Bauwelt

Die Tabakfabrik in Linz


Einer der konsequentesten Industriebauten der Moderne


Text: Redecke, Sebastian, Berlin


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    Foto: Christian Schepe

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Moderne in Linz? Die zukunftsweisende Großform, ein Spätwerk von Peter Behrens in Zusammenarbeit mit Alexander Popp, passt nicht in das Bild, wenn man an die dreißiger Jahre denkt, kurz vor dem „Anschluss Österreichs“, und an die Rolle,
die der Stadt während des Nationalsozialismus zugedacht war.
2009 war Linz – neben Vilnius – die Kulturhauptstadt Europas. Im gleichen Jahr erwarb die Stadt das Areal der Tabakfabrik. Der letzte private Eigentümer, der weltweit operierende Konzern Japan Tobacco International, hatte dort noch kurze Zeit produziert. Dann kam das Aus. Seitdem ist die Stadt mit der Aufgabe konfrontiert, eine neue Nutzung zumindest der denkmalgeschützten Bauten der frühen dreißiger Jahre zu finden. Andere Orte in der Stadt, neue, bei Dunkelheit in Farben erstrahlende Kulturbauten wie das Lentos Art Museum (Bauwelt 23.2003), verkörpern ein ganz anderes, im Heute veranker­tes Bild der Industriestadt. Dafür sind EU-Gelder geflossen, und Linz hat sich zur „Kulturstadt“ gewandelt, wie man es sich bei einem Kulturhauptstadtjahr wünscht. Die Fabrik, ein Juwel der Stadtgeschichte, steht derweilen aber leer.
Ein großer Teil der Bauten stammt von Peter Behrens und Alexander Popp. Sie wurden ab 1928 geplant und im November 1935 in Betrieb genommen. Behrens starb Anfang 1940. Der Österreicher Popp (1891–1947) war später Industriearchitekt im Büro Herbert Rimpl und plante u.a. Bauten für die Linzer Reichswerke AG „Hermann Göring“, heute die Vöest-Alpine Stahlwerke. Der westliche Teil der Tabakfabrik, vor allem die Blocks für das Hochregallager und den Verkauf, ka­men erst in den achtziger Jahren dazu, realisiert wurden sie von den Architekten Suter + Suter.
Große aufgegebene, aber geschützte Industrieareale in der Stadt oder an ihrem Rand sind Themen, mit denen sich heute die meisten Städte befassen müssen. Bei der Linzer Fabrik handelt es sich um ein faszinierendes Baudenkmal nicht nur hinsichtlich der Architektur-, sondern auch der Industriegeschichte. Die Tabakfabrik steht zudem an einem besonderen Ort in Zentrumsnähe – nur etwa einen Kilometer östlich vom Linzer Hauptplatz entfernt. Die Stadt hat hier die Chance, mit einer gut überlegten und prägnanten Neunutzung weit über Oberösterreich hinaus ein Zeichen zu setzen. Parallel zu den Planungen der Stadt haben sich auch andere auf die Suche nach Zukunftskonzepten gemacht und gehen damit an die Öffentlichkeit. Mit großem Engagement wirkt hierbei die „Umbau­werkstatt“ des Architekturforums Oberösterreich (afo). Noch befindet sie sich in der Phase der Entwicklung von Projektstrukturen und Bewertungskriterien. Im Sommer und Herbst letzten Jahres wurden Teile der Fabrik für Veranstaltungen genutzt, zum Beispiel für das Ars Electronica Festival „Repair“. 
Das Buch zur Eröffnung der Fabrik, das 1936 erschien, als die Nationalsozialisten die Stadt Linz bereits fest im Griff hatten, führt uns mit zahlreichen Erläuterungen und Abbildungen vor Augen, welche innovativen Ideen vor allem in den Gebäuden der Zigarettenproduktion und der Pfeifenproduktion steckten. Kai Mühlmann, einer der Autoren, beschreibt den 226 Meter langen Bau der Zigarettenfabrik: „Einem Schiffskörper gleich erstreckt er sich siebengeschossig in leichter Kurve über die gesamte Langseite des Geländes. Das künstlerische Hauptmotiv der Fassadenausbildung, die Horizontalgliederung durch die von hohen Treppentürmen unterbrochenen durchlaufenden Fensterbänder, klingt in den übrigen Bauten weiter und wird zum bestimmenden dekorativen Prinzip.“ Der Grund, das Hauptgebäude in eine Kurve zu legen, war ein rein praktischer, weil das Grundstück an der Ludlgasse die Form ergab und man keine Bruchpunkte haben wollte. Mühlmann weiter: „Auch das Eigenartige, gleichsam Schwebende der betont horizontal gegliederten Fassade ergibt sich notwendig aus den besonderen Bedingungen des Stahlskelettbaus. Das Mauerwerk, seiner tragenden Funktion entkleidet, liegt als bloße Hülle an den Außenseiten des Stahlgerippes, die Mauer rückt deshalb vor die Konstruktion, und ihrer Auflösung in eine einzige horizontale Fensterflucht, die den Arbeitsräumen das höchste erreichbare Maß an Licht spendet, steht nichts mehr im Wege.“ 
Die Entschiedenheit und Klarheit der gewählten Gestalt zeigt die „Moderne“ der Gebäude. Und das ist noch nicht alles, denn auch dem Detail wurde besondere Beachtung geschenkt. Im Hinblick auf die Konstruktion wurden bei der Planung Vergleichsstudien zwischen Stahlskelett und Eisenbeton ange­stellt. Maßgebend soll dabei gewesen sein, dass während des Baus und nach Fertigstellung Änderungen in der Aufstellung der Maschinen zu erwarten waren, die sich bei Stahlskelettbauten leichter durchführen ließen. Neuartig war auch die „moderne Klimatisierungsanlage“. Bei der Zigarettenproduktion musste ausreichend feuchtwarme Luft bei stets gleicher Temperatur gegeben sein. Hofrat Karl von Nonnenmacher erläutert im Buch von 1936 den rein kommerziellen Aspekt: Durch das Anfeuchten der Tabake, ermöglicht durch die Klimatisierung, konnte das Mischungsverhältnis der verwende­ten Tabaksorten so verändern werden, dass die Menge der billigeren Sorten gegenüber den teureren vergrößert wurde.
Wichtige Dinge gilt es nun zu bewahren, und doch müssen neue Aufgaben gefunden werden, die die historischen Gebäude verändern. Die Bauten der frühen achtziger Jahre sind hingegen nicht von Belang und stehen zur Disposition. Damit wäre hier eine Neubebauung möglich, die vom Stadtzentrum aus gesehen ein Zeichen setzt und so das Bild der Gesamt­anlage erheblich verändern könnte. Es bedarf in jedem Fall ei­ner großen und auf viele Jahre hin tragfähigen Idee, um dem Fabrikareal in seiner Dimension gerecht zu werden.
Das Interview
Bei einem fiktiven Interview mit Peter Behrens, das Thomas Philipp und Lorenz Potocnik von der Linzer Umbauwerkstatt (Seite 28) führten, reagiert der Architekt eher sachlich auf die Frage, welche Nutzung er sich für seine Bauwerk vorstellen könnte: „Meine Herren, danke für die Einladung. Wie Sie sich denken können, war ich schon lange nicht mehr hier, in Linz und in diesem von mir geplanten Gebäude. Gleich vorweg, das mit dem Denkmalschutz ist so eine Sache, nicht? Einerseits ist es wunderbar, wenn wertvolle Bauwerke geschützt werden, andererseits wird es dadurch unmöglich, substanzielle Änderungen vorzunehmen. Ich meine, der alte Bau aus dem 17. Jahrhundert, die frühere Linzer Wollzeug- und Teppichfabrik und spätere alte Tabakfabrik, hatte aus architektonischer Sicht auch einiges für sich, aber niemand hätte sich damals aus Denkmalschutzgründen gegen den Neubau ausgesprochen. Denkmalschutz für einen Industriebau – undenkbar! Man war im Gegenteil trotz der Wirtschaftskrise 1929 erpicht auf einen Neubau, und die Tabakfabrik war ja zur damaligen Zeit in ihrer Ausdehnung und in ihrer Einrichtung das modernste Fabrikgebäude dieser Art in Mitteleuropa...“
Drexel und Zweier
Geht man heute die Ludlgasse mit der leicht geschwungenen Fassade der Tabakfabrik entlang, sieht man gegenüber, wo sich früher die Landesfrauenklinik befand, mehrere Großbau­ten. Die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft der Stadt errichtet hier auf einem 35.000 Quadratmeter großen Areal ein neues Quartier mit 415 Wohnungen (Foto Seite 16). Die Archi­tekten Reinhard Drexel und Gerhard Zweier aus Hohenems bauen als deutliche Abgrenzung zur Ludlgasse, also direkt vis-à-vis der alten Zigarettenfabrikation von Behrens und Popp, einen sechsgeschossigen Gebäuderiegel. Dahinter entstehen „Punkthäuser“. Dass das Quartier nach dem Abriss der Klinik städtebaulich neu eingebunden wird, ist sicher richtig. Der Gebäuderiegel ist jedoch durch seine Lage, Dimension und Gestalt als Pendant zu Behrens und Popp mehr als fragwürdig.



Fakten
Architekten Peter Behrens (1868–1940), Alexander Popp (1891–1947)
Adresse Ludlgasse 19 tabakfrabrik 4020 linz


aus Bauwelt 7.2011
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