Bauwelt

Hauptstaatsarchiv in Dresden



Text: Meyer, Friederike, Berlin


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    Jörg Schöner

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Es steht in der Inneren Neustadt von Dresden und gilt als das Gedächtnis von Sachsen. Hinter seiner imposanten Fassade lagern Unmengen Schriften und Pläne. Jetzt wurde das fast einhundert Jahre alte Hauptstaatsarchiv saniert und erweitert. Ein Besuch in der Vergangenheit
Der Geschichte von Sachsen geht es gut. Bei konstanten 18 Grad und 50 Prozent Luftfeuchte ruht sie in Pappkartons verstaut mitten in Dresden. Es ist kein Barockbau und auch kein Neubau mit Rekofassade, der sie schützt. Und doch steht das Hauptstaatsarchiv wie kein anderes Gebäude für Gedanken und Erinnerungen, die ich mit meiner Heimatstadt verbinde. Sie kreisen um Glanz und Stolz, um Zerstörung und Wiederaufbau, bürgerliche Kultur und engagierte Bürger, vor allem aber um die Liebe zur Vergangenheit. 
Im Hauptstaatsarchiv liegen jene Unterlagen der sächsischen Ministerien und ihrer Vorgängerverwaltungen, die für die Nachwelt erhalten bleiben sollen. Darunter sind Pläne von Zwinger, Hoftheater und Gemäldegalerie aus der kurfürstlichen Bauverwaltung, das Archiv der Hellerauer Werkstätten und Zeichnungen zum Wiederaufbau des Stadtzentrums aus der Zeit, als Dresden DDR-Bezirkshauptstadt war.
Das Hauptstaatsarchiv ist eines der fünf größten in Deutschland. „Auch die Klagen von Umweltverbänden gegen den Bau der Waldschlösschenbrücke werden hier einmal Platz finden“, sagt Referatsleiter Peter Wiegand, der mich durch das Gebäude führt. In den vergangenen Jahren hat es nicht nur eine dringend benötigte Erweiterung erhalten, sondern auch ein konstantes Raumklima. Der Verwahrung ihrer Geschichte ist den Sachsen viel wert – 41 Millionen Euro in diesem Fall.
Raus aus dem feuchten Keller
Früher war das kaum anders. Peter Wiegand reicht mir eine Broschüre. Sie dokumentiert nicht nur den Umbau, sondern auch die bauhistorische Bedeutung des Hauses. Als das Hauptstaatsarchiv 1915 eröffnete, gehörte es zu den modernsten Archiven Deutschlands. Zuvor hatten die Akten und Pläne im Dresdner Schloss, im Kanzleihaus und im Grünen Gewölbe gelegen, hatten Jahrhunderte in feuchten Kellern und hinter dicken Gewölbemauern verbracht. Mit dem Neubau lag Dresden im Trend. Ende des 19. Jahrhunderts waren in Deutschland die ersten Archivzweckbauten entstanden. Nicht zuletzt weil das historische Bewusstsein und die Geschichtsforschung an den Universitäten gewachsen war.
Umfangreiche Untersuchungen gingen der Planung voraus. Um die Lichtverhältnisse zu testen, wurde ein mehrgeschossiger „Probeschuppen“ aus Holz errichtet, für die effektive Regalgröße entstanden Musterräume und Modelle. Ent­sprechend der damals üblichen Trennung zwischen Magazin und Verwaltung baute man zwei Häuser: eines in fortschritt­licher Eisenbeton-Konstruktion für die Akten und eines aus Ziegeln für die Mitarbeiter. Beide schließen den Blockrand zur Straße, wo wir unseren Rundgang beginnen.
Hochhausvisionen
Die Fassade des Magazins lässt nichts über den Inhalt erkennen, wohl aber über dessen Bedeutung. Drei erkerförmige Fensterbänder schießen in die Höhe, gerahmt von Pilastern mit Jugendstilkapitellen und gestütz von einer Rustika mit schmiedeeisernen Gittern. Darüber ein monströses Mansarddach, ausgebaut bis in den letzten Winkel. Was für eine Erscheinung! Hier sind ganze zwölf Geschosse hinein gequetscht – die Dresdner Bauordnung sollte eingehalten werden. Kein Wunder, dass die für ihre Skepsis gegenüber Neuem bekannten Dresdner damals Sorge um das Stadtbild hatten. „Jetzt wird’s amerikanisch“, spottete die Dresdener Rundschau, de­ren Ausriss vom 13. August 1913 in der Vitrine im Foyer aus­gestellt ist, weit vor der Eröffnung. „Hat der Yankee Wolkenkratzer, Baut sie unser Dresden auch – voll genug nicht krie­gen kann’s ja stets den Hals und stets den Bauch.“ Im Foyer wird die Geschichte des Archivs erzählt. Die Bombennacht vom 13. Februar 1945 hatte der verspottete Quasi-Wolkenkratzer fast unbeschadet überstanden, schon vier Jahre später war der Lesesaal wieder in Benutzung. So ist auf den Tafeln, wie bei vielen Archiven, von Platzproblemen und Umzügen zu lesen, von Bestandserweiterungen und Zusammenlegungen. Obwohl der Architekt und Geheime Baurat Karl Ottomar Reichelt die Kapazität des Archivs für 100 Jahre berechnet hatte, mussten bereits wenige Jahre nach Eröffnung neue Regale angeschafft werden. Ab den 70er Jahren wurde es eng, und nach Ende der DDR stapelten sich weitere Mengen Archivgut von Betrieben, Behörden und Organisationen. „Immer wenn die Geschichte Umbrüche bereithält, häufen sich die Akten“, sagt Wiegand. Das war bei der Verfassungsänderung 1918/19 so, und auch nach 1990.
Rotstiftnotiz von August dem Starken
Mit dem sächsischen Archivgesetz 2002 kam der Beschluss zur Erweiterung und Sanierung des Hauptstaatsarchivs. In einem Wettbewerb suchte das Sächsische Immobilien- und Baumanagement (SIB) Ideen für eine Magazinerweiterung, Ausstellungsräume und für besseren Besucherservice. Die Architekten Schweger & Partner hatten das passende Konzept. Den Neubau setzten sie als dick gedämmten, fast fensterlosen Würfel auf den noch freien Teil des Grundstücks, so voll mit Schränken und Regalen, dass der wenige Sauerstoff im Raum eine Löschanlage überflüssig macht. Im alten Magazin sortierten sie um: den Haupteingang an den Platz zur breiten Albertstraße, dahinter das Foyer und die neuen Lesesäle, erschlossen vom neu überdachten Innenhof. Viele Behörden nutzen den Bestand, aber auch Privatpersonen und Historiker. Zwangsarbeiterentschädigung, Rentenauskünfte, DDR-Unrecht, das sind derzeit gefragte Themen.
„Für die Sanierung gab es gute Vorraussetzungen“, erzählt Wiegand. „Die Pläne von 1915 liegen bei uns im Archiv.“ So sieht heute wieder vieles aus wie damals, die Kupfereindeckung der Dachgauben, die Putzoberflächen, die aufwendige Vertäfelung im Karten- und im Lesesaal und auch die Mitar­beiterbibliothek, die zum Ausstellungsraum geworden ist. 
Die Lampen sind gedimmt, die Fenster geschlossen – Papier ist empfindlich. Für die erste Ausstellung nach dem Um­-­bau haben die Mitarbeiter einige Schmuckstücke aus den Schränken geholt. Die Notiz von August dem Starken auf dem Plan für Schloss Moritzburg von 1703 ist gut zu erkennen. Mit rotem Stift hat er den „Platz der Heiser um den Teich“ markiert. Nebenan liegt eine Kanonenkugel, die bei der Belagerung Dresdens durch die russischen Truppen im napoleonischen Krieg auf dem Dachboden des damaligen Archivgebäudes eingeschlagen ist. Und ein Bild vom Damenrennen anlässlich der sächsisch-bayerischen Hochzeit in Dresden 1747 zeigt, wie adelige Frauen einst in geschmückten Kutschen durch den Großen Garten gefahren wurden.
Regalmeterweise Pappe
Der Fahrstuhl surrt nach oben ins Magazin. Wiegand ist froh, dass jetzt alle Räume barrierefrei erreichbar sind. Die Türen öffnen automatisch, das Licht geht an. 18 Grad, 50 Prozent Luftfeuchte. Die alten Regale reichen bis zur Decke. Sie sind voll mit pappgrauen Kartons. „Geheimes Kriegsratskollegi­um“ steht darauf, oder „Milch- u. Fettwirtschaftsverband Sachsen“ einige Reihen weiter. Das Reich der Archivare. Von der ältesten Urkunde aus dem Jahr 948 bis heute umfasst es inzwischen rund 47.000 laufende Meter Schriften, 366.000 Karten und 53.000 Urkunden. „Jedes Jahr“, sagt Wiegand, „kommen rund 200 Aktenmeter hinzu.“




Adresse Marienallee 12, 01099 Dresden


aus Bauwelt 1-2.2012
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