Bauwelt

KulturWerk



Text: Seifert, Jörg, Hamburg


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    Foto: Klaus Frahm

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Vom Kalksandsteinwerk zur Blumenhalle zum Konzertsaal: medium Architekten haben in der 70.000-Einwohner-Stadt nördlich von Hamburg einen maroden Industriebau erfolgreich transformiert – trotz schwieriger Ausgangslage und  widersprüchlicher Vorgaben
Der Stadtpark in Norderstedt ist eine überformte Industrielandschaft. 1962 bis 1988 war hier das Kalksandsteinwerk der Firma Potenberg in Betrieb, der Sandabbau hinterließ einen 25 Hektar großen Baggersee. Nach Erschöpfung der Vorkommen wurde die Produktionsanlage geschlossen, Flora und Fauna entfalteten sich. 2004 erhielt Norderstedt den Zuschlag für die Landesgartenschau (LGS) im Jahr 2011. Hierin sah die Stadt das geeignete Instrument, um das teilweise unter Naturschutz stehende Gebiet umzugestalten: Die Industrie­ruine wurde als Entree zum Gartenschaugelände aktiviert. Mit dem anschließenden Ausbau zum Kulturzentrum wurde 2009 nach einem Verhandlungsverfahren medium Architekten Roloff, Ruffing+Partner aus Hamburg beauftragt. Der zentrale Gedanke ihres Raumkonzept hieß „Spur der Steine“: Die Historie des Ortes, Ursache und Wirkung der Kies- und Sandgewinnung und die Abläufe der Steinherstellung sollten nachvollziehbar bleiben. Ein anspruchsvolles Vorhaben, zumal große Teile der Anlage wie Mischsilos, Hydraulikpressen, Steinhärtekessel und Verladekran nicht mehr erhalten waren.
Der größte Raum, die südlich gelegene ehemalige Pressenhalle, ist zum Hauptveranstaltungssaal für 400 bis 450 Zuschauer geworden. Die vier Revisionsbalkone der Pressen sind in die Zuschauerränge integriert. In der nördlich angrenzenden ehemaligen Heizzentrale ist eine Probebühne mit 100 bis 150 Plätzen untergebracht; an ihrer Ostwand, in Blickrichtung der Zuschauer, sind verschiedene Rohrstücke aus dem alten Werk zu einer abstrakten Komposition arrangiert.
Die westlich der Säle gelegene ehemalige Verschiebebahn, auf der die Rohlinge einst von den Pressen zu den Härtekesseln, den Autoklaven, gefahren wurden, bildet nun die Foyer­zone des Kulturzentrums. Die Linearität dieses Raumes wird durch die erhaltenen Schienen unterstrichen und noch gesteigert, indem die Foyerspange über das ursprüngliche Produktionsgebäudes hinaus verlängert wurde. Die Musikschule – ein dreigeschossiger Neubau-Kubus mit Proberäumen und Ballettsaal – wurde so in das Ensemble eingebunden.
Im Foyer finden sich weitere „echte“ Spuren, auch aus anderen Zeitschichten. Graffiti, die während des Leerstandes auf den Wänden auftauchten, sind dünn mit einer Schlemme überstrichen und deutlich erkennbar – eine Maßnahme aus Rücksicht auf die Farbwirkung der Pflanzen, die hier während der Landesgartenschau 2011 ausgestellt waren.
Die Rolle der LGS ist widersprüchlich: Einerseits initiierte sie den Umbau, andererseits hemmte sie vielfach die konsequente Umsetzung klarer konzeptioneller Ideen. Der Solitär des Produktionsgebäudes etwa konnte nicht als solcher entwickelt werden, da das Gebäude im Zuge der Gartenschau gleichzeitig als Ausstellungshalle und Eingang für den neu gestalteten Stadtpark zu dienen hatte. Daraus ergab sich, dass die Erschließung entgegengesetzt zum einstigen Produktionsablauf geplant werden mussten. Jetzt betreten die Besucher das KulturWerk an der Stelle, an der früher die fertigen Steine den Betrieb verließen. Müßig daher, die erhöhte Öffnung der Ostfassade, durch die ursprünglich der Sand per Förderband ins Gebäude kam, als Eingang zur rückwärtigen Saalerschließung zu imaginieren. Dort hätte eine markante Rampe zur deutlichen Empfangsgeste werden können.
Doch der Umgang mit der Ostfassade war – wie zeitweise das gesamte Vorhaben – lokalpolitisch ein heißes Eisen. Bereits 2004 war die Bewerbung für die LGS von Kritik und Widerständen der Naturschutzverbände und der Ortsfraktion der Grünen begleitet, die sich gegen Eingriffe in das Biotop wie die Zerstörung des Lebensraums der Fledermäuse am Baggersee wandten. Auch die Idee, an dieser Stelle ein Gebäude mit kultureller Nutzung zu etablieren, musste sich gegen derartige Bedenken behaupten. Während des fast zwanzig Jahre dauernden Leerstands hatten in der Ruine verschiedene Vogelarten genistet. In diesem Kontext war der Vorschlag der Architekten, mit einer Biotopfassade auf den östlich angrenzenden Landschaftsraum zu reagieren und Flora und Fauna an das Gebäude heranzuholen, ein strategisches Mediationsangebot, das letztlich akzeptiert wurde. Auf den ersten Blick scheint hier bislang nur ein einziger Vorbote Präsenz zu zeigen: Aus besagter Öffnung wächst in acht Metern Höhe eine ausladende Bergkiefer im Pflanzbalkon. Tatsächlich haben sich hier aber schon Mauersegler, Turmfalken, Fledermäuse und Insekten eingefunden, für die zahlreiche Nisthilfen in die Fassade integriert wurden. Und in zehn bis fünfzehn Jahren, so Klaus Roloff, werde das Erscheinungsbild völlig anders sein: In regelmäßigen Abständen ragen einzelne gelochte Kalksandsteine aus der Fassade heraus, die eine „unkontrollierte“ Besiedelung fördern sollen.
Lichtfilter aus Kalksandstein
Am liebsten hätten die Architekten die ursprüngliche Außenhülle erhalten. Da das Gebäude aber nicht unter Denkmalschutz stand und ein entsprechend langwieriges Verfahren politisch nicht gewollt war, kam die Energieeinsparverordnung zum Tragen. Dämmung und Vorsatzschale waren unvermeidlich. Als Material für die neue Außenwandbekleidung lag Kalksandstein mehr als nahe, es wurde jedoch variantenreich eingesetzt: Der sanierte Altbau und der neu entstandene Kubus der Musikschule erfuhren eine jeweils andere Ausführung, ebenso wie alle Seiten des ehemaligen Produktionsgebäudes. In die Westfassade, gemauert im Märkischen Verband, wurden einzelne glasierte Köpfe integriert, die, tagsüber kaum wahrnehmbar, am Abend das Licht der Autoscheinwerfer reflektieren. An den Stirnseiten sind Steine mit Griffmulden hochkant vermauert. Die Musikschule wiederum hat eine vollständige Glasfassade, der eine Schale aus gelochten, ebenfalls hochkant vermauerten Kalksandsteinen vorgesetzt ist. Außen entsteht somit von drei Seiten der Eindruck eines gemauerten Kubus mit einem Spiel aus offenen und geschlossenen Flächen. Von innen wirken die gemauerten Flächen leicht, fast textil, weil die perforierten Steine gefiltertes Licht in die Räume lassen.
Bemerkenswert ist auch das Ausmaß, in dem technische Gebäudeausrüstung, Haustechnik und Energieversorgung zum essenziellen Bestandteil der Konzept- und Ausführungsplanung geworden sind. Da keine ganztägige Nutzung zu erwarten war, wurde das Gebäude als schnell aufheizbarer Leichtbau ohne große Speichermassen eingestuft. Die Heizung erfolgt per Fernwärme. Eine Heiz- und Kühldecke im Foyer und in den Veranstaltungsräumen kann flexibel auf unterschiedliche Temperatursituationen reagieren, indem mit Hilfe des Wassers eines schon vorhandenen Tiefbrunnens geheizt oder gekühlt wird. In Kooperation mit dem Stuttgarter Ingenieurbüro Transsolar wurde ein natürliches Belüftungssystem entwickelt, für das bestehende Kellerschächte und der Kamineffekt des verbliebenen Schornsteins integriert wurden. Die Luft kann ohne störende Nebengeräusche zirkulieren. Nur bei Extremwetterlage oder im Brandfall zum Rauchabzug ist ein Ventilator erforderlich.
Was aus energetischen Erwägungen nur folgerichtig und wünschenswert ist, zog jedoch in Kombination mit anderen Faktoren den Unmut des Bauherrn nach sich. Rajas Thiele, Geschäftsführer der Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH, beklagt, dass der große und der kleine Veranstaltungssaal nicht hinreichend akustisch getrennt sind. Deshalb seien – entgegen der Baubeschreibung von 2009 – Parallelveranstaltungen nicht möglich. Ein Grund, so Thiele, liege eben in der Ausführung des Lüftungssystems, an dem der Betreiber jetzt Nachbesserungen vornehmen wolle. Auch die im obersten Geschoss geplante Bar, mit Blick auf Stadt und Landschaft einer der attraktivsten Orte im Ensemble, habe noch nicht eingerichtet werden können, da sie nicht separat zu betreiben sei. Unterschiedliche Prioritäten beim Bauherrn und den Architekten, aber auch eine unglückliche Planungskonstellation seien dafür verantwortlich. Der anfangs tätige Projektsteuerer sei womöglich zu stark auf das Nahziel LGS und weniger auf die kulturelle Nachnutzung des Gebäudes orientiert gewesen. Allerdings, so der Betreiber, handle es sich bei den Kritikpunkten um Luxusprobleme. Die Nachfrage sei deutlich größer als erwartet, die Besucher reagierten durchweg positiv. Die Strategie der atmosphärischen Revitalisierung hat sich, trotz aller Widrigkeiten, als erfolgreich erwiesen.



Fakten
Architekten me di um Architekten, Hamburg
Adresse Stormarnstraße 55, 22844 Norderstedt ‎


aus Bauwelt 39.2013
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