Bauwelt

In Zeiten der knappen Wohnung


Wohnen in München


Text: Geipel, Kaye, Berlin; Meyer, Friederike, Berlin


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    Die Nymphenburger Höfe Richtung Süden
    Foto: Markus Lanz, Pk. Odessa

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    Die Nymphenburger Höfe Richtung Süden

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    Die Nymphenburger Höfe Richtung Norden
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    Die Nymphenburger Höfe Richtung Norden

    Foto: Markus Lanz, Pk. Odessa

Wie jäh vom Himmel gefallen – ein harter Wohnhof, Mailänder Art, mitten in München. Bloß noch Spuren von Grün. Eine Atmosphäre wie bei de Chirico. Auch zu sehen: Eine Seite der neuen Bebauung ist sorgfältig detailliert, die andere ist, vor allem in Anbetracht der Preise, die hier für die Eigentumswohnungen verlangt werden, sorglos hingerotzt.
Den Versuch einer Belebung dieses Hofes gibt es auch: zur Nymphenburger Straße hin einen Laden für exquisite englische Autos, um die Ecke ein Café. Ist das das neue Münchner Wohnmodell in Zeiten des Booms und der knappen Wohnungen: weniger Grün, weniger Abstand zum Nachbarn, aber viel mehr Stadt? Dichte Stadt.

Das Münchner Stadtplanungsreferat beschäftigt eine eigene Modellbauwerkstatt, auf die man stolz ist. Aber ein großes städtebauliches Modell gibt es nicht im Amt. Investoren wie Besucher werden bei Bedarf ins Stadtmuseum geführt. Dort steht unter Plexiglas ein Holzmodell der Innenstadt, das Lokalkolorit und Architekturgeschichte brav vereint und dort, wo die Innenstadt gerade umgebaut wird, ein paar weiße Flecken aufweist. Für die wichtigen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, für Riem, die Panzerwiese oder gar für Neuperlach ist die Plexihaube viel zu klein.
In München wird heute gebaut wie in keiner zweiten deutschen Stadt. Aber was gebaut wird, bleibt im Zusammenhang unsichtbar. Ein schlichtes Faltblatt mit bunten Kreisen wird dem Interessenten in die Hand gedrückt, wenn er wissen will, wie sich die Stadt derzeit verändert. Wird die gegenwärtige Entwicklung – das betrifft nicht nur die Frage eines größeren „Modells“– nur in Fragmenten präsentiert, weil die Gesamtschau das gewohnte München-Bild stören könnte? Kritiker jedenfalls wie der Architekt Uwe Kiessler monieren seit Jahren, dass es keine Diskussion um ein neues Leitbild der Stadt gibt.

An die Ränder geschleudert | Der Immobilienboom und seine Folgen, das Unvermögen der Stadtpolitik, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen, sind alles andere als abstrakt. Wie von selbst zerfallen die Antworten in politische Programme (zur Zeit „Wohnen in München V“) , für die man dann Broschüren druckt, Veranstaltungen organisiert und einmal im Jahr in eine Ausstellung einlädt. Schnelle Erfolge seien nicht zu erwarten, erklärte Oberbürgermeister Christian Ude im Februar bei der Vorstellung eines „Handlungsrahmens“ für die künftige Stadtentwicklung, die sich verklausuliert „Langfristige Siedlungsentwicklung LaSie“ nennt. Der außergewöhnlichen Attraktivität von München, die sich in Zuzug und Wachstum niederschlägt, laufe man mit dem Gegensteuern zwangsläufig hinterher. Aber, so Ude, München profitiere enorm von diesem Boom. Das mag so sein. Der enorme Entwicklungsschub (siehe Karte rechte Seite) lässt das Programm „LaSie“ dennoch defensiv erscheinen. München ist in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter der „Zurück in die Stadt“-Bewegung. Während sich deren negative Auswirkungen in anderen Städten gerade erst abzeichnen, sind sie in München bereits überall präsent: Im Zentrum breiten sich High-Luxury-Inseln aus, zugleich werden die Bewohner – allenfalls gebremst durch die Schwere ihres Geldbeutel – wie mit zentrifugalen Kräften an den Rand der Stadt geschleudert.

Was kann die Stadt dagegen tun? | Die extrem teuren Wohnungen seien nicht das Problem, sondern der Preisanstieg bei den „normalen“ Wohnungen, sagt die Münchner Stadtbau­rätin Elisabeth Merk. Sie verweist in diesem Heft auf die Ausdehnung der Eigentumsförderung, die jetzt 50 Prozent der Bevölkerung zugute komme, allerdings nicht den Mietwohnungsbau betrifft. Sie verweist auf das Instrument Soziale Bodennutzung SoBoN und den vorbildlichen Ansatz der Stadt, die soziale Mischung auch in der City gegen Widerstände durchzuhalten.
Uns interessierte gerade auch die Perspektive der Architekten. Wie weit reicht ihr Einfluss in Zeiten der knappen Wohnung? Und, wo würden sie am dringlichsten eingreifen wollen? Wir haben neun Architektinnen und Architekten, die mit Wohnbau zu tun haben, am 13. Juli an einen Tisch gebeten. Dabei wurde ein Widerspruch besonders deutlich: In München sind mehr Mittel für Wohnungsbau vorhanden als anderswo. Aber sowohl der architektonischen als auch der städtebaulich-typologischen Erneuerung, die jetzt besonders nötig wäre, fehlen die Fürsprecher. München, jahrelang Vorreiter für innovativen Wohnungsbau, ist gerade dabei seinen Ruf zu verlieren. Andere Städte wie Zürich, die vergleichbar mit hohen Bodenpreisen und einem ungebremsten Immobilienboom konfrontiert sind, könnten Anregungen bieten, wie der Zürcher Architekt Bruno Krucker anmerkt: durch gezieltere Förderung von Genossenschaftsbau etwa und durch eine neue Initiative für großstädtisches, gemischtes und dichteres Bauen.

Kein Tabu mehr | Die Dichte – sowohl räumlich wie sozial gemeint – ist Kernthema dieses Heftes. Die Zeiten, in denen die seit 2007 amtierende Stadtbaurätin beim Stichwort Nachverdichtung gebeten wurde: „Um Gottes willen, Frau Merk, dieses Wort nie benützen“, sind vorbei. Muss München dichter werden? Das ist keine Tabufrage mehr. Die offizielle Planungspolitik bewegt sich. Beispiel Werkbundareal. Dort, wo vor sechs Jahren der japanische Architekt Kazunari Sakamoto mit seinem Strauß von Wohntürmchen grandios scheiterte, wird heute erneut Anlauf genommen. Das Kreativquartier ist ein Beispiel dafür, dass der populäre Slogan: „Wir wollen urban leben wie in der Stadt, aber grün wie auf dem Land“, nicht für jeden Ort gilt.
Der Architekt und Stadtplaner Dietrich Fink, der sich vor einigen Jahren mit dem Vorschlag, die City durch turmartige Aufsätze da und dort etwas aufzustocken, eine blutige Nase geholt hat, ist mit seiner Studie für eine qualifizierte Nachverdichtung, die er inzwischen nüchtern parametrisch für das ganze Stadtgebiet durchgerechnet hat, in der Mitte der Debatte angekommen. Die räumliche Verdichtung ist allerdings nichts ohne die Komponente einer sozialen Durchmischung. Die Autorin Ira Mazzoni hat sich in München auf die Suche nach Modellen dafür gemacht und findet hier ein schönes Beispiel bei den Genossenschaften, dort ein überzeugendes Projekt bei einer städtischen Wohnbaugesellschaft. Das Ergebnis ist alles in allem ernüchternd. Was in Zeiten der Globalisierung auf dem Spiel steht, hat der Architekt Peter Scheller benannt: Die eigentlich wichtige Tradition von München sei die, als ehemalige Handwerkerstadt immer dafür gesorgt zu haben, dass alle in der Stadt Platz finden. Diese Tradition ist heute in Gefahr.

Bodenpreise | Die sozial gemischte Stadt muss immer wieder neu erkämpft werden, darauf hat die frühere Stadtbaurätin Christiane Thalgott angesichts der Verkäufe ehemals städtischer Wohnsiedlungen im Gespräch hingewiesen. Und sie erinnert an den fast in Vergessenheit geratenen Fall der Kristallsiedlung, ehemaliges Zwangsarbeiterlager und spätere Siedlung für „Displaced Persons“ im Nordwesten der Stadt, die 2007 vom Bund an eine „Heuschrecke“ verkauft wurde.

Atlas der Wohnbauentwicklung | Die boomende Bautätigkeit in München macht deutlich: Der Wohnungsbau ist wieder eine Triebkraft der städtischen Entwicklung. Die Frage ist aber, ob er im Sinne der Gesamtstadt beeinflusst werden kann. Die eindrucksvollen Karten der Münchner Wohnbauentwicklung zeigen, wie sich die Modelle seit den 50er Jahren verändert haben. München ist kritikfähig, die Freimütigkeit, mit der heute die noch vor wenigen Jahren gefeierten Siedlungsmodelle hinterfragt werden, lässt dies deutlich werden. Dazu zählt etwa die Kritik an den Entwicklungsgebieten längs der Bahnlinien und am Arnulfpark: ein enormer städtischer Grünraum, eine Art Nachempfindung des New Yorker Central Park, aber umstellt von banalen Zeilen auf der einen und einer unentschiedenen Randbebauung auf der anderen Seite. Im Kern der Debatte wird ein Paradigmenwechsel erkennbar. Gefragt sind heute gemischte städtische Modelle, die über den Siedlungsbau der neunziger Jahre (Riem, Nordheide) hinausgehen. Einige haben wir in der Bauwelt-Dichterundfahrt zusammengetragen. München hat die Chance, eine bundesweite Debatte über solche Modelle anzustoßen. 




Adresse München


aus Bauwelt 36.2012
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