über alle Ebenen bis zu den in der Fassade liegenden Sanitärzellen. Deutlich sichtbar wird dies am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck und dem Humboldt-Klinikum in Berlin.
2020: Clinical families
Am Stadtrand von Aarhus, im Stadtteil Skejby, umgeben von Gewerbebauten, werden auf dem Gelände des bestehenden Krankenhauses alle klinischen Einrichtungen der Stadt zusammen­gefasst. Das Neue Universitätskrankenhaus DNU von den Architekten C.F. Møller in Zusammen­arbeit mit Cubo Arkitekter A/S wird daher groß. Es könnte noch größer sein, wenn es nach dem Wettbewerb 2007 und nach langem politischen Tauziehen nicht doch noch eine Reduzierung des Kostenbudgets von 1,61 Mrd. auf 854 Mio. Euro gegeben hätte. Dessen ungeachtet ist die ursprüngliche Wettbewerbsidee weiter aktuell, ein Beweis für deren Flexibilität.
In Aarhus entsteht ein Krankenhausbau ei­ner neuen Generation, das typisch für den Masterplan 2020 ist: Eine ausgedehnte Gebäudeanlage als „Gesundheitsstadt“, in der Krankenversorgung, Forschung und Lehre zusammenfasst werden. Dafür wird ein Netzwerk aus verschiedenen Funktionen und Fachkliniken in­stalliert, das sich in sieben Einheiten mit eigenständigen Funktionen – den sogenannten Clinical Families – aufteilt. Die diesem Netzwerk zu Grunde liegende Struktur ist ebenfalls wie eine „Stadt“ geplant, mit Zentrum und Unterzentren, umfangen von einer Ringstraße. Städtisch wirkt auch die Höhenentwicklung: Eine Abfolge von außen niedrigen und im Zentrum hohen Gebäuden.
Die Basis bilden zweigeschossige ziegelverkleidete Sockelgebäude mit Funktionsbereichen für Untersuchung und Behandlung, auf denen als dritte Ebene ein Technikgeschoss liegt. Teilweise sind auf diese Sockelbauten viergeschossige weiße Bettenhäuser aufgesetzt. In der gesamten Souterrain-Ebene der Neubauten befinden sich die universitären Einrichtungen, die Geländemodulation ermöglicht deren Belichtung.
In Dänemark sind basisdemokratische Planungsabstimmungen üblich. Seine Erfahrungen für das DNU und Abstimmungen mit über 600 Nutzern bringt Tom Danielsen, Partner bei C.F. Møller, so auf den Punkt: „Don’t make big user groups. Use representative democracy!“
1970: Zwei Welten
Vom Vorplatz werden wir in eine langgestreckte Halle geführt, direkt hin zur Information. Die Wand gegenüber der Fensterfront ist vollständig mit einem Holzrelief verkleidet. Warme Farben und solide Materialien bestimmen die Atmosphäre.
Mitten im Raum führt eine große offene Treppe in die obere, lichtdurchflutete Welt des Hauses mit der 400 Meter langen Hauptmagistrale und den ihr angelagerten Bettenhäusern mit den Pflegestationen. Diese Magistrale präsentiert sich als eine angenehm proportionierte Wandelhalle, beidseitig mit freiem Blick auf die Dachgärten, sogar mit Austritten auf die davorliegenden Terrassen. Auf der anderen Seite befinden sich hinter transparenten Wänden ein Café, der Friseur, die Mensa für das Personal, die Kapelle und Sitzungsräume. An den vier Kreuzungspunkten mit den Bettenhäusern, den sogenannten Centern, lagern sich vertikale Verteilungen in alle Geschosse an. Über diese können Patienten, Personal und Besucher auch aus der Tiefgarage die jeweiligen Center direkt
erreichen. Große farbige Zahlen markieren deren Eingänge im Gebäude.
Ein zweiter Weg führt aus der Eingangshalle geradezu durch ein Nadelöhr. Man taucht vom natürlich belichteten Bereich in die Welt des eingeschossigen Untersuchungs- und Behandlungsbereichs, in den Bauch einer allein von den Funktionen bestimmten „Maschine“: lange Flure, viel Neonlicht, wenig Atmosphäre. Hanne Gundelach von der Bauabteilung des Krankenhauses spricht von zwei völlig getrennten Welten, zum einen die funktionale Maschine im Sockelbau, fast ohne Tageslicht, und zum anderen der darüberliegende Pflegebereich mit Ausblick auf den Dachgarten.
Für diejenigen, die vorab wissen wo sie hin müssen, ist es eine Klinik der kurzen Wege. Trifft man jedoch das erste Mal hier ein, und dann noch zur Hauptzeit, zeigt das System mit der Tiefgarage deutlich seine Grenzen auf. Man muss außerhalb parken, weil die den Centern zugeordneten Plätze schnell belegt sind.
2020: Vernetzt
Im Zentrum liegt das 17-geschossige Haupteingangsgebäude. Es ist zugleich das Herz der Krankenhausstadt, das Forum genannt wird. Hier befinden sich die Verwaltung, Konferenzräume, Labore, das Patientenhotel sowie kulturelle und kommerzielle Nutzungen. Gewünscht ist der Austausch der Spezialisten aller Fachzentren aus Lehre, Forschung und Wissenschaft an einem Ort.
Die Eingangshalle im Forum präsentiert sich spektakulär. Über acht Geschosse streckt sie sich als frei geformtes Raumgebilde dem Himmel entgegen. Unter allen interdisziplinären Projektbeteiligten wird das Forum in seiner Bedeutung und Berechtigung kontrovers diskutiert. Tom Danielsen von C.F. Møller benutzt hier jedoch bewusst „architektonische Elemente mit Symbolcharakter“, denn ein solch großes Krankenhaus wie Skejby „braucht ein starkes Image“. Nur eine geringe Zahl, etwa zwanzig Prozent, der Patienten, des Personals und der Besucher werden über diesen Haupteingang kommen. Alle anderen wissen vorher, wo sie hin müssen. Sie werden durch ein aus­geklügeltes Leitsystem geführt und erreichen in der Regel über die Ringstraße den Eingang der jeweiligen Fach­kliniken. Deren Eingangshallen werden, so Tom Danielsen, durch die Verwendung unterschied­licher Materialien als „indi­vi­duelle und identifizierbare Adressen“ zu er­kennen sein.
Über einen dreigeschossigen Luftraum verzahnen sich die universitäre Souterrainebene und die darüberliegenden Untersuchungs- und Behandlungsbereiche. Einer der funktional wichtigsten Eingänge des Komplexes ist der des Akut-Centers als Anlaufpunkt für die Notfall­patienten. Intern sind alle Gebäude auf den unteren drei Ebenen über ein komplexes Gang­system miteinander verbunden.
1970: Der Tunnel und der Teppich
Wir befinden uns im Center 3 in der Hauptmagistrale des Untersuchungsgeschosses. Zwei Krankenschwestern auf roten Tretrollern sausen vorbei. Sie verschwinden genauso schnell in dem endlosen Labyrinth aus neonbeleuchteten Haupt- und Nebenfluren wie sie gekommen sind. Ohne Fenster verliert man schnell die Orientierung, nur farbige Linien auf dem Boden und große Ziffern weisen den Weg. „Wenn man nur einmal um die Ecke geht, findet man seinen Weg, biegt man zweimal ab, ist man verloren!“, so Lasse Søager, Architekt in der Bauabteilung des Krankenhauses. Die kompakte und kleinteilige Grundrissstruktur der Behandlungsbereiche erzeugt zwar kurze Wege für das Per­sonal, den Patienten aber fehlt eine Hierarchie zur Orientierung. Nur wenige der Behandlungsräume liegen an den Lichthöfen, in die meisten fällt kein Tageslicht.
2020: Zeilenstruktur
Beim Projekt für das DNU sind die Untersuchungs- und Behandlungsbereiche in einem versetzten Raster zeilenartig angeordnet. Jede Nutzung wird durch transparente Arkaden und Gänge gefasst. So kann man von jedem Ort aus die Hochhäuser des Forums sehen und sich orientieren. „Dafür kämpfen wir!“, sagt Tom
Danielsen, Architekt bei C.F. Møller.
Das durchgängig gewählte Zweibundsystem bietet jedem Raum Tageslicht, erzeugt jedoch lange Wege für das Personal und die Pa­tienten. Die Gebäude sind als reine Hüllstruktur zu verstehen. Eine Grundforderung des Bauherrn ist die absolute Flexibilität in Hinsicht auf inhalt­liche Verschiebungen im weiteren Planungsprozess und zukünftige Änderungen nach Fertigstellung. Diesem Schema folgend sind zum Beispiel üblicherweise als ortsfest betrachtete Bereiche wie Operationssäle durchaus räumlich flexibel.
1970: Quick in – slow out
Der Durchschnittsaufenthalt des Patienten liegt in den sechziger Jahren deutlich über einer Woche. Das bedeutet extensive Versorgung – längerer Aufenthalt bei geringerer Pflege. Eine kompakte Bettenstation mit 58 Betten ist unterteilt in vier Einheiten mit jeweils 2x14 und 2x15 Betten, organisiert in Ein-, Zwei- und Vierbettzimmern. Der räumlich beengte und tief in den Stationen liegende Pflegestützpunkt wird von den Patienten schwer aufgefunden. Seine Lage an den Innenhöfen bietet nur eine ein­geschränkte Belichtung, er ist nach Ansicht der Schwestern zu offen. Kommunikations- und Sitzbereiche für Patienten und Angehörige befinden sich in Nischen an den Lichthöfen und an der Magistrale. Der Patient entfernt sich allerdings nur ungern aus der Station, daher plant man derzeit einige Bettenzimmer zu Aufenthalts-, Ess- oder Personalräumen um. Für die Untersuchungen wird der Patient nach unten in die Behandlungsebene gebracht.
2020: Intensive Betreuung
Im Schnitt liegt der Patient in der Zukunft nur wenige Tage im Krankenhaus, so die Annahme auf Grundlage der bisherigen Entwicklung. Wer auf dieser Station liegt, ist sehr krank und benötigt eine intensive Betreuung. Um diese zu gewährleisten ist die 24-Bettenstation in drei Pflegegruppen mit jeweils acht Einbettzimmern unterteilt. Jede Pflegegruppe besitzt einen eigenen Personalteamraum mit Balkon. Die personelle Besetzung richtet sich nach dem Bedarf und dem Krankheitsbild des Patienten. Das zweibündige System mit den drei Flügeln bietet klare Sichtbeziehungen aus dem Pflegestützpunkt und kurze Wege zu den Bettenzimmern der jeweiligen Gruppen. Für die Kommunikation und die Mobilisierung des Patienten gibt es auf der Station mit dem Aufenthaltsraum, Essraum und Balkon großzügige Angebote. Soweit möglich finden alle Behandlungen im Zimmer statt. Der Patient steht im Mittelpunkt, das klinische Personal kommt zu ihm.



Fakten
Architekten JJW Architects, Kopenhagen; Gernes, Poul (1925-1996); Henning Larsen Architekten, Kopenhagen; Krohn + Hartvig, Rasmussen, Kopenhagen; C.F. Møller mit Cubo Arkitekter A/S, Aarhus; Radgivergruppen DNU, Aarhus
aus Bauwelt 17.2012
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.