Elmshorn - die Transparenz der kommunalen Selbstverwaltung
1961-97
Text: Höhns, Ulrich, Oldenbüttel
Das Rathausgebäude von Hans Mensinga und Dieter Rogalla steht unter Denkmalschutz. Technische Probleme machen eine Sanierung erforderlich. Dabei dürfte die Originalsubstanz leiden, der Esprit der Architektur aber könnte gerettet werden.
Rudolf Hillebrecht, Herbert Jensen und Ernst May, die drei Schwergewichte des norddeutschen Nachkriegs-Städtebaus, empfahlen 1960 den Standort an der Schulstraße zwischen Altem Markt und Bahnhof für den ersten Bau eines Rathauses in Elmshorn. 1961 wurde ein Bauwettbewerb unter den freien Ar-
chitekten der vier norddeutschen Bundesländer ausgeschrieben. Das Preisgericht unter dem Vorsitz von Ernst May, zeitweise vertreten von Godber Nissen, bewertete 86 eingereichte Arbeiten und entschied sich einstimmig für den Entwurf der Hamburger Architekten Hans Mensinga und Dieter Rogalla. 1964 begannen die Bauarbeiten, 1967 war das Haus fertiggestellt. 2009, nach Bekanntwerden von in Eigenregie der Stadt geplanten Sanierungsarbeiten, die das Erscheinungsbild des Rathauses gravierend verändert hätte, wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Seitdem findet eine streckenweise polemisch geführte Debatte um die Bedeutung des Hauses, seine Stärken und Schwächen, seinen realen und kulturhistorischen Wert statt, die bisher zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat. Voraussichtlich wird aber schon in Kürze eine Lebenszyklusberechnung des Hauses vorliegen und als letzte, ausschlaggebende Grundlage für die Entscheidung des Rates der Stadt dienen.
Hans Mensinga (1928–1984) und Dieter Rogalla (Jahrgang 1932) waren bis zu ihrem Wettbewerbserfolg Mitarbeiter im Hamburger Büro von Ingeborg und Friedrich Spengelin. Rogalla, der 1957 aus Ost-Berlin geflohen war, hatte davor auch bei Hermann Henselmann gearbeitet. Mit dem Rathausprojekt machten sich beide selbständig. Sie schätzten die Moderne, genauer gesagt, den International Style, wie er sich in der Nachkriegszeit etablierte und zunehmend plastischer in den Baukörperdispositionen wurde. Mit ihrer kühnen, dabei stilsicheren Arbeit landeten sie einen sensationellen Coup in der kleinen, heute knapp 50.000 Einwohner zählenden Industriestadt, die ungeachtet ihrer räumlichen Nähe zu Hamburg bis dahin noch nie mit der Architekturmoderne in Berührung gekommen war. Die Vorbilder lagen in diesem Fall auch nicht dort, sondern in Dänemark. Es ist evident, dass für den Entwurf des viergeschossigen Riegels mit filigraner Curtain Wall, der sich mit einer seiner Stirnseiten über einen quer dazu angeordneten eingeschossigen Flachbau schiebt, das 1956 fertiggestellte Rathaus in Rødovre von Arne Jacobsen und Erik Møller Pate gestanden hatte – bis hin zum Interieur: von der im Material minimierten, aufgehängten Stahltreppe bis zu den raumhohen und wandbreiten Einbaumöbeln. Vielleicht haben die Architekten es im Heft 29 der „Bauwelt“ des Jahres 1957 entdeckt, wo es zusammen mit weiteren Arbeiten Jacobsens publiziert worden ist. Nachdem sie den Wettbewerb gewonnen hatten, besuchten sie den vorbildhaften Bau in dem westlichen Vorort Kopenhagens gemeinsam mit Stadtvertretern, um im Detail zu studieren, ob Jacobsen hier mit geometrischer Präzision und formeller Eleganz tatsächlich jenen „Höhepunkt seines Ikonoklasmus“ erreicht hatte, wie es ihm seine beiden Biografen Carsten Thau und Kjeld Vindum später zuschrieben.
Das Elmshorner Rathaus zeigt zwar wie sein Vorbild in Rødovre eine Tendenz zur Ablösung von historischen Vorbildern, verfolgt dies aber nicht mit derselben Radikalität. Es ist jedoch genauso konsequent in der Durcharbeitung der Baukörper und entschieden in der Architektur – von der Disposition der Anlage im Stadtbild bis hin zum Innenausbau, der integraler Bestandteil der Architektur ist. „Der Innen- und der Außenraum eines Bauwerkes sind eine Einheit. Und gerade bei einem so anspruchsvollen Bauwerk sollte diese formale Einheit aller Teile bis hinunter zum Aschenbecher unbedingt gewahrt werden“, formulierte Dieter Rogalla zur Bauzeit seinen Anspruch, der nicht zufällig an das Werkbundideal erinnerte. Unterschiede zum dänischen Haus bestehen vor allem in der maßstäblich genauen Einbindung des Elmshorner Baus in einen heterogenen Stadtraum, zu dem auch Höfe und Rückseiten anderer Häuser gehören, sowie in der klassischen Aufgliederung des Baukörpers in einen Sockel, eine Zone der Obergeschosse und ein Dachgeschoss. Unter den in Schleswig-Holstein ohnehin raren Zeugnissen einer aussagestarken, innovativen, in sich stimmigen Nachkriegsmoderne ist es das wichtigste Beispiel seiner Art und eigenständig genug, um aus dem Schatten des nordischen Nachbarn herauszutreten. Zudem bezeichnet es genau den Wechsel von der spielerischen Leichtigkeit der fünfziger Jahre hin zur strukturellen Härte in der Architektur der sechziger Jahre.
Die feine Fassade
Das Haus wurde 2009 recht spät und genau genommen erst anlässlich des Beginns der öffentlich geführten Auseinandersetzung um seine Sanierung und seinen Fortbestand in Rettungsabsicht unter Denkmalschutz gestellt. Zu seinen herausragenden Qualitäten zählt natürlich die leichte Rasterfassade, eine der frühen Vorhangfassaden im norddeutschen Raum, mit hochrechteckigen Schiebefenstern, die, nach unten gezogen, sich oben öffnen, und Brüstungen aus tiefblauen, emaillierten, aber nicht glänzenden und auch nicht ganz planen Metallblechen, die deshalb je nach Lichteinfall entweder dunkel erscheinen oder aber ein weitgefächertes Farbspektrum wie ein Öltropfen in einer Wasserpfütze entfalten. Strukturieren die dunklen Bleche das Haus horizontal und gliedern die Fassade bandartig, so betonen die relativ kräftigen Metalllisenen der Konstruktion, an die innen die Raumtrennwände anschließen, die Vertikale. Die Folge ist ein ruhender Eindruck des Baukörpers, bei dem die Geschossigkeit als Gliederungsprinzip im Vordergrund steht. Anders aber als in Rødovre spielt sich dies in Elmshorn ausschließlich in den drei Obergeschossen des langgestreckten Baukörpers ab, dessen Seitenansichten umlaufend von einem Band aus hellem Marmor gerahmt werden. Die schmalen, den Körper betonenden Stirnseiten der Obergeschosse hingegen sind geschlossen und mit hellen, querformatigen Marmorplatten verkleidet. Dadurch ruhen die drei Obergeschosse wie eine autonome Form auf einem transparenten, weit offen verglasten Erdgeschoss mit zwei sich gegenüberliegenden Eingängen. Das Erdgeschoss ist etwas schma-ler als die Obergeschosse, weil seine Fassadenlinie geringfügig hinter deren Flucht zurückgezogen ist. Die marmorverkleideten Stützen des Skelettbaus stehen deshalb an den Längsseiten frei. Gekrönt wird der 67 Meter lange, Ost-West-ausgerichtete Gebäuderiegel von einem außermittig angeordneten, nach Süden verschobenen Staffelgeschoss, das etwas weniger als die Hälfte der Dachfläche für sich beansprucht. Durch seine großflächige Verglasung im Drei-Meter-Raster unterscheidet es sich wesentlich vom engeren Fensterraster der Obergeschosse, sodass sich der gläserne Baukörper mit schmaler Attika wie ein elegantes Penthouse auf dem Dach abzeichnet. Es könnte durchaus ein Ausschnitt aus dem Bonner Kanzlerbungalow von Sep Ruf sein. Ursprünglich als Kantine vorgesehen, wurden jedoch von Beginn an auch hier Büroräume eingerichtet, deren Sonderstellung innen verborgen bleibt.
Das wichtigste Element zur Herausstellung der Bedeutung und Funktion des Hauses ist der breite, eingeschossige Querbau, der sich am Südende des Hauses unter ihm durchschiebt. Erst durch diese Zuordnung und räumlich nachvollziehbare Verteilung der Gewichte zwischen Repräsentation und Verwaltungsdienstleistung wird aus dem Bürobau ein Rathaus. Nach Osten tritt der flache, marmorverkleidete Querbau weiter hervor und nimmt hier den großen Ratssaal auf, außen gekennzeichnet durch ein erhöhtes kreisrundes Dach mit umlaufendem Oberlichtband. Nach Westen ragt er dagegen kürzer vor und bietet Raum für die Kassenhalle. Hohheits- und Zweckform werden sinnbildlich miteinander vereint, ohne dass dabei die eine Funktion über-, noch die andere unterbewertet wird. Auch nach Süden erstreckt sich der flache Baukörper deutlich über die Stirnseite des Riegels hinaus und fügt sich dort maßstäblich in den gemeinsam mit der benachbarten Wohn- und Geschäftshausbebauung gefassten Straßenraum ein. Der geringe Höhenabstand der beiden unterschiedlichen Baukörper des Rathauses von nur 30 Zentimetern ist ausreichend, um den Eindruck zu erwecken, als schwebe der hohe Bauteil über dem flachen. Innerhalb des Flachbaus ist diese Zäsur durch ein kleines gläsernes Atrium mit umlaufenden Gängen mit holzverkleideten Rückwänden ebenfalls deutlich sichtbar.
Problem Raumklima
Das optisch so leichte und transparent wirkende Haus bereitet seinen Nutzern seit langer Zeit massive Probleme, und das schwächt die Absicht zusätzlich, dieses herausragende Bauzeugnis der sechziger Jahre zu erhalten – eine Epoche, die uns zeitlich noch so nah ist, dass ihre Architektur nicht so recht ins Blickfeld des Interesses gerät. Der Hauptgrund für das Bestreben der Stadt, das Gebäude grundlegend zu sanieren, ist sein schlechtes Raumklima. Aufgrund der unzureichenden Wärmedämmung und des fehlenden oder unzureichenden Sonnenschutzes ist es im Winter zu kalt in den Räumen und im Sommer zu heiß. Hinzu kommt eine deutlich zu geringe Raumluftfeuchte. Und als wäre dies noch nicht genug, wurden partiell Asbest- und Formaldehyd-Belastungen in der Raumluft gemessen, wobei die Aussagen zum Ausmaß der davon ausgehenden Gefahren allerdings sehr unterschiedlich sind. Diese Mängel bestanden offenbar seit dem Bezug des Hauses. Eine bei der Planung vorgesehene Klimaanlage, die Abhilfe hätte schaffen können, wurde nicht eingebaut. Ein nachträglich an der Westfassade montierter Sonnenschutz brachte wenig Erfolg und versagte stellenweise immer wieder seinen Dienst. Heute hängen die Jalousien schräg in allen möglichen Positionen vor einzelnen Fenstern fest und geben ein tristes Bild ab. Brandschutzuntersuchungen ergaben, dass die Rettungswege aus dem kürzeren Flur im Südbereich des Riegels nicht ausreichen, weil es hier, anders als am Nordende, kein weiteres Treppenhaus gibt. Also wurde eine provisorische offene Fluchttreppe aus einem Fassadengerüst vor den Haupteingang des Rathauses gestellt, die diese Ansicht nun entwertet und das Rathaus als permanente Baustelle erscheinen lässt. Die Bauunterhaltung am äußeren Erscheinungsbild wurde, gelinde gesagt, nachlässig betrieben. Es gibt Spuren des Verfalls in mehreren Bereichen. Fenster sind erblindet, Teile der hellen Marmorhaut sind grau und grün vor Algen, Waschbetoneinfassungen und -treppen bröckeln und geben den Blick auf die Bewehrung frei. Auch der einst so sensibel gestaltete und auf die Architektur bezogene Außenraum vor und hinter dem Haus wurde schrittweise in eine funktionale Beliebigkeit umgeformt. Aus dem Rathausplatz am Übergang zu einer kleinen Grünanlage wurde ein beschrankter Parkplatz, ein Stahl-Glas-Carport entstand unpassend und zu nahe vor der Fassade, und viele weitere Details der originalen Außengestaltung einschließlich des eigentlich frei zu haltenden direkten Umfelds des Hauses wurden überformt. Sie verkehrten sich allmählich in das Gegenteil von großzügiger Eleganz und wurden zu ungepflegten Rest- und Grünflächen, die man möglichst zügig durcheilt.
Ein Haus, das von seinen Nutzern geschätzt wird, sieht anders aus, und es stellt sich schon die Frage, warum nicht früher damit begonnen wurde, die technischen Schwächen des Gebäudes zu beheben. Die Entscheidung des Landesamtes für Denkmalpflege, das Rathaus als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch des Landes einzutragen, stieß bei der Stadtverwaltung und vielen Bürgern auf blankes Unverständnis und löste eine Reihe von Polemiken auch in den Medien aus. Kaum jemand, der nicht vom Fach ist, versteht, was an diesem „Schuhkarton“ so besonders ist. Es gibt jedoch auch Befürworter des Erhalts, und sogar Bürgermeisterin Brigitte Fronzek (SPD), die ihr Haus bei der Frage nach ihrem Arbeitsort anfangs als ebensolchen bezeichnete und die mit dessen gestalterischer Aussage und historischer Bedeutung überhaupt nichts anfangen konnte, erkennt nun immerhin einige Argumente der Befürworter eines denkmalgerechten Erhalts an. Für die zuständige Denkmalpflegerin Astrid Hansen ist es der klar vorgetragene demokratische Anspruch dieser Architektur als Zeitdokument des Aufbruchs, sind es die Feinheiten und die Reduktion der Details einschließlich des gesamten Innenlebens und die Ausgewogenheit von Funktionserfüllung und Repräsentation, die das Haus so einzigartig und erhaltenswert machen.
Die Lübecker Architekten Petersen Pörksen Partner haben im Auftrag des Landesamts für Denkmalpflege ein umfangreiches Gutachten zum Schadensbild des Hauses und zu Möglichkeiten seiner Sanierung erstellt, die ihren Berechnungen zufolge kostengünstiger als ein Neubau wäre. Danach würde eine umfassende Sanierung mit dem Ziel der energetischen „low tech“-Optimierung ca. 13 Millionen Euro kosten, ein ausreichend großer Neubau an einem anderen Ort ca. 15,3 Millionen und ein Abriss des Altbaus und Neubau am selben Ort ca. 17,5 Millionen. Die Architekten haben diese Vorschläge, die für den Sanierungsfall auch einen kleinen Erweiterungsbau als kompakten, frei stehenden Baukörper auf dem Vorplatz vorsehen, der dann durch seine Stellung den Platz besser zum Raum werden ließe, im Detail mit Dieter Rogalla abgestimmt, der das Urheberrecht für das Haus hält.
Unter der vorgeschlagenen durchgreifenden Sanierung, die die neuesten Auflagen zum Wärme- und Brandschutz berücksichtigt und den Einbau eines größeren Aufzugs und eines zusätzlichen Treppenhauses sowie zahlreiche weitere Änderungen beinhaltet, muss man sich allerdings einen Rückbau auf den Rohbau und einen anschließenden vollständigen Neuaufbau aller Ausbauten sowie der Fassaden und Dächer vorstellen. Die Fenster, dann mit innen liegendem Sonnenschutz, wären zwar andere, die Profile und Proportionen der Fassade könnten, mit Hochleistungs-Wärmedämmung versehen, allerdings wiedergewonnen werden. Alle Einbaumöbel und Oberflächen aber würden verschwinden und müssten, wenn sie nicht aufwendig ausgebaut, gesichert, aufgearbeitet und wieder eingebaut werden sollen, durch etwas Neues ersetzt werden. Vielleicht ließen sich die beiden Treppen erhalten, aber sonst wäre nichts an dem Haus mehr „original“; es wäre praktisch ein Neubau. Aber wäre es dann noch ein Denkmal? Nach gültigen Kriterien wohl kaum. Es müsste also konsequenterweise aus dem Denkmalschutz entlassen werden, was einem Paradoxon gleichkäme. Trotzdem wäre dies eine Lösung, um den offenen, frischen Geist des Hauses zu bewahren und seinen im Laufe von über vierzig Jahren etablierten Ort mitten in der Stadt nicht preiszugeben. Die Phase der Gutachten nähert sich dem Ende. Nun müssen Entscheidungen getroffen werden.
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