Erweiterung der PH Graubünden
Text: Adam, Hubertus, Zürich
Ohne Verrenkungen, ohne vordergründige Inszenierungen, aber auch ohne devote Anbiederung hat Pablo Horváth ein bestehendes Ensemble um einen Baustein ergänzt, der zugleich die räumliche Situation bereichert. So unspektakulär und zugleich so überzeugend kann man die Betonarchitektur der Spätmoderne vielleicht nur in der Schweiz fortschreiben.
In den neunziger Jahren richtete sich die Aufmerksamkeit einer internationalen Fachöffentlichkeit auf das Baugeschehen in Graubünden. Mehrere Faktoren hatten das Entstehen bemerkenswerter Architektur begünstigt: die Präsenz des aus Basel zugewanderten Peter Zumthor, der – zunächst in der Denkmalpflege tätig – gleichsam als Mentor einer jüngeren Architektengeneration fungierte; die intellektuellen Anregungen, welche die von Miroslav Sik an der ETH propagierte Idee einer das Gewöhnliche und Alltägliche in Wert setzenden „Analogen Architektur“ bot; und schließlich die unter Kantonsbaumeister Erich Bandi forcierte Kultur des Wettbewerbswesens, das zur Realisierung von herausragenden Schulbauten selbst in abgelegenen Talschaften führte.
Aus dem Blick geriet bei dieser Fokussierung, dass die Baukultur in dem flächenmäßig größten, aber aufgrund seiner unwegsamen Topografie nur dünn besiedelten Kanton nicht ex nihilo entstand. Verwiesen werden muss in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die Versuche Rudolf Olgiatis, eine regionalspezifische Architektur zu entwickeln, aber auch auf den Neubau von staatlichen Bildungsinstitutionen seit den sechziger Jahren. Letztere konzentrierten sich vornehmlich auf den Kantonshauptort Chur und fanden ihre Voraussetzung in der erstarkenden Bedeutung der für die soziale Kohäsion des dreisprachigen Kantons zentralen Bildung seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Gleich drei herausragende Bauten entstanden in den sechziger Jahren: 1962–64 das Bündner Lehrerseminar von Andreas Liesch im Tal der Plessur, zeitgleich das puebloartig über der Stadt thronende Konvikt von einem Team um Otto Glaus und schließlich der Neubau der Kantonsschule von Max Kasper unweit der Kathedrale. Sozusagen als Nachzügler entstand auf Basis eines Wettbewerbssiegs von 1977 die Bündner Frauenschule im Areal Kantengut am nördlichen Stadtrand. Der in St. Moritz ansässige Architekt Robert Obrist errichtete sie 1982/83, gut zehn Jahre später erfolgte eine erste Erweiterung. Mit ihren großformatigen, wiewohl differenziert gegliederten Volumina repräsentieren die drei Gebäudekomplexe den Gestus der Spätmoderne – bewusst ohne explizite regionalistische Bezüge.
Die ehemalige Frauenschule, an der Kindergärtnerinnen, Primarschul- und Hauswirtschaftslehrerinnen ausgebildet wurden, besteht aus zwei Teilen: den drei durch Gänge miteinander verbundenen, linear angeordneten Bauten des Konvikts, das als Internat für Studierenden aus abgelegenen Tälern diente, und dem im Winkel dazu stehenden viergeschossigen Schulgebäude, an das sich bergseits die Aula, talwärts die Sporthalle anschließt. „Wir wollten ein Haus ohne Schminke“, formulierte Obrist seinerzeit. „Unser Ziel war, alles so zu zeigen, wie es ist, eine sichtbare Tragkonstruktion und Installationen, die den Organismus des Hauses sichtbar werden lassen.“
Das noch ganz der Ästhetik der siebziger Jahre verhaftete Ensemble aus mit sägerohen Brettern geschalten Sichtbetonbauten, das bislang noch nicht saniert werden musste, vermag auch heute zu überzeugen: durch seine Kubatur, seine klare, ein wenig raue und doch präzise Materialisierung, vor allem aber durch seine geschickte Einfügung in das nach Westen hin abfallende Gelände. Der Hauptzugang lag an der Südostseite, mithin zur Bergseite; ein Erschließungsweg führt entlang der gleichsam aus dem Hang herauswachsenden Konviktsbauten hinunter zu der Stelle, an der beide sich begegnenden Bauteile an einem kleinen Platz Eingangssituationen ausbilden, welche die scharf geschnittene Geometrie durchbrechen. Als „ein Stücklein Stadt“ interpretierte Ulrike Jehle-Schulte Strathaus die an der Peripherie gelegene Frauenschule seinerzeit in einer Rezension für die Zeitschrift „Werk, Bauen + Wohnen“.
Im Zuge der Reform der Lehrerausbildung wurden das Bündner Lehrerseminar, das Lehrerseminar der Evangelischen Mittelschule Schiers und die Bündner Frauenschule 2003 zur Pädagogischen Hochschule zusammengefasst. Dem Areal Kantengut obliegt seither die Ausbildung von Lehr- und Betreuungspersonen für Kindergärten und Primarschulen, wobei der Unterricht in den drei Kantonssprachen Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch erfolgt. Die neue Ausbildungsordnung, die Vorlesungen auf Jahrgangsebene umfasst, zwang zur temporären Nutzung externer Räume, und da sich diese Lösung auf Dauer als wenig effektiv erwies, veranstaltete das Hochbauamt des Kantons im Jahr 2006/2007 einen Wettbewerb für die Erweiterung um zwei Hörsäle für 80 bis 100 Personen und eine Mediothek.
Den Zuschlag erhielt mit dem in Chur tätigen Pablo Horváth ein Architekt, der, wie seine 1999 und 2000 fertiggestellten Schulhäuser in Fläsch und Tinizong beweisen, stark von einer „analogen“ Haltung geprägt ist; in den vergangenen Jahren konnte er zwei, sich ebenfalls mit der regionalen Bautradition auseinandersetzenden Wohnhäuser in seinem Geburtsort St. Moritz realisieren.
Anders als die meisten der Wettbewerbsteilnehmer platzierte Horváth das neue Volumen nicht talseitig im Westen vor dem hoch aufragenden Schulgebäude, sondern nutzte den dreieckigen Freiraum, der von den winklig zueinander stehenden Gebäuden und der das Areal im Norden begrenzenden Scalärastrasse gebildet wird. Das ermöglichte nicht nur eine direkte Anbindung an die vorhandenen Räumlichkeiten, sondern auch eine überzeugendere Einpassung in den Bestand. Vom Parkplatz im Osten aus gesehen, zeigt sich das Gebäude, das die Geländekante überspielt und sich gleichsam als weiterer Felsblock in die aus der Schutthalde des Abhangs herauswachsenden Volumina einfügt, wie ein Pavillon; zum Hof der Werkstätten hin, der Altbestand und Neubau trennt, tritt es mit seiner gesamten Höhe in Erscheinung. Die sägerohe Bretterschalung lässt den neuerlichen Betonbaukörper mit den vorhandenen Gebäuden zusammenwachsen, und auch der Gestus eines Gebäudes, das mit der Höhe des Gesamtkomplexes korreliert und sich lediglich Richtung Westen in seiner gesamten Höhenausdehnung präsentiert, kann als eine Reverenz an den Ursprungsbau von Robert Obrist verstanden werden. Subtil sind die Details, die den Neubau über das Nötige hinaus modifizieren: Der überhohe Bereich über den Lesetischen im Inneren der Mediothek im Obergeschoss kragt nach oben aus und bietet nicht zuletzt dank der Fenster in der Höhe frieshafte Ausblicke auf den Bergkamm des Montalin, Richtung Westen ist die Mediothek über den Hof der Werkstätten ausgestülpt. Die trennenden Betonpfosten zwischen den Fenstern treten hinter die Fassade zurück, so dass auch hier eine zurückhaltende Differenzierung erzielt wird, die sich einem rein kubischen Verständnis des Neubaus verweigert.
Horváth ist kein Anhänger der inszenierten Differenz – erst recht nicht dort, wo er den vorhandenen Bestand schätzt. So knüpft er auch in den öffentlichen Bereichen des Inneren an das bestehende Gebäude an, führt die Kalksteinplatten des Bodens auch im Neubau fort. Nur die eigentlichen Innenräume – der kleinere und der größere Vorlesungssaal im Untergeschoss, die Mediothek im Obergeschoss – sind als weiße Boxen innerhalb der Hülle materialisiert, wirken wie zeitgenössische Einsprengsel. Hier ging es darum, stimmige Innenräume zu schaffen, die mit ihren haustechnischen Anforderungen dem Minergiestandard gehorchen und ansonsten in all ihrer Neutralität auf die Belebung durch die Studierenden warten.
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