Eindhoven
Öffnung eines Campus der sechziger Jahre
Text: Rapp, Christian, Eindhoven; Colenbrander, Bernard, Eindhoven; Borret, Kristiaan, Antwerpen; Kröger, Sven, Berlin
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Potentiaal-Gebäude
Foto: Stadtverwaltung Eindhoven
Potentiaal-Gebäude
Foto: Stadtverwaltung Eindhoven
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Die Hochschulareale der fünfziger und sechziger Jahre sind Schlüsselstellen bei der Frage, wie sich die Gesellschaft transformiert. Neben der überkommenen Gebäudetechnik lässt heute vor allem die verschachtelte Erschließung den Eindruck enstehen, der typische Campus der Moderne sei ein schwer zu verändernder Dinosaurier.
Der Umbau eines architektonisch bedeutsamen Fakultätsbaus bot der Technischen Universität Eindhoven die Möglichkeit, über neue, flexible Konzepte nachzudenken. Die wichtigste Frage: Mit welchen Mitteln lässt sich der öffentliche Raum aktivieren?
Scharfsinnige Erweiterungen gefordert | Der Universitäts-Campus in Eindhoven ist eine Art architektonischer Themenpark. Der damalige Planer und Architekt des Campus, Samuel van Embden, strebte nach einer industriellen Architektursprache, obwohl es sich ja nicht um eine Produktionsstätte handelte. Es ging damals um den Bau der zweiten technischen Universität der Niederlande, angesiedelt in der „Philips-Stadt“ Eindhoven – der Industriecharakter lag insofern nahe. Als der Campus in den fünfziger Jahren angelegt wurde, befand er sich in einer fast unberührten ländlichen Peripherie. Van Embdens Entwurf veranschaulicht, wie großzügig und reich funktionalistische Planungen der Moderne sein können. Die Grünanlagen ziehen sich ruhig zwischen den Gebäuden hindurch, bilden Gärten und säumen den Campus an den Rändern. Die Gebäude sind in orthogonaler Disposition in die Landschaft gestreut, mal als Flachbauten, mal als Scheibe, mal niedrig, mal hoch. Verbindungsbrücken in Höhe des ersten Obergeschosses bilden ein zweites, erhöhtes und wettergeschütztes Verbindungsgefüge. Im Blick von oben ähnelt der Plan einem schottischen Karo oder auch einem dreidimensionalen Mondrian.
Mehr als ein halbes Jahrhundert später liegt der Campus nicht mehr in der Peripherie, sondern mitten in der Stadt. Die Anpassungen und Erweiterungen des Gebäudeareals mit „zeitgemäßer“ Architektur in den neunziger Jahren sind dem ursprünglichen Campus-Charakter nicht bekommen. Ende der neunziger Jahre wurde Grund und Boden mit allen Gebäuden vom niederländischen Staat auf die Technische Universität übertragen. Diese wurde so, einigermaßen unvorbereitet, vom Nutzer zum integralen Gebietsentwickler. Für einen „Neustart“ des Campus gab es sowohl architektonische als auch funktionelle Argumente. Die Universität zieht sich künftig mit ihren Kernfunktionen auf eine kleinere Fläche, den sogenannten „kompakten Campus“, zurück. Die anderen Bauten werden mit externen Partnern neu entwickelt. Komplementäre Nutzungen wie studentisches Wohnen, Fachhochschulen, privatwirtschaftliche Institute und technisch orientierte Start-up-Unternehmen werden sich ansiedeln. Es geht um größere programmatische Vielfalt, aber auch um eine Reanimierung des Campus als soziales Umfeld. Gerade in diesem Zusammenhang kommt der Umgestaltung des sogenannten Potentiaal-Hochhauses, dem einstigen Fakultätsgebäude für Elektrotechnik, zum University College und Studentenwohnheim große Bedeutung zu. Die Intentionen des Themenparks von van Embden sind dabei eine wichtige Inspiration gerade auch im Umgang mit der Architektur. Das vorhandene Repertoire besteht aus flachen oder schlanken Gebäuden, zumeist allseitig orientiert, mit den für die fünfziger und sechziger Jahre typischen reduzierten Glasfassaden der Bauingenieure. Vom Großen bis zum Kleinen liegt System in dieser modernistischen Landschaft – fast eine Art Gesamtkunstwerk. Neue wie renovierte Gebäude sollen zu Stärkung dieser Landschaft beitragen. Gefordert ist eine ebenso schlichte wie scharfsinnige Architektur, die mancher für ärmlich halten wird, die aber in Wirklichkeit als Reichtum betrachtet werden darf. Christian Rapp und Bernard Colenbrander
Entschleunigte Stadtentwicklung | Jede Medaille hat zwei Seiten. Wegen der heftigen Immobilienkrise in den Niederlanden brechen die großmaßstäblichen Stadterneuerungsprojekte weg – dafür kommen neue Ansätze zum Zuge. Künftig ist nicht mehr Expansion, sondern Transformation von Stadt das Ziel. Wie überall in Europa sprießen auch in den Niederlanden interessante Alternativen aus dem Boden: Stadtentwicklung von unten, temporäre Eingriffe oder urbane Erneuerung mit Mikro-Interventionen. Das Europan-11-Projekt in Eindhoven entspricht einem Typus transformativer Stadtentwicklung, die die bestehenden städtischen Strukturen eher umnutzt, als sie zu ersetzen. Anstatt den beeindruckenden Campus der Nachkriegsmoderne abzureißen – eine kostspielige Lösung, die längst obsolet geworden ist – werden die Bauten aus der Zeit nach dem II. Weltkrieg aufgewertet, indem man Fehlendes ergänzt: Mischnutzungskonzepte, Diversifizierung, hybride Funktionalität, veränderbare Strukturen und sichtbare historische Dimension. Subtil und überzeugend nimmt der Siegerentwurf von Daniel Zarhy Eingriffe am Potentiaal-Bau vor, ohne dessen Architekturkonzept, das der Nachkriegsmoderne verpflichtet ist, zu verleugnen. Der Campus wird künftig nicht mehr ausschließlich zum Arbeiten, sondern auch zum Wohnen genutzt werden. Kristiaan Borret
Das sogenannte „Potentiaal-Gebäude“ ist ein herausragender Teil des Ensembles, das Samuel van Embden in der ersten Planungsphase des Universitäts-Campus der TU/e in Eindhoven von 1957 bis 1965 geplant und gebaut hatte. Im Zuge einer Neuentwicklung und Nachverdichtung des Areals sollen zusätzliche kulturelle Funktionen und Wohnnutzungen in das Hochhaus und die angrenzenden Flachbauten integriert werden. Das Programm des Wettbewerbs strebt nach einer Lösung, die die landschaftlichen, städtischen und kulturellen Qualitäten der Campusanlage stärkt. Außerdem sind Energieeffizienz sowie ein Nachdenken über die sozialen und kulturellen Angebote gefragt. Die Lage des Gebäudes zwischen den an den Campus grenzenden Grünräumen und der designierten neuen Hauptverkehrsachse De Zaale forderte von den Entwerfern auch eine Auseinandersetzung mit der Forderung nach einer „sanften Erschließung“ des Campus.
Composition IX, Opus 18 | Eindhoven 1. Preis
Die Grundideen des Masterplanes aus den fünfziger Jahren werden zeitgemäß adaptiert, das Leitbild der grünen Campus-Landschaft wird ergänzt. Eine neu konzipierte, kompakte Erschließungsform erzeugt Zwischenräume, die auf selbstverständliche Art Platz schaffen für neue Interaktionen zwischen Studenten, Wissenschaftlern und neuen Bewohnern. Der öffentliche Raum ist das bestimmende Entwurfselement. Er fließt von den Zwischenräumen in die Gebäude hinein bzw. durch sie hindurch. Dessen bewusste Gestaltung ist in unterschiedlichen Maßstabsebenen dargestellt, sie ist sowohl in den Grundrissen wie
in den Schnitten ablesbar. Die architektonischen Eingriffe sind generell eher zurückhaltend, dort wo sie zum Tragen kommen, lassen sie sich meist auf die konsequente Verbesserung des öffentlichen Raums zurückführen. Das Corona-Gebäude, das direkt an das Potentiaal-Hochhaus angedockt war und einer umseitigen Erschließung im Weg stand, wird durch ein neues, frei stehendes Gebäude ersetzt. Ein neuer, gemeinsamer Eingangsbereich erschließt das neue Corona und das sanierte Potentiaal-Gebäude. Im Corona-Gebäude sind Multifunktionshallen und Restaurants untergebracht – sie schließen direkt an das +1-Ebene-Wegenetz des Campus an. Das Potentiaal-Hochhaus wird im Inneren saniert. Die Fassade wird bis ins Stützenraster zurückgeschoben, es entsteht Platz für neue Balkone, und die Grundrisse werden um eine Reihe von neuen Wohntypologien ergänzt. Die einzelnen Räume werden zu Clustern zusammengefasst, die um eine gemeinschaftliche Flächen gruppiert werden. So lassen sich verwinkelte Korridore vermeiden. Sven Kröger
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