Bauwelt

Dortmunder Liebfrauenkirche


Urnenbestattung in der Grabeskirche


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Werner Huthmacher

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Die Umnutzung zum Kolumbarium sollte den Bestand der Dortmunder Liebfrauenkirche für Stadt und Gemeinde sichern. Volker Staab hat für die heute alltägliche, aber eigentlich „unchristliche“ Kremation eine Raumidee umgesetzt, die dem traditionellen Erdbegräbnis verpflichtet ist.
Die katholische Liebfrauenkirche in Dortmund hat Glück gehabt: Als Ende 1956 aus 19 Dekanaten der Erzbistümer Köln und Paderborn und 10 Dekanaten des Bistums Münster das neue „Ruhrbistum“ mit Sitz in Essen gebildet wurde, blieben die Dortmunder Katholiken dem Paderborner Erzbischof zugeordnet. Wäre der Grenzverlauf seinerzeit 25 Kilometer weiter östlich festgelegt worden – wer weiß, welche Geschichte um die Kirche in der Amalienstraße heute aufzuschreiben wäre. Denn der neugotische Bau des Architekten Friedrich Schmidt (1825–1891), zur Weihe 1883 als erster Kirchenneubau außerhalb des Dortmunder Stadtkerns das sakrale Zeichen für die industrialisierungsbedingte Expansion der Stadt, war von seiner schrumpfenden Gemeinde nicht länger zu halten, und wie achtlos man im Nachbarbistum mit einem solchen Kirchenbau umzugehen pflegt, zeigte vor wenigen Jahren auf besonders drastische Weise der vom Probst persönlich verfügte Fensterausbau in der ebenfalls neugotischen Bochumer Marienkirche – den Verfall des leer stehenden Gebäudes wollte der Probst damit beschleunigen, um möglichst schnell Platz für eine neue Nutzung des Grundstücks zu gewinnen (Bauwelt 5.2006).
Im Erzbistum an der Pader, das gemeinhin als Repräsentant einer konservativen Spielart des Katholizismus gilt, agiert man in einer solchen Situation vorsichtiger. Für die Dortmunder Liebfrauenkirche fand man eine angemessene neue Bestimmung: Als Ort für (christliche) Urnenbestattungen bleibt sie nicht nur den Gläubigen als sakraler Raum erhalten, sondern allen Dortmundern als ein Baudenkmal, dass mit seinem backsteinernen Turmhelm die Silhouette der Stadt seit 130 Jahren prägt. Und dank des im letzten Jahr abgeschlossenen Umbaus ist das Kirchengebäude für Architekturinteressierte nicht nur als Dokument des Historismus und Werk eines österreichisch-katholischen Architekten von schwäbisch-protestantischer Herkunft besuchenswert, sondern auch als herausragendes Beispiel der Architektur der Gegenwart.

Urnenbestattung, räumlich neu gedacht


Herausragend – das Adjektiv ist nicht zu hoch gegriffen. Denn Volker Staab hat mit seinem Team eine ganz neue Vorstellung davon entwickelt, wie sich die dem christlichen Ritus eigentlich fremde Urnenbestattung räumlich so vollziehen lässt, dass sie sich anreichert mit Assoziationen an die christliche Erdbestattung und sich dabei in den dominierenden Raum einpasst – ein Ansatz, der im Wettbewerb zu Recht mit einem von zwei vergebenen ersten Preisen bedacht worden ist (der andere ging an die Künstler Lutzenberger & Lutzenberger, die die Prinzipalstücke im Chor gestalten durften). Die übliche vertikal organisierte Unterbringung der Urnen spielt in der Grabeskirche also eine untergeordnete Rolle; sie findet sich nur in der Mitte des südlichen Seitenschiffs, wo eine Art „Apothekerschrank“ Urnen mit der Asche von Obdachlosen aufnimmt, und in der im Turm gelegenen Josefskapelle, wo ein Gemeinschaftsgrabfeld geschaffen worden ist. Haupt- und Seitenschiffe der Stufenhalle hingegen werden von einem flachen Arrangement dunkler, blockhaft wirkender Körper aus Baubronze eingenommen, die, wenn man sich zwischen ihnen bewegt, an das Gräberfeld eines Friedhofs denken lassen. Mit diesem Eindruck korrespondiert auch, dass die Urnen von oben in diese Grabblöcke eingelassen werden und nicht von der Seite wie bei konventionellen Urnenwänden. Und ebenso korrespondieren damit die bronzenen Grabplatten, welche auf den bestatteten Urnenkammern liegen, und die ihnen mit einem Stecksystem zur Seite gestellten Blumenvasen und Kerzenständer. Letztere werden von der Grabeskirchenverwaltung gestellt, bei den Grabplatten aber haben die Hinterbliebenen die freie Wahl – vorgegeben sind nur Typographie und Schriftgröße. Willkommen dürften auch die Sitzbänke sein, die die Architekten in die Bronzeblöcke integriert haben und die zur ruhigen Zwiesprache mit den Toten einladen. Der Anblick der in den Grabfeldern sitzenden Angehörigen wiederum verbindet sich ganz selbstverständlich mit der Erinnerung an die frühere Nutzung der Kirche, als sich außerhalb der Messen vereinzelte Gläubige in dem großen Raum verteilten – heute wie damals sind es vor allem alte Frauen. Gerade ihnen dürfte der Bestattungsort Liebfrauenkirche ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben, das sich auf einem Friedhof mit seinen undurchsichtigen Hecken und Büschen nicht immer einstellen mag; vor dem sprichwörtlichen Handtaschenräuber muss sich hier jedenfalls niemand fürchten.

Kirche vs. Friedhof 2:0

Gegenüber einem Friedhof bietet die Grabeskirche aber auch zwei architekturbedingte Vorzüge: Pfeiler und Fenster. Beide prägen die Qualität dieser Umnutzung maßgeblich. So ordnen sich die Bronzeblöcke um die acht Pfeiler des Langhauses und schaffen auf diese Weise kleinere Räume im Kirchenschiff, die das Auffinden einer Grabstätte erleichtern. Jeder Pfeiler ist ei­nem für die Stadt Dortmund oder für das Erzbistum Paderborn wichtigen Namenspatron gewidmet; man sucht das Grab seines verstorbenen Angehörigen oder Freundes also nicht im Feld „1-Süd“ oder „3-Nord“, sondern bei „Liborius“ oder „Bruder Jordan“. Die häufig mit der Urnenbestattung in Verbindung gebrachte Anonymität wird dadurch gemildert, der Verstorbene nochmals einem besonderen Schutz unterstellt, was das Gefühl von Schmerz und Ohnmacht bei gläubigen Angehörigen vielleicht lindert, jedenfalls aber eine Art von Gemeinschaft stiften kann, die ins Leben der Angehörigen hinein wirkt.
Trost spendet nicht zuletzt das Licht, das die farbige Verglasung vor allem des südlichen Seitenschiffs in die Grabeskirche bringt: An einem freundlichen Frühsommertag zaubert die Sonne abstrakte Farbflächen auf die dunklen Grabquader, die es so mit jeder Blumenwiese aufnehmen können und an das flirrende Licht unter sommerlichen Laubbäumen denken lassen – mit dem Unterschied, dass das bunte Fensterglas auch die Wintersonne färbt.



Fakten
Architekten Staab Architekten, Berlin
Adresse Liebfrauenkirche Amalienstraße 21, 44137 Dortmund


aus Bauwelt 26.2012
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