Große Karos zieren die Oberfläche der Museumsmeile in London. Rechtzeitig zu den Olympischen Spielen bauten Dixon Jones die viel befahrene Straße zu einem Shared Space um – dem größten in Europa. Ist die Exhibition Road deshalb ein Vorbild?
London, Ferien und Regen, was tun? Fast jedes Kind von einigermaßen kulturbeflissenen Eltern wurde schon mal in eines der Naturkunde-, Wissenschafts- oder Kunsthandwerksmuseen in der Exhibition Road mitgenommen. Dort verbrachte die Familie zwischen Raumfahrtkapseln und Dinosaurierskeletten einen trüben Regentag. Umsonst und lehrreich, vielleicht sogar unterhaltsam? Dass diese pädagogisch sinnvolle Feiertags-Beschäftigung verantwortungsbewussten Eltern sehr nahe liegt, hat dazu geführt, dass inzwischen fünf Millionen Kinder jedes Jahr diese Museen besuchen. Insgesamt kommen elf Millionen Besucher, davon sind ein gutes Drittel Touristen aus dem Ausland. Wenn man jetzt noch die 6500 Angestellten und 25.000 Studenten in der unmittelbaren Umgebung mitzählt, weiß man, welchem Druck die Exhibition Road konstant ausgesetzt ist.
Die Straße
Die Exhibition Road ist die zentrale Achse eines ganz eigenen Stadtviertels. Prinz Albert, Prinzgemahl von Königin Victoria, hat sich hier, Mitte des 19. Jahrhunderts, in Prunkbauten und Kultur verewigt. Am Anfang stand die „Great Exhibition“ 1851, die erste Weltausstellung, mit dem Kristallpalast im Hyde Park, der später abgebaut und 1854 an anderer Stelle und um einiges größer wieder aufgebaut wurde. Aus dieser Veranstaltung wuchs die Idee einer Museumsmeile, und so entstand Albertopolis, wie es auch genannt wird. Die Exhibition Road führt vom Hyde Park, vorbei an großen Repräsentationsbauten und Museen, bis in das alte kleinteiligere Kensington, wo sie einfach verebbt. Hier gibt es keinen Fokus mit Friedensengel oder Triumphbogen. Die U-Bahn und Reisebusse, die wie ein Heuschreckenschwarm die Straße belagern, fangen die Menschenmengen ab, die täglich hier entlang strömen.
Vor dem aktuellen Umbau glich die Exhibition Road ähnlichen Straßen der Großstadt. Die prächtigen Fassaden verschwanden hinter Verkehr und geparkten Autos. Die großzügige Breite der Straße kam nicht zur Geltung. Über die schmalen Gehwegen wälzten sich die Massen. Fußgänger hatten nur ungefähr ein Drittel des Straßenraumes für sich. Es gab wenig sichere Übergänge. Die Londoner Architekten Dixon Jones haben auf den 26.000 Quadratmetern eine ganz neue Szene geschaffen. Das gigantische Karomuster ist bewusst nicht auf die umgebenden Gebäude bezogen. Die grauen Granitsteine aus China, 15 Zentimeter im Quadrat groß, bestimmen den Maßstab. Es gibt wenige, sorgfältige Details, wie den Rinnstein aus Gusseisen und wenige, nicht ganz so gut gewählte Straßenmöbel, so zum Beispiel die Bänke aus Holz und Stahl. Das Konzept der Architekten beruht auf dem Bewegungsmuster der Fußgänger, die die Straße auf dem Wege von einem Museum zum anderen queren. Dies wird in dem Karoboden ausgedrückt. Elemente, die den weiten Blick entlang der ganzen Achse dominieren, sind die zentralen zwanzig Me-ter hohen Lichtmasten. In sie sind knapp über Kopfhöhe LEDs eingelassen, auf Laternenhöhe gibt es Lichtstrahler und an der Spitze steckt ein spitzes Lämpchen. Die Pfosten betonen den Straßenverlauf und geben vertikale Orientierung. Ein wichtiges Thema der Umgestaltung war die Gleichberechtigung von Behinderten. Auf der durchgehenden Fläche können Rollstühle überall problemlos fahren. Für Sehbehinderte gibt es ein Orientierungssystem auf dem Boden.
Die Straße ist in drei Zonen unterteilt. Die erste, von Süden aus gesehen, liegt vor dem Eingang zur U-Bahn. Dort gibt es niedrige Häuser mit Cafés und Restaurants, die im Sommer Tische und Stühle auf die Straße stellen. Die Architekten nennen diese Zone ‚jolly streetlife‘. Als nächstes, abgeschnitten von der stark befahrenen Cromwell Road, folgt die Zone der Museen und öffentlichen Einrichtungen. Vor dem Naturkundemuseum befindet sich ein tiefer liegender Platz, auf dem im Winter eine kleine Kunsteisbahn angelegt und ein Markt aufgebaut wird. Die Straße endet abrupt, bevor man Hyde Park und Kensington Gardens erreicht. Hier ist der karierte Straßenbelag wie mit dem Lineal abgeschnitten und man ist wieder in der echten Welt, in der Fahrzeugverkehr und Fußgänger voneinander getrennt sind, angekommen.
Der Stadtrat
London ist in Bezirke, Boroughs, aufgeteilt, die finanziell und verwaltungstechnisch sehr eigenständig arbeiten. Die Exhibition Road wurde vom Stadtrat des Royal Borough of Kensington and Chelsea (RBKC) initiiert. Der Bürgermeister Boris Johnson, Chef der Greater London Authority (GLA), der Stadtverwaltung von ganz London, spielt eine mehr strategische Rolle. Ihm ist auch der Vehrkehrsbetrieb Transport for London (TfL) zugeordnet, der das öffentliche Verkehrssystem verwaltet. Da die Exhibition Road hauptsächlich in Kensington liegt, hat dieser Bezirk 14,6 Millionen Pfund dafür investiert. Ein kleines Stück liegt auch im Borough City of Westminster, der eine Million Pfund beisteuerte. Der Bürgermeister und die Verkehrsbetriebe TfL zahlten den Rest der 25 Millionen Pfund Bausumme. Das Projekt ist Teil von „London’s Great Outdoors“, einer Initiative des Bürgermeisters. Mit ihr soll der gesamte Londoner Stadtraum von „beautifully designed oases“ durchzogen werden. Das Ganze ist keine Vision, achtzig Projekte sind geplant, fünfzig bereits begonnen. Das Investitionsvolumen beträgt insgesamt 390 Millionen Pfund.
Der Royal Borough of Kensington and Chelsea hat sich schon in einem anderen Projekt als Vorreiter für ganz London gezeigt. 2005 wurden in der Kensington High Street alle Straßengeländer und unnötige Schilder und Straßenmöbel abgebaut. Dadurch gab es sechzig Prozent weniger Verkehrsunfälle. Seitdem werden in ganz London Geländer entfernt. Vielleicht wird auch die Shared Surface der Exhibition Road Schule machen.
Das Miteinander
Die durchgehende Fläche der Exhibition Road wird von verschiedenen Nutzern unterschiedlich wahrgenommen. Autofahrer fahren langsamer. Sie versuchen, die Sicherheit bietende frühere Straßenordnung, die für sie jetzt verloren ist, durch erhöhte Aufmerksamkeit wettzumachen. Als Fußgänger hat man einen eher intuitiven Zugang zu diesem neuen Stadtraum, man wird an eine Fußgängerzone erinnert. Tagsüber streben die Menschen tatsächlich auch kreuz und quer, hin und her, während sich nachts alle an den traditionellen Gehwegbereich halten. Bei schlechter Sicht fühlt man sich hier am sichersten. Am meisten Spaß haben am Ende aber doch die Fahrradfahrer. Sie kurven auf dem glatten Boden um Autos und Fußgänger herum, endlich mal nicht eingezwängt zwischen Gehweg und Verkehr. Ein Fahrradparkplatz liegt zwischen den Museen. Dazu gibt es eine Leihstation für die sogenannten „Boris Bikes“, benannt nach Bürgermeister Boris Johnson.
Der Vergleich
Für den Shouwburgplein in Rotterdam (
Bauwelt 43–44.1997) hat das Büro West 8 aus Holland 1997 die Leere kolonisiert. Architekt Adriaan Geuze nannte dies „Colonizing the Void“. Das Projekt fand seinerzeit als eine der ersten Shared-Space-Konzeptionen große Beachtung. Verschiedene Boden-Materialien und Nutzungen wurden hier übereinander angeordnet und geben sich an den Rändern auch wiederum „frei“, um den übergroßen öffentlichen Raum fassbar zu machen.
Man hat das Gefühl, dass auf der Exhibition Road in London das Gegenteil geschieht: Alle möglichen Funktionen werden zusammengepackt und mit einer einheitlichen Oberfläche versehen. Es dominiert die Bewegung, nicht das Bleiben oder Sein. Die Straße schließt an so reichhaltige vielfältige und weitläufige öffentliche Innenräume an, dass sie mit ihnen als Aufenthaltsort nicht in Konkurrenz treten will. Einige der Museen geben sich trotz prunkvoller Fassaden auf Augenhöhe recht abweisend. Keinerlei Stufen, Absätze oder Grünflächen laden die Gruppen von Teenagern oder Studenten ein, sich niederzulassen. Die Architekten verließen sich hier auf den Gegensatz von harten Oberflächen zu den baumbestandenen Vorhöfen der Museen um die Ecke.
In der neuen Straßengestaltung wurde ein für London ungewöhnliches Konzept mit hoher Qualität ausgeführt. Selbst vor seiner offiziellen Eröffnung im Februar ist klar erkennbar, dass es sich bewähren wird. Man kann sich ähnliche Stadträume gut für einige weitere Londoner Straßen vorstellen: Oxford Street, Upper Street, Kings Way etc. Im Sommer wird es auf der Exhibition Road zu den Olympischen Spielen eine große Feier geben, die die neu gestaltete Straße in ihrer Größe erst so richtig ausfüllen wird.
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