Druckerei wird Stadtbücherei
Text: Baus, Ursula, Stuttgart
Mit einem lang gestrecken Einschnitt in der Decke schaffte es Gerd Baldauf, die denkmalgeschützte Tonnenhalle der Pausa-Druckerei für Einrichtungen der Stadt Mössingen zu öffnen. Zugleich wurden die Spuren der einstigen Nutzung mit viel Verständnis bewahrt.
Bis heute wird erschreckend selten und unfassbar spät anerkannt, was Menschen jüdischen Glaubens hierzulande geleistet haben. Auch in Mössingen, in der schwäbischen Provinz, südlich von Tübingen, hat man sich ein halbes Jahrhundert Zeit damit gelassen, an die Verdienste jüdischer Unternehmer im Ort zu erinnern. 1919 hatten die aus dem vogtländischen Pausa stammenden Brüder Felix und Artur Löwenstein hier die Textildruckerei Pausa gegründet. Aufgeschlossen für die Gegenwartskultur, bedruckte das Unternehmen auch Bauhaus-Stoffe – was man erst 2009 auf Initiative eines privates Vereins herausfand. 1936 waren die enteigneten Löwensteins nach England geflohen, die damals noch kleinen Kinder kamen erst 2009 auf einen Besuch wieder in den Ort. Unter den Nationalsozialisten war der Betrieb an die Firmengruppe Burkhardt-Greiner gegangen, die unter anderem Verdunkelungsstoffe fertigte. Nach dem Krieg setzte Willy Häussler als Unternehmensleiter konsequent auf modernes Stoffdesign und arbeitete mit Künstlern wie Hap Grieshaber und Anton Stankowski zusammen. Die Pausa-Geschichte endete 2004 unrühmlich in der Insolvenz; es kann nicht allein daran gelegen haben, dass Einrichtungsstoffe von Ikea auf den Markt kamen – doch Spekulationen führen hier zu weit. Übrig blieben jedoch die hervorragenden Industriebauten, die der Architekt Manfred Lehmbruck (1913–1992) in den Jahren 1951 bis 1962 geplant hatte.
Um diese Bauten – die Textildruckhalle, einen Verwaltungsbau, ein Heizhaus, eine Kantine und ein Werkstattgebäude – schien es schlecht bestellt zu sein, als ein Investor an eben jener Stelle einen Fachmarkt bauen wollte. Noch rechtzeitig konnte das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt werden, und damit war die Stadt in die Verantwortung für den Erhalt genommen. Beraten vom Büro Baldauf Architekten und Stadtplaner, wurden Nutzer gesucht – zunächst für die 80 Meter lange, 30 Meter tiefe und zweigeschossige „Tonnenhalle“. Im Obergeschoss dieser Halle standen die bis zu 65 Meter lange Drucktische von Pausa, unten hatten die Farbküche, die Druckschablonen und später ein Designatelier ihren Platz.
Umnutzung
Die Bausubstanz der Halle war ausgezeichnet. Das Obergeschoss war auch dank großer Oberlichter in den Betonschalen hell und schien damit gut umzunutzen zu sein – stockfinster aber war es im Erdgeschoss der Stahlbetonkonstruktion, die von einer Mittelstützenreihe getragen wird. Und es hatten sich auch Nutzer gefunden: Für etwa die Hälfte des Obergeschosses mit etwa 1000 Quadratmetern die Stadtbibliothek, und im Erdgeschoss sollten die Diakonie sowie der Regionalverband Neckar-Alb einziehen. Die dazu passende entwurfsstrategische Entscheidung der Architekten darf nun als rettende Idee gewürdigt werden: In einer Deckenhälfte planten sie einen Einschnitt von 50 Metern Länge und etwa 6 Metern Breite, um mit Tageslicht und Raumhöhe dem Erdgeschoss seinen finsteren Schrecken zu nehmen. Zur einen Seite des Einschnitts fand die Diakonie, zur anderen der Regionalverband Platz; die mittige, 700 Quadratmeter große Raumzone ist mit zwei Podesten und einem Vortragsraum für rund achtzig Personen genutzt. Dominant ist jedoch eine elegante Rampe aus Leichtbeton, die in Feldmitte auf einer V-Stütze lagert. Ohne den erheblichen Deckeneinschnitt wäre es schwierig geworden, der Tonnenhalle neues Leben einzuhauchen.
Innen: Der Einschnitt
Der Tragwerksplaner war gefordert, weil im Rampenbereich mehrere Unterzüge ihrer Durchlaufwirkung beraubt wurden. Daraus resultierten Lastumlagerungen, die Träger waren überbeansprucht und mussten ertüchtigt werden. Es wurden Kohlefaserlamellen aufgeklebt. Außerdem koppelte der Rampenträger die beiden Hallenteile über eine Gebäudefuge hinweg – deswegen mussten Lagerungen verformungsfähig ausgebildet und die Differenzkräfte dem Rampenträger zugewiesen werden.
Außen: Sanieren und Dämmen
Am äußeren Erscheinungsbild der Tonnenhalle durfte nichts verändert werden – von den beiden Stirnseiten abgesehen: Auf einer Seite erhielt hier die Stadtbibliothek einen „Lese-Erker“, auf der anderen Seite profitiert ein Sitzungszimmer von einem breiten Panoramafenster. Die Hauptfassaden und die Dachkonstruktion sanierten die Architekten nahezu detailversessen: Im Sockelbereich fehlten Fliesen in einem heute handelsunüblichen Format, und in Brandenburg fand sich eine Ziegelei, die Ersatzziegel brannte. Die Fenster im Obergeschoss wurden aufgearbeitet, und die Architekten fanden ein Sonnenschutzglas, das eben nicht – wie an der Ulmer Hochschule für Gestaltung – blau spiegelt. Man darf sich ohnehin über die wieder hergestellte Farbkomposition der Ursprungsfassung freuen. Auf den bestens erhaltenen, sechs Zentimeter dicken Dachtonnen ist die einstige, nur drei Zentimeter dicke Teerkorkdämmung durch eine 14 Zentimeter dicke Wärmedämmschicht ersetzt worden, von der man am Ortgang jedoch nichts sieht. Nur akribische Werkplanung und sorgsame handwerkliche Ausführung werden mit dermaßen überzeugendem Ergebnis belohnt.
Materialien, Details
Nachgerade leidenschaftlich kümmerten sich die Architekten um den Erhalt von allem, was ihnen die Lehmbruck’sche, meisterliche Architektur noch so vielfältig bot. So sind die feinen Geländer von damals nicht ersetzt, sondern mit höheren Stahlscheiben aufgedoppelt worden. Fast alle Innenwände sind aus Glas, um den Gesamteindruck der ursprünglichen Halle zu bewahren – und, wo möglich, zu überhöhen. Wo – wie in der Bibliothek – nach kleinteiligen Räumen, Leseecken und -nischen verlangt wurde, sind sie so entworfen, dass sie der Wahrnehmung des Gesamtraums nicht im Wege stehen. Schlichte Neonröhren beeinträchtigen das Erscheinungsbild der Betontonnen nicht im geringsten. Zwar zwang die Unversehrtheit der Außenwand zu einer Innendämmung. Sie ist gleichzeitig schallabsorbierend ausgearbeitet und so dezent, dass sie gar nicht auffällt. Alle Installationen sind im 18 Zentimeter starken Fußbodenaufbau untergebracht. Heizkörper aus der Ursprungszeit wurden restauriert, und man muss sagen: Solche Liebe zum alten Detail trägt nicht nur erheblich zum stimmigen Ganzen bei, sondern verträgt sich auch exzellent mit der neuen Nutzung. Neu, und auch das tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch, sind die Böden: Gussasphalt-Terrazzo in den halböffentlichen Bereichen, dunkelgrauer Teppichboden in den anderen Zonen. Neu und doch im Sinne des alten Industriebaus ist ein kleiner Deckenabschnitt im Bereich des Bücherei-Cafés mit Glasbausteinen bestückt. Natürlich forderte, wie immer, der Brandschutz einen Tribut. Die Glaswände leisten hier einiges. Und ohnehin musste die Obergeschosshälfte, in der eine Art „Pausa-Museum“ eingerichtet ist, gegenüber der Stadtbibliothek räumlich abgeschlossen sein. Im Museum steht noch einer der langen Drucktische; und auch die vollständig erhaltene Farbküche im Erdgeschoss erinnert an die Arbeitsweise in der Textildruckindustrie. Installationen, die keine Dienste mehr leisten, sind erhalten geblieben, Farbspuren an den Wänden nicht abgekratzt oder übertüncht.
Die Tonnenhalle ist aber nur ein Teil des Ensembles, die Chancen für eine Umnutzung der gegenüberliegenden Pausa-Bauten stehen nicht gut. Man darf nichts unversucht lassen, um hier am unlängst „Löwensteinplatz“ benannten Ort den Wert des Ensembles zu erhalten. Was in der Nachbarschaft durch einen Drogeriemarkt angerichtet wurde, spottet jeder Beschreibung und lässt das Schlimmste befürchten.
Fakten
Architekten
Architekt 1951: Manfred Lehmbruck (1913–92) Architekten Umbau 2005–11: Baldauf Architekten und Stadtplaner, Stuttgart; Gerd Baldauf
Adresse
Jakobstraße 14 72116 Mössingen
aus
Bauwelt 33.2012
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