Georges-Frêche-Hotelfachschule
Die Schule des Bürgermeisters
Text: Rappel, Astrid, München
Für eine Hotelfachschule in Montpellier haben Massimiliano und Doriana Fuksas einen ganzen Gebäudekomplex entworfen. Mag dieser, seiner Bedeutung wegen, im Sonnenlicht auch silbrig erstrahlen, im Inneren werden die Erwartungen nach einer spannungsvollen Raumkonzeption kaum eingelöst.
Eine drei Meter hohe Statue aus Bronze von Georges Frêche, ehemaliger Bürgermeister von Montpellier und Abgeordneter des französischen Départements Herault, begrüßt den Besucher der Hotel- und Gastronomiefachschule. Frêche ist deren Namensgeber. Nur wenige Meter hinter seinem Rücken breiten sich die wulstigen Baukörper der Schule auf einer Fläche von 1,6 Hektar aus.
Der vor zwei Jahren verstorbene Sozialist Frêche war das, was man in Frankreich einen „Grand bâtisseur“ nennt. Er realisierte in seiner langen Amtszeit (1977–2004) große städtebauliche und architektonische Projekte und setzte sie, wenn nötig, auch gegen Widerstände durch. Frêches Führungsstil war umstritten und löste nicht zuletzt wegen seiner oft polemischen und zynischen Äußerungen auch in Paris große politische Kontroversen aus. In einem zentralistischen Land wie Frankreich genießen die für ihre jeweiligen Region kämpfenden Politiker jedoch – trotz aller Kritik – ein hohes Ansehen. Mit der Statue reiht Frêche sich ein in eine illustre Riege großer Staatsmänner, deren Standbilder er selbst noch zu seiner Amtszeit in Montpellier aufstellen ließ: Churchill, De Gaulle, Lenin und Mao. Das Vorhaben, eine Gandhi-Statue auf einen Sockel zu stellen, wurden nach dem plötzlichen Tod des Bürgermeisters auf Eis gelegt.
Zu Georges Frêches „Großen Projekten“ gehören zum einen die verschiedenen Stadtergänzungen von Ricardo Bofill aus den siebziger und achtziger Jahren, das neue Stadtquartier „Jardins de La Lironde“ von Christian de Portzamparc (1991–2012) und zwei Tramlinien, zum anderen Bauten wie das olympische Schwimmbad, verschiedene Projekte auf dem Campus der Universität, große Einkaufszentren, der Ausbau des Kunstmuseums Fabre sowie das 2011 eröffnete Neue Rathaus von Jean Nouvel und seines in Montpellier ansässigen Partners François Fontès.
Exzellenz
Im Jahr 2007, als Frêche Präsident der Region Languedoc-Roussillon war, hatte er einen internationalen Wettbewerb zur Realisierung einer Hotel-, Gastronomie- und Tourismusfachschule ausgeschrieben. Er wollte eine Schule schaffen, die für Frankreich eine Vorbildfunktion in dieser Fachausbildung hat. Um dieser Ambition der „Exzellenz“ gerecht zu werden, hat die Region knapp 80 Millionen Euro in die Realisierung der Schule investiert und zusätzlich 2,5 Millionen in die pädagogische Ausstattung.
Der Wettbewerbsentwurf von Massimiliano und Doria-
na Fuksas zeigte ein skulptural wirkendes Ensemble aus Baukörpern und entsprach damit wahrscheinlich der Vorstellung der Auslober von etwas Außergewöhnlichem und neuer urbaner Identität. Die im September eröffnete Schule gehört zum neuen Stadtquartier Port Marianne im Osten Montpelliers. Anders als von der Jury beschrieben und vom Bauherren gelobt, ist das Ensemble nicht in die Nachbarschaft eingebunden, geschweige denn dass es sich in das orthogonale städtebauliche Gefüge integriert. Der Komplex besteht aus fünf Ge-
bäuden – zwei Haupt- und drei Nebengebäude – und einem Sportplatz im Freien. Ohne den Eindruck von zu großer Dichte entstehen zu lassen, gelang es offenbar mühelos rund 16.500 Quadratmeter Nettogeschossfläche unterzubringen. Ein Internat für 75 Schüler auf drei Geschossen, ein Gebäude mit 10 Lehrerwohnungen auf fünf Geschossen und eine Sporthalle stehen isoliert im Norden. Die eigentliche Schule für 1000 Schüler befindet sich in den zwei Hauptgebäuden.
Das, wie die Architekten es nennen, B-förmige, viergeschossige Gebäude im Süden erstreckt sich entlang der Rue Titien. Es wird hauptsächlich für den theoretischen Unterricht und von der Verwaltung genutzt. Außerdem nimmt es die Schülerkantine und einen Mehrzwecksaal mit 180 Plätzen auf. Die Eingangshalle dient auch als Ausstellungsraum. Im anderen, nur dreigeschossigen, als Y-förmig bezeichneten Gebäude sind die Räume für den praktischen Unterricht im Bereich Gastronomie- und Hotelbetrieb konzentriert (Küchen, Konditorei usw.). Weiterhin beherbergt es die Aushängeschilder der Schule: ein der Öffentlichkeit zugängiges Lehr-Hotel mit 12 Zimmern (sechs in der Kategorie 2 bzw. 3-Sterne, vier mit 4 Sternen und zwei Suiten) und drei (Ausbildungs-)Restaurants für insgesamt ca. 200 Gäste.
Diese zwei Hauptgebäude, die über fünf offene Stege miteinander verbunden sind, umstehen mit ihren geschwungenen und gewölbten Fassaden eine „Piazza“ mit Bäumen und Bänken. Es ergeben sich dabei Außenräume mit überraschenden Blickwinkeln und Licht-und Schattenspielen. Der starke Formwille der Architekten hat die Konstruktion und die Materialwahl bestimmt. Das Tragwerk der Baukörper besteht aus Stahl und Ortbeton. Um die gekrümmten Formen zu realisieren wurde mit einem Verfahren gearbeitet, bei dem der Beton mit speziellen Pumpen auf die maßgefertigten Schalungen gespritzt wird. Diese Vorgehen wurde an einem Prototypen erprobt und perfektioniert.
Dreiecke
Die weiße Fassade des Wettbewerbsentwurfs ist einer hellgrauen Hülle aus eloxiertem Aluminium gewichen, einer Haut aus 17.000 Metalldreiecken, die sich über alle Baukörper spannt. Auch Teile der Dachabdeckung, die die technischen Anlagen schützen, werden wie Fassaden behandelt. Fuksas’ amorphe Strukturen erforderten, wie schon bei der Messe Mailand und bei „MyZeil“ in Frankfurt am Main, komplizierte Detaillösungen. Alle Dreiecke haben die gleiche Höhe von 83 Zentimetern, variieren aber in ihrer Basis, um sich den konvex und teilweise auch konkav geschwungenen Baukörpern anzupassen. Jedes einzelne ist genau bezeichnet, sodass sie sich leicht lokalisieren und austauschen lassen. Wie die gewölbten Fassaden gereinigt werden können, ist allerdings noch unklar, wahrscheinlich per Hand über eine Hebebühne oder mit einem Kran.
Die Geometrie der Metallelemente setzt sich in den Fenstern fort, die den gleichen Maßen unterliegen. Um die Hauptgebäude ausreichend mit natürlichem Licht zu versorgen, sind immer mehrere Fensterelemente zusammen angeordnet. Im Gegensatz zu ihrer horizontalen Anordnung im Wettbewerbsentwurf sind die Fensterbänder jetzt unregelmäßig auf den Fassaden verteilt. Die Fugen zwischen den Metall- und Fensterdreiecken zeichnen feine horizontale und diagonale Linien auf die Baukörper, die geöffneten Fensterelemente ergeben ein rhythmisches Spiel.
Im Vergleich zum aufwendigen Äußeren sind viele Räume im Inneren leider sehr gewöhnlich. Die Eingangshalle ist aufgrund ihrer Zweigeschossigkeit der einzige Bereich, in dem die Wölbung der Außenhaut auch innen eindrucksvoll erfahrbar wird. In den meist eingeschossigen Räume bildet sich die Konkavität des Äußeren kaum ab; die inneren Raumteilungen sind rechtwinklig. Dadurch entstehen Grundrisse unregelmäßigen Zuschnitts, die durch die äußeren Vorgaben teilweise gezwungen wirken. Außerdem stehen hier und da Stützen im Raum.
Viel Wert wurde auf die Farbgebung gelegt (gelb, grün, orange und pink), während die Stühle und Bänke hauptsächlich in schwarz und weiß gehalten sind. In den Klassenräumen mit ihrer Standardeinrichtung erzeugt die vielfältige Zusammensetzung der dreieckigen Fenster ein interessantes aber vielleicht auch ablenkendes Farbenspiel auf Boden und Wänden. In den großen Ausbildungsküchen, den Bäckereien und Konditoreien erlaubt modernes und hochwertiges berufstechnisches Equipment, den Schüler sich praxisnah auf ihr Berufsleben vorzubereiten. Aufgrund der großen Tiefe der Baukörper mangelt es in diesen Räumen allerdings zum Teil an natürlichem Licht.
Die Inneneinrichtung der Eingangshalle, der Hotelzimmer und der Restaurants wurde vom Studio Fuksas entworfen. Gestalt, Materialwahl und Farbgebung (dunkelgraue Bodenfliesen, rote lineare und geschwungene Sitzmöbel) des Eingangsbereichs und der Restaurants schaffen es aber nicht, zusammenzuklingen und eine Atmosphäre entstehen zu lassen.
Bestimmend für die Schule war Fuksas’ Wille zur Form, einer Form, die nicht durch die Funktion oder den Kontext bestimmt wurde, sondern reiner Selbstzweck ist. Die Materialwahl und das Programm sind ihm untergeordnet. Neben Zaha Hadid, deren monumentaler Gebäudekomplex mit Bibliothek, Archiv und Sporteinrichtungen „Pierres Vives“ im September eröffnet wurden, hat Montpellier nun zwei weitere Hingucker für die Repräsentation zu bieten.
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