Bauwelt

Druckerhöhungsanlage



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Michael Heinrich

    • Social Media Items Social Media Items

    Michael Heinrich

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    • Social Media Items Social Media Items

Ein Stück Stadttechnik wie eine Skulptur wirken zu lassen, das war das Ziel von Molter Linnemann Architekten aus Kaiserslautern. Die Assoziationen, die ihrem Entwurf zugrunde liegen, haben beim Bauherrn eine kaum vorhersehbare Dynamik entfacht.
Wäre alles wie immer gelaufen, stünde heute am westlichen Stadteingang von Kaiserslautern ein Stadttechnik-Gehäuse, über das vermutlich keine weiteren Worte zu verlieren gewesen wären. An dieser Stelle, inmitten eines kreuzungsfreien Schnellstraßen-Kleeblatts, wurde eine Druckerhöhungsanlage (DEA) erforderlich, um das lange Zeit über eigene Brunnen versorgte US-Army-Wohnquartier Vogelweh an die städti-sche Wasserversorgung anzuschließen. Die Verantwortlichen der Technischen Werke Kaiserslautern (TWK) ließen sich von Kerstin Molter und Mark Linnemann davon überzeugen, dass eine Anlage dieser Größe – zumal in dieser Lage – einer gestaltenden Hand bedarf. Im Jahr zuvor hatten beide Parteien beim Umbau des Wasserwerks „Rote Hohl“ zum „Haus des Wassers“ gute Erfahrungen miteinander gemacht (Bauwelt 10.2009).
 
Bauen im Niemandsland

Damit kam ein Prozess in Gang, dessen Verlauf nicht nur die Architekten überrascht hat, die sich mit Verve der kleinen Bauaufgabe annahmen. Ihre Fragen lauteten: Wie verschleiert man die Größe des Gebäudes, die von der innewohnenden Technik determiniert wird? Wie bettet man den Baukörper
in ein Umfeld ein, das fast ausschließlich aus dem fahrenden Auto wahrgenommen wird? Es konnte dabei eigentlich nur um die Gestaltung der Hülle gehen. Als konzeptionelle Ankerpunkte dienten zwei für die Stadt Kaiserslautern wichtige Nachbarn: im Süden die Vogelweh Housing, ein Wohngebiet für Angehörige der US-Army, im Norden das Opel-Werk. Als formales Bindeglied zwischen Armee und Automobilindustrie stießen die Architekten auf eine Tarnungsmethode namens Dazzle Painting. Diese kontrastreiche, unregelmäßige Zeich­nung, durch die sich ein Körper in seiner Bewegungsrichtung und Kontur kaum einschätzen lässt, wurde schon im Ersten Weltkrieg zur Tarnung von Kriegsschiffen eingesetzt; die Auto­branche schützt auf diese Weise bis heute ihre „Erlkönige“ – Prototypen auf Testfahrt – vor Design-Plagiatoren.
Die Architekten „verzerrten“ das Volumen der DEA zu einem prismenähnlichen Körper, um aus allen Blickrichtun­gen möglichst unterschiedliche Ansichten zu erzeugen und so den Verfremdungseffekt, der sich bei der Umfahrung einstellt, optimal zu nutzen. Tatsächlich entsteht durch all die scheinbar beliebig verlaufenden Streifen hin und wieder eine Kipp­figur, je nach Perspektive wirken die Flächen mal wie gefaltet, mal zerlegt das Auge alles in unterschiedliche Bestandteile. Auf die Ortbetonhülle wurde eine Holzunterkonstruktion aufgebracht, die eine Stehfalzeindeckung aus weiß, schwarz und grau beschichtetem Blech trägt. Große Sorgfalt wurde dabei auf die handwerkliche Verarbeitung gelegt, die allein schon wegen der Anschlüsse stark vom Üblichen abweicht.
 
Vexierbild im öffentlichen Raum

Mark Linnemann hatte bereits 1998 im Amsterdamer Büro NL Architects eine vergleichbare Box realisiert: die preisgekrönte Wärmetauschstation WOS 8 nahe Utrecht (Bauwelt ­1–2.
1999), die mit ihrer schwarzen PU-Beschichtung und einigen Freizeit-Features drohendem Vandalismus trotzte. In Kaiserslautern war die Lage insofern brisanter, als die Trinkwasserversorgung der US-Wohnbauten durch den kommunalen Versorger als ein Akt partnerschaftlicher Vertrauensbildung verstanden wurde. Entsprechend hoch ist das Sicherheitsbedürf nis; zur Eröffnung im September waren ranghohe Militärs anwesend. Die Aufmerksamkeit, die die zaunlos dastehende DEA Vogelweh-Kleeblatt auf sich zieht, erfüllt somit auch den Zweck der öffentlichen Wachsamkeit.
Das Innenleben der DEA hingegen ist vergleichsweise trivial, war aber dennoch Ausgangspunkt für eine überraschende Fortsetzung der Planungsgeschichte. Obwohl unbemannt betrieben, finden sich zwei Toiletten an der Nord­ost-Ecke des Gebäudes. Der Grund dafür liegt in der Bushalte­stelle „Vogelweh“, an der die Fahrer hin und wieder eine Pause einlegen und also eine entsprechende Einrichtung benötigen. Der Bauherr, der zugleich Betreiber des Nahverkehrsnetzes ist, war für die Idee, auch einen seiner Busse mit einem Dazzle Paint­ing zu überziehen, schnell zu gewinnen. Molter und Linnemann lieferten auch hierfür einen Entwurf. Der Erlkönig-Bus durchquert seither mehrmals täglich in seinem Tarnkleid die Stadt. Wofür wirbt er? Für einen Bauherrn, der zu Recht stolz auf seine Courage ist? Für die Architekten, die hartnäckig und augenzwinkernd zugleich agierten? Für eine Stadt, deren einst starke Standbeine – Militär und Automobil – heute wackeliger sind als je zuvor?



Fakten
Architekten Molter Linnemann Architekten, Kaiserslautern
Adresse PariserstraßeKaiserslautern


aus Bauwelt 28.2010
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

3.2025

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.