Bauwelt

Die Strand-Promenade von Benidorm


Der Paseo de Poniente


Text: Macher, Julia, Barcelona


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    Alejo Bagué

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Die Architekten Carlos Ferrater und Xavier Martí Galí haben für ihre Promenade von Benidorm in Spanien bereits viel Lob erfahren und Preise erhalten. Die lange heftig kritisierte Hochhaus-Ferienstadt des Pauschal-Tourismus aus den sechziger und siebziger Jahren erhielt ein ihrem Image angemessenes Äußeres aus unserer Zeit.
Als wolle sie den Wellengang des Mittelmeers nachahmen, zieht sich die von Carlos Ferrater und seinem Schwiegersohn Xavier Martí Galí entworfene Strandpromenade entlang der Playa de Poniente von Benidorm: eine weiße, vier Meter hohe Betonmauer, die in sanftem Schwung mal ein paar Meter nach vorne ragt, sich dann wieder zurückzieht – im Profil konkav gewölbt wie eine brechende Welle. Auf ihr ruht der eigentli­che Paseo: ein breites Band aus bunten Keramikkacheln, das den Schwung sowohl in der Linienführung wie auch im Farbverlauf – in 22 Schattierungen von Blau über Grün zu Gelb, Orange hin zu Rot – aufnimmt und weiterführt. Selbstredend sind auch die Treppenauf- und abgänge, die Rampen zum Strand gerundet. „Unsere Entwürfe gehen immer von geome­trischen Formen aus“, erklärt Carlos Ferrater, „die passende geometrische Form für Benidorms hedonistischen, fröhlichen Charakter sind eben Wellen und Kurven.“
Benidorm als Modell
Der letzten Sommer eröffnete, knallbunte Paseo de Poniente, für den das Architekturbüro aus Barcelona in diesem Jahr unter anderem den höchstdotierten spanischen Architekturpreis der Keramikfirma Saloni erhielt, versprüht Lebensfreude. Insofern kann man ihn durchaus auch als Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins von Benidorm verstehen. Denn die Hochhausagglomeration an der Costa Blanca, lange als Inbild des schlechten Geschmacks verschrien, gilt seit einigen Jahren als Vorzeigemodell für nachhaltigen Massentourismus: Die Auslastung der 126 Hotels soll ganzjährig bei 90 Prozent liegen; der tägliche Pro-Kopf-Wasser-Verbrauch bei gerade 140 Litern – in Càlvia auf Mallorca sind es zum Beispiel 250 Liter. Auf einem Prozent der Fläche produziert das ehemalige Fischerdorf, das sich in den fünfziger Jahren per großzügigem Bebauungsplan und mutiger Erlaubnis zum Bikini-Tragen in ein Ferienparadies verwandelt hatte, vierzig Prozent des touristischen Brutto-Inlandsprodukts der Region Valencia. Mit zwei, drei Hochhausstädten wie Benidorm bekäme man quasi die gesamte spanische Ostküste „ferienhausfrei“.
Benidorm sei nicht nur ein Musterbeispiel in Sachen Effizienz, sondern verfüge auch über eine intakte Sozialstruktur – mit Bewohnern, die stolz auf ihren Ort sind, erzählt Ferra­ter, dessen Büro das 13,3 Millionen Euro teure Projekt nach einem gewonnenen Wettbewerb vor acht Jahren gestaltet hat. „Wir haben Benidorm das gegeben, was es am wenigsten hat: öffentlichen Raum. Unsere Promenade ist eigentlich ein viereinhalb Hektar großer Stadtpark.“ Den notwendigen Platz hat man sich auf zwei Arten erobert: Zum einen wurde der vierspu­rige Küstenboulevard in eine reine Anwohnerstraße verwandelt, so dass der Paseo in Teilbereichen bis zu dreißig Meter breit ist, zum anderen arbeitet der Entwurf geschickt mit den vier Metern Höhenunterschied zwischen Straße und Strand. Die sanft abfallenden Rampen funktionieren wie Zwischenebenen. Durch die konkaven Schwünge hat man außerdem 3000 Quadratmeter Strand dazugewonnen. Auf der Strand­ebene verläuft parallel zum Paseo ein vier Meter breites Band aus geölten Ipe-Holzplanken, in das Leuchten eingelassen sind, welche die weißen Betonwände abends in dramatisches Licht tauchen.
Rosmarin und Tamarinden
Als „Promenadenpark“ lädt Ferraters und Martís Bauwerk nicht nur zum Flanieren, sondern auch zum Verweilen ein: Der Weg verläuft als farblich leicht voneinander abgesetztes Doppelband, streng genommen also als zwei Wege, die mal parallel verlaufen, sich dann wieder leicht anheben und absenken oder überkreuzen. Durch das gegenläufige Auf und Ab entsteht bisweilen ein kleiner Höhenunterschied, der Platz für Aussichtsplattformen mit Sitzbänken oder kleine Gärten mit Rosmarin, Tamarinden und anderen autochthonen Pflanzen schafft: die Bruchstelle als Blumenbeet. An anderen Stellen geben die sich überschneidenden Bänder Aussparungen frei, in die die Architekten Treppen gesetzt haben, die ebenfalls in schwungvollem Bogen zum Strand hinführen. Wer unten angekommen nach oben blickt, sieht durch die Aussparung ein Stück blauen Himmels aufblitzen. „Gottesaugen“ hat Ferrater diese Betonbuchten mit Oberlicht genannt. Sie sind nicht nur ästhetisch reizvoll, sondern auch praktisch: Von Sonne und Stadttrubel geschützt, kann man dort in die Strandkleidung schlüpfen.
„Auch aufsehenerregende Architektur muss die Bedürfnisse ihrer Nutzer ernst nehmen“, sagt Ferrater und erzählt halb verwundert, halb stolz, dass der Paseo de Poniente eines der wenigen Projekte sei, das sowohl Anwohnern, Bürgervereinen als auch der Stadtverwaltung und der Fachpresse gefallen habe und dazu seinen städteplanerischen Zweck erfüllt: Der im Vergleich zur benachbarten Playa de Levante etwas in Vergessenheit geratene Strand hat seit der Eröffnung des Paseo wieder mehr Besucher.
Das Einzige, was Puristen Ferraters leicht an Gaudí erinnerndem Bauwerk vorwerfen mögen, ist, dass es als Erholungsraum vielleicht etwas zu sehr mit dem Strand konkurriert, mehr Grenze als Übergang ist. Insofern ist es gewissermaßen ein Gegenmodell zu der von Oriol Bohigas mit viel Holz gestalteten Promenade an der Playa de Levante, in der Bucht östlich des alten Fischerdorfs von Benidorm. Die schon ältere Promenade des Architekten und Stadtplaners, der maßgeblich das olympische Barcelona gestaltet hat, verläuft ebenerdig und verwischt die Grenzen zwischen Strand und Stadt. Die Lichtergirlanden, die sich über seinen Boulevard spannen, finden sich übrigens auch am olympischen Hafen von Barcelona: Bohi­gas hat in Benidorm geübt. Solche Aha-Erlebnisse hat man beim Gang durch die Stadt mit der früher einmal zweithöchsten Hochhausdichte weltweit häufiger. „Wir waren schon immer ein Experimentierfeld für Architekten und Stadt­planer“, erzählt Stadtarchitekt José Luis Camarasa. Architektonisch mag in den letzten vierzig Jahren dabei manch Zweifelhaftes entstanden sein, stadtplanerisch hat Benidorm Schule gemacht. Als Bürgermeister Pedro Zaragoza Orts 1956 die Trans­formation des Fischerdorfs in einen Touristenort einläutete, schwebte ihm eine Gartenstadt mit breiten Alleen, Parks und Gärten vor. Man hat dann allerdings die damals favorisierten vier- bis fünfstöckigen Gebäuderiegel „auf den Kopf gestellt“ und „übereinandergestapelt“. Die Idee dazu soll, so Camarasa, den Stadtplanern 1963 beim Spiel mit Zigarettenschachteln gekommen sein: In hohen Türmen ließen sich viel mehr Menschen unterbringen, ohne an Benidorms Faustregel etwas zu verändern: Nur dreißig Prozent eines Grundstücks dürfen überbaut werden. Die Gebäudehöhe ist bis heute nicht reglementiert, und so nimmt der Wettbewerb um den höchsten und schlanksten Wolkenkratzer kein Ende: 1963 entstand mit der Torre Coblanca das erste Hochhaus, 1985 durchbrach die Torre Levante mit 120 Meter Höhe die Hundert-Meter-Marke, derzeit entsteht die 210 Meter hohe Wohnresidenz „In Tempo“, ein über eine kegelförmige Brücke verbundener Doppelturm. Der Bebauungsplan aus den Fünfzigern weist noch immer freie Baugrundstücke auf. Es könnte noch weiter verdichtet werden. Natürlich huldigt Ferraters Paseo de Poniente auch diesem radikalen Bekenntnis zur Vertikalität: „Wir wollten eine Art horizontalen Wolkenkratzer bauen, einen Sockel, der die Stadt auf eine Bühne hebt.“ Nach fünfzig Jahren hat sich Benidorm einen großen Auftritt verdient.



Fakten
Architekten Carlos Ferrater, Xavier Martí Galí (OAB), Barcelona
aus Bauwelt 32.2010

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