Bauwelt

Erweiterung des ESO-Hauptquartieres


Forschungszentrum des Weltalls


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Foto: Roland Halbe

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Vor dreizehn Jahren errichteten die Architekten Auer+Weber den Hotelkomplex für die Sternenforscher des ESO, des European Southern Observatory, in der chilenischen Wüste. Alle Daten der dortigen Teleskope werden in Garching bei München gesammelt und ausgewertet. Hier bauten die gleichen Architekten nun die Erweiterung des ESO-Hauptquartiers
Ferne Welten erkunden, das ist die Aufgabe des ESO. Das European Southern Observatory wurde 1962, ein Jahr nach der mit dem Bau der Berliner Mauer auch physisch vollzogenen Teilung Europas, von fünf europäischen Staaten gegründet – Belgien, der BRD, Frankreich, den Niederlanden und Schweden. Mit seinen in der chilenischen Atacama-Wüste installierten Teleskopen (Bauwelt 25.2002) ist es auch ein Produkt der damals noch lebendigen Idee eines geeinten Kontinents, auf dem die Menschen zum Wohl des Gemeinwesens zusammenarbeiten.
Heute, da auch in EU-Mitgliedsländern der Wunsch wächst, die Welt wieder kleiner zu denken, den Horizont zu verengen, autonomer und einsamer handeln zu können, liegen diese Zeiten weit hinter uns. Wie fern aber sind uns die siebziger Jahre? Als Architekturjournalist stehe ich vor dem ESO-Hauptquartier im Forschungszentrum Garching und denke: sehr fern. Im Vergleich zu den in den letzten zwanzig Jahren immer würfelförmiger, da energetisch zwangsweise effizienter gewordenen Neubauten scheint mir das vom Berliner Büro Fehling+Gogel 1976 geplante und 1980 eingeweihte Hauptgebäude vollkommen aus der Zeit gefallen; wie der bauliche Überrest einer fremden, lange untergegangenen Hochkultur. Jetzt wurde es erweitert: um einen Anbau von Auer+Weber, dem der Brückenschlag zwischen dem Heute mit seinen Standards und dem Damals mit seinen Besonderheiten im übertragenen wie im Wortsinn gelungen ist.
Hauptmerkmal des viergeschossigen Gebäudes von Fehling+Gogel ist sein aus Kreissegmenten zusammengesetzter Grundriss. Ungefähr spiegelbildlich stehen sich diese Segmente, die Büros und Labore aufnehmen, an einer Längsachse gegenüber, nach außen konkav geöffnet, nach innen die Treppenhalle formend – eine im Grunde einfache Struktur, die räumlich aber höchst lebendig wirkt und voller Überraschungen steckt. Dass sich, anders gesagt, das Gebäude nicht auf den ersten Blick übersehen lässt, kann man durchaus als Reichtum begreifen angesichts der heute üblicherweise so mager wie möglich bemessenen Erschließungsflächen. Die Bauwelt war schon zur Zeit der Fertigstellung voll des Lobes: „Der erste Blick auf den Plan ... vermittelt nur eine schwache Ahnung von dem Abenteuer, auf das sich der Besucher einläßt, wenn er in die Eingangshalle des Gebäudes kommt. Fehling+Gogel haben mit ihren Instituten in Berlin ... und mit ihrem Nachbarhaus hier in Garching klargemacht, welche Bedeutung sie jeweils der Eingangssituation und der inneren Erschließung zumessen. Mir scheint, daß sie mit der Halle des ESO-Baus ihr bisher raffiniertestes Beispiel dafür geben, wie man einen Raum, der Orientierungs- und Bezugspunkt für alle ,Bewohner‘ des Hauses ist, allein mit der Markierung einer Perspektive, mit wenigen Treppenläufen, zwei Brüstungselementen und der – allerdings äußerst sensibel angelegten – Führung des Lichts zu ei­nem unverwechselbaren Ort werden läßt“, beurteilte seinerzeit Wolfgang Braatz das neue Gebäude (Bauwelt 4.1981), zugleich leise Zweifel anmeldend: „Stellt sich so – beim Umgang mit dem neuen Haus – erste Zufriedenheit ein? Oder wird sich doch noch der Wunsch nach jener ,Neutralität‘ herausbilden, die so besonders geeignet sein soll für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben?“ Betrachtet man den Erweiterungsbau, waren diese Zweifel berechtigt: Neutraler nämlich, also übersichtlicher und präziser ist das Projekt von Auer+Weber ausgefallen, dadurch großzügiger, räumlich allerdings, so paradox das klingen mag, auch kümmerlicher als das Gebäude von Fehling+Gogel.
Die Kreissegmente neu geordnet
Nötig geworden war die gut 40 Millionen Euro teure Erweiterung (Kostengruppe 200–700 brutto), weil neben den Gründungsländern mittlerweile neun weitere Länder die Organisation tragen und die Mitarbeiterzahl entsprechend gewachsen ist. Auer+Weber, die den Planungsauftrag als Gewinner des zweiphasigen, internationalen Wettbewerbs im Jahr 2008 erlangt hatten, haben einen geschickten Weg gefunden, sich zu der ausgeprägten Persönlichkeit des „Altbaus“ zu verhalten; ihm zur Seite etwas anderes, neues, eigenes zu stellen, das sich aber erst aus ihm erklärt. Das Team um Philipp Auer hat den Erweiterungsbau nämlich aus eben jenen gestaltgebenden Kreissegmenten konfiguriert. Anders als beim Bau von Fehling+Gogel aber wenden sich diese einander zu und bilden vier Kreise, von denen drei, miteinander verbunden, das dreigeschossige Büro- und Konferenzgebäude bilden, der vierte hingegen, nur zwei Geschosse hoch, als Werkstatt fungiert. So ergibt sich ein allmählicher Übergang in die flache Landschaft der Isarauen, und der Altbau bleibt dominant.
Apropos Übergang: Der Übergang vom einen Bau in den anderen wirkt in der Plangrafik (Seite 31) etwas unbeholfen – ein Eindruck, der sich im Beschreiten aber nicht gleichermaßen aufdrängt. Dank der beidseitig raumhohen Verglasung nimmt sich der Raum gegenüber dem Ausblick zurück, und seine Aufweitungen und Verengungen erinnern eher an einen natürlichen Wegelauf denn an Geometrie. Der aufgeständerte Gang setzt in der Cafeteria des Altbaus an, deren Fassadenverlauf geändert wurde, und gabelt sich auf halbem Weg hinüber zur Werkstatt oder ins Bürogebäude. Eine Anbindung an dieser Stelle war Wunsch des Bauherrn, doch hätte die Stärke des Ortbetons der Kellerwände im Altbau eine unterirdische Verknüpfung gar nicht möglich gemacht – „da hätten wir uns tot gebissen“, stellt Projektleiter Martin Kemp fest.
Beide Neubauten können selbstverständlich auch von außen betreten werden – das 14.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche große Büro- und Konferenzgebäude mit seinen rund 270 Arbeitsplätzen empfängt die Besucher dann mit seiner eindrucksvollsten Situation: den weit auskragenden Decken des Obergeschosses und dem darunter in die Innenhöfe sich erweiternden Freiraum. Selten glückt ein Raum unter einem aufgeständerten Gebäude, hier aber ist er gelungen: großzügig und licht, mit Blick in die von Landschaftsplaner gestalteten Höfe und in die Isarauen.
Dass dieser Bereich nicht von Stützen verstellt wird, verdankt sich dem konstruktiven Aufbau des Gebäudes. Im Grunde hängen die Geschosse an der Dachplatte, welche die drei bis auf den Boden hinabreichenden Zylinder als eine Art Brückenträger miteinander verbindet; im Bereich über dem stützenfreien Raum verstärken unterseitig vorgespannte Rippen aus Stahlbeton die Dachdecke. Als Dach für den als Konferenzzentrum genutzten Kreis kam eine vorgespannte π-Halbfertigteil-Decke zum Einsatz. Jede zweite Bürotrennwand konnte zudem als tragende Schotte ausgebildet werden – die von Grundriss und Fassade suggerierte Flexibilität innerhalb der äußeren Raumschicht war von den Wissenschaftlern in dem Maße gar nicht gefordert. 



Fakten
Architekten Auer + Weber, München, Stuttgart
Adresse Karl-Schwarzschild-Str. 2 D-85748 Garching


aus Bauwelt 25.2014
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