Kesselbrink in Bielefeld
Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin
Nach vergeblichen Anläufen gelingt endlich die Aufwertung des Bielefelder Kesselbrink zu einem innerstädtischen Platz. Das 2,5 Hektar große Areal wird zukünftig von einer Baumreihe eingerahmt, einer Promenade. Wichtiger noch, der Platz liefert die notwendige Anbindung an die Altstadt und den Ravensberger Park. Zusammen mit dem Jahnplatz bildet der Kesselbrink nun eine zentrale Achse in der Stadt
Bielefeld macht es Bewohnern, Reisenden und Ankommenden nicht einfach. Denen, die dorthin fahren und das Ziel ihrer Reise nicht verschweigen, schlägt bestenfalls Verblüffung und Teilnahmslosigkeit entgegen. Mit neugierigen Nachfragen wird man jedenfalls nicht bedacht, wenn man sagt: „Ich fahre nach Bielefeld.“ Schlimmer kommt es für die, die hinzufügen: „Ich fahre nach Hause, nach Bielefeld.“ Da bleibt dem Mitleidspendenden nur noch, auf die Bundesautobahn A2 zu verweisen, über die man Bielefeld ja auch wieder verlassen könne. Zum Beispiel nach Westen, ins attraktive Dortmund, oder nach Osten, nach Hannover, beide nur unwesentlich größer als die 325.000 Einwohner zählende Ostwestfalen-Metropole, aber doch ungleich bekannter als Bielefeld. Vollends im Abseits landet man mit der Aussage: „Ich werde nach Bielefeld ziehen, um dort zu leben.“ Da bleibt als Reaktion nur noch ein kommentarloses: „Ah so?“
Warum ist das eigentlich so? Das fragen sich Bielefelder wie Nicht-Bielefelder. Am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Umfeld kann es nicht liegen. Das ist gar nicht so schlecht. Die ostwestfälische Mittel-Großstadt ist das Zentrum einer strukturstarken, mittelstandsgeprägten Region. Es gibt Oetker, Granini, Schüco und Hemden von Seidensticker. Seit 1969 auch eine Universität, deren gigantisches Hauptgebäude mit einer Nutzfläche von 150.000 Quadratmetern, entworfen, geplant und gebaut von der Berliner Architektengemeinschaft Köpke, Kulka, Töpper, Siepmann und Herzog, 1976 fertiggestellt wurde. Und es gibt eine stabile, bürgerlich gebildete und betuchte Mittelschicht, deren cordbehoster und/oder barbourbejackter Teil sich in Fördervereinen, bei den Rotariern oder alternativ den Lions organisiert. Bielefeld ist, kurz gesagt, eine gut ausgestattete, wenig aufdringliche, lebenswerte und praktische Stadt.
Architektur, Heimat und Distanz
Woher rührt dann die gleichgültige Distanz? Fehlt es an architektonischen Wahrzeichen und baukulturellen, städtebaulichen Bezugspunkten, die einer Stadt Identität geben und aus ihr eine Heimat machen?
Die Bielefelder haben sich darum bemüht und auch Architekten aus der Ferne eingeladen. Da muss zuvorderst auf die herausragend gut gelungene und liebevoll gepflegte Bielefelder Kunsthalle von Philip Johnson aus dem Jahr 1968 am südlichen Ende der Altstadt hingewiesen werden. Deren Ausstellungen wurden bis 2011 von Thomas Kellein kuratiert, der jetzt Donald Judd’s Chinati Foundation in Texas leitet. Nicht ganz so gut gelungen wie die Kunsthalle, und auch nicht ganz so liebevoll gepflegt, städtebaulich aber wichtig als Abschluss der Einkaufsstadt, hinter der Wohngebiete beginnen, ist die Stadthalle der Hamburger Architekten gmp, die das Bahnhofsviertel seit 1990 zum Norden hin abschließt. Hinzu kommen Veranstaltungsorte, die den Namen des Sponsors nach vorne rücken. Es gibt den Oetkerpark, die Seidensticker Großsporthalle und die Schüco-Arena, vormals die traditionsreiche Bielefelder Alm. Nur die Kunsthalle heißt, zum Glück, einfach nur die Kunsthalle, obwohl die Bielefelder sie dem 2007 verstorbenen Stifter Rudolf-August Oetker verdanken.
Jahnplatz
Das wirkliche Zentrum der Stadt, der Jahnplatz, und sein Pendant, der Kesselbrink, wurden allerdings schon vor langer Zeit der autooptimierten Stadt geopfert. In der Westfälischen Zeitung vom 26. März 1969 entwarf der damalige Bielefelder Baudezernent Jürgen Hotzan eine ganz eigene Utopie für die Stadt: „Nach den Vorausberechnungen der Planer wird es im Jahre 2000 notwendig sein, allein im Osningpaß 25 Fahrspuren nebeneinander für den Reifenverkehr anzulegen.“ So weit ist es dann doch nicht gekommen.
Heute können Jahnplatz und Kesselbrink endlich wieder wirklichen innerstädtischen Funktionen gewidmet werden. Bis der Stadtumbau, weg vom Prinzip der verkehrsgerechten Stadt, vollendet ist, wird man sich wohl noch etwas in Geduld üben müssen. Zwar wurde die Umgehung, der Ostwestfalendamm, der Bielefeld im Norden und Westen umschließt, 1977 fertiggestellt, die Anbindung an die Bundesautobahn A33, deren Bau 1976 begonnen wurde, erfolgt aber erst im kommenden Jahr. Komplett fertiggestellt soll die A33 im Jahr 2019 sein.
Der Jahnplatz ist das Bindeglied zwischen den Fußgängerzonen der Alt- und der Neustadt. Er war früher sechsspurig, heute müssen vier Fahrbahnen reichen. Zu Fuß überqueren konnte man ihn in meiner Jugend nicht wirklich. Eine Unterführung, 86 Meter lang, mit elf Ausgängen, gefühlt gerade Mal zweieinhalb Meter hoch, real drei Meter, untertunnelte die vielspurige Trasse und verbannte die Passanten unter die Erde.Einige Wagemutige trauten sich oberirdisch die Straßen zu passieren. Das war überirdisch gefährlich, denn Ampeln, die es erlaubt hätten, in einem Zug über den Jahnplatz zu gelangen, gab es damals noch nicht. Das ist inzwischen gelöst, und nun ermöglicht die Sichtverbindung über den Platz auch ein weitgehend gefahrloses Passieren. Eine Pizzeria, eine Eisdiele und ein mäßig nachgebildeter Pommespilz schaffen so etwas wie einen Stadtraum, der von der Alcina (sic! ein Bielefelder Unternehmen) -Standuhr bewacht wird.
Kesselbrink
Das Pendant für den sich bewegenden Verkehr auf dem Jahnplatz war für den ruhenden Verkehr der Kesselbrink. Er hielt als Parkplatz und eingeschossige Tiefgarage mehr als 1000 PKW-Stellplätzen bereit und bot dazu noch Raum für einen Busbahnhof. Der Busbahnhof ist heute da, wo er hingehört, nämlich auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Tiefgarage von 1962 nutzt inzwischen kaum noch jemand. Zu unbequem, zu dunkel und zu eng erscheint sie heute. Zudem sind rund um die Altstadt und in unmittelbarer Nähe zu den innerstädtischen Einkaufsstraßen attraktivere Parkmöglichkeiten entstanden.
Der Kesselbrink ist das Scharnier zu den Wohnvierteln im Osten. Der hat dem Westen, dem ehemaligen Studentenviertel das heute gentrifiziert ist, an Beliebtheit den Rang abgelaufen. Gleichzeitig ist er die Verbindung zum Kultur- und Veranstaltungsareal der einstigen Ravensberger Spinnerei. Eingebettet in einen Park werden die Industriegebäude dort nun von der Volkshochschule, einem Museum, einem Programmkino und dem Ordnungsamt genutzt.
Wie in vielen anderen Städten stellte sich beim Kesselbrink seit Ende der 90er Jahre die Frage nach der Art der Scharnierfunktion öffentlicher Räume, die hier um so dringlicher zu entwickeln war, je mehr der Verkehr an Bedeutung verlor: Ihre architektonische Armseligkeit war unübersehbar, die räumliche Großzügigkeit, die den verkehrsumtosten Platz auszeichnete, aber ein Trumpf. Soviel war sicher: Als Parkplatz mit Tiefgarage wollte den Kesselbrink niemand mehr haben, selbst wenn einige Skater dem Rand des Platzes mit selbstgebauten Rampen im Lauf der Zeit immerhin eine neue Funktion abgerungen hatten. Es gab viele Debatten, wie eine Wiederaneignung der Platzfläche erfolgen könnte. Im „Bürgerforum Kesselbrink“ strukturierte man die Diskussion in die Bereiche „Nutzung und Gebrauch“, „Gestalt und Atmosphäre“, „Verkehrliche Belange“ und „Standort Kesselbrink“.
2010 wurde von der Stadt ein Wettbewerb ausgeschrieben, den das Büro Lützow7 zusammen mit Léon Wohlhage Wernik gewann (Bauwelt 10.2011). Im Norden und im Süden wird es Baumgruppen geben und in der Mitte einen multifunktionalen Platz, der allem Möglichen einen Ort bieten kann: Kundgebungen, größeren Veranstaltungen oder auch einem Wochenmarkt. Vor allem aber, das ist die große Qualität dieser Arbeit, schafft der Plan räumliche Verbindungen zu einer Randbebauung, die heterogener kaum sein könnte, aber das gesamte Spektrum der Planungsgeschichte der Nachkriegszeit abdeckt. Mehrgeschossige Wohnhäuser mit Giebeldächern im Süden, Geschäfts- und Bürohäuser im Westen, das Telekomhochhaus von 1974 mit dazugehörigem Parkhaus im Norden und das Präsidiumsgebäude der Polizei im Osten. Letzteres steht der Verbindung zum Ravensberger Park leider im Wege.
Kann der Kesselbrink, wenn er Ende 2012 fertiggestellt sein wird, die städtischen Räume zwischen der Altstadt und dem Ravensberger Park reparieren helfen? Die Kinder und Jugendlichen, die jetzt in der Umgebung aufwachsen, werden ein völlig anderes Bild haben, als meine Generation. Ich habe den Platz zuerst als Parkplatz für das Auto meiner Eltern wahrgenommen, viel zu weit entfernt von allem, was spannend für mich hätte sein können. Später, als Jugendlicher allein in der Stadt unterwegs, war der dortige Busbahnhof interessant, tagsüber noch ganz o.k., abends im Dunkeln abweisend und ungemütlich. Geregnet hat es auch immer, der Platz war stets grau. Danach verschwand er aus meinem Wahrnehmungsradius. Es gab dort einfach nichts. Viel später verschwand ich selbst aus dem Radius der OWL-Metropole, allerdings nicht wegen des armseligen Kesselbrinks.
Was wird aus Bielefeld?
Ob sich mit dem neuen, ergrünten Kesselbrink am distanzierten Bielefeld-Blick der Fremden etwas ändern wird? Im Bahnhofskiosk liegen heute Titel wie „Rätselhaftes Bielefeld“ und „Die Bielefeld Verschwörung“ in guter Nachbarschaft zum „Dschungelbuch“ von Kipling, herausgegeben in der Reihe „Nobelpreis-Bibliothek“, und „Mord-Westfalen II“. Direkt unter „Scheiß Leben – überall derselbe Mist“. Sie zeigen zumindest eines: Es ist Zeit für eine neue Vorstellung von dem, was das Flair einer Stadt wie Bielefeld ausmacht. Der neue Kesselbrink gehört ganz sicher dazu.
PS. „Bielefeld ist die letzte deutsche Stadt mit mehr als 300.000 Einwohnern, in der es noch kein großes Einkaufszentrum gibt“, so äußerte sich Bürgermeister Horst Grube (SPD) noch unlängst. Kurz vor Redaktionsschluss präsentierten die Projektentwickler ECE aus Hamburg und vor allem das Essener Unternehmen Management für Immobilien MFI überdimensionierte Konzepte. Vom Jahnplatz bis zum Kesselbrink soll man trockenen Fußes gelangen können. Allein die MFI plant eine Mall mit 23.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, kleiner lohne sich nicht.
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