Kunstzentrum "C4"
Centro de Creatión Contemporánea en Córdoba
Text: Cohn, David, Barcelona
Mit dem Centro de Creatión Contemporánea en Córdoba von Nieto Sobejano Arquitectos ist ein weiteres ambitioniertes Kulturprojekt in Spanien fertiggestellt. Eine exquisite Architektur, mit der nur die Politiker derzeit nicht viel anzufangen wissen. Ein erster Blick in ein inspirierendes Raumgefüge mit perfekter Hülle.
Das Centro de Creatión Contemporánea en Córdoba, kurz: C4, liegt auf einer Halbinsel gegenüber der Altstadt mit ihrer historischen Moschee. Das C4 liegt auf der von der Stadt abgewandten Seite, denn auf der Halbinsel sollte ursprünglich auch ein Kongresszentrum nach Entwürfen von Rem Koolhaas entstehen. In seinem 2002 gekürten Entwurf hatte Koolhaas eine dynamische, lineare Konstruktion vorgeschlagen, deren diagonale Achse sich auf die Moschee bezog. Er schob den Bau damals dichter an die Altstadt heran als in der Ausschreibung vorgesehen; für die damit frei gewordene Fläche initiierte die Junta de Andalucía, die Regierung Andalusiens, im Jahr 2005 einen Wettbewerb, der in einem Kunstzentrum Künstler-Ateliers und Ausstellungsflächen zusammenbringen sollte. „Ein Zentrum für neue Ausdrucksformen – digitale Kunst, Videokunst, eben all das, was man nicht anfassen kann“, erläutert Enrique Sobejano, der mit seiner Partnerin Fuensanta Nieto den Wettbewerb gewann.
Verzögerung
Nach drastischen Mittelkürzungen der öffentlichen Hand sind beide Projekte nicht wie geplant verlaufen. Den Bau des Kongresszentrums brachte Córdobas neu gewählter Bürgermeister im vergangenen Jahr endgültig zu Fall; die Vorbereitungen für eine Inbetriebnahme des Kunstzentrums seien „vorerst gestoppt“, so Sobejano. Nun setzt man andere Prioritäten. Die Architekten brachten den Vorschlag ein, das Gebäude frei zu geben: „Für Nachwuchskünstler, Kollektive – eben für alle, denen mit Platz eher gedient ist als mit Geld. Wie zum Beispiel bei der Tabacalera.“ Enrique Sobejano spielt da-mit auf eine Madrider Tabakmanufaktur aus dem 18. Jahrhundert an, die das Kultusministerium sozialen und künstlerischen Nachbarschaftsinitiativen zur Verfügung stellte. Die bittere Wahrheit lautet: Im krisengeschüttelten Spanien rangiert ein brandneuer, 22 Millionen Euro teurer öffentlicher Bau auf derselben Stufe wie eine alte marode Fabrik.
Zentrale Referenz für Fuensanta Nietos und Enrique Sobejanos Córdoba-Entwurf ist die geometrisch organisierte Grundstruktur der islamischen Kulturtradition, wobei die Architekten sowohl in der Grundriss- als auch der Fassadengestaltung des C4 damit arbeiten: Im Gebäudeinneren fädeln sie eine Kette unregelmäßiger, sechseckiger Ausstellungsräume zu einem ansonsten durchlässigen Raumkontinuum auf, an den nahezu fensterlosen Außenfassaden zeigen die vorgehängten Verkleidungspaneele dieselben unregelmäßigen und zugleich in sich logischen Wabenmuster.
Der strukturelle Keim des Entwurfs besteht in einem regelmäßigen Hexagon; es wird in drei unregelmäßige Sechsecke aufgebrochen, zwischen die drei weitere, ebenfalls unregelmäßige kleine Viereck-Flächen eingepasst sind. Ein solcher „Zellhaufen“ aus je drei 150, 90 und 60 Quadratmeter großen Sechsecken bildet das Grundmodul für eine Ausstellungseinheit. Insgesamt gibt es drei dieser Zellcluster, die jeweils unterschiedlich ausgerichtet sind. Ein vierter, kleinerer Cluster unmittelbar am Eingang beherbergt die Cafeteria, ein größerer schließlich gibt eine Black Box für Performances und Veranstaltungen ab.
Die regelmäßige Geometrie der einzelnen Module ermöglicht nahtlose Übergänge, dadurch entsteht im Inneren eine durchgehende Raumfolge, die auch vier dazwischen geschaltete offene Innenhöfe mit überraschenden Sichtbezügen einschließt. Zu beiden Seiten flankieren ergänzende Räume über rechteckigem Grundriss die Ausstellungsflächen. Jede Einheit wird separat über eine Galerie an der langgestreckten Uferfassade erschlossen, an deren Kopfende sich die Mediathek befindet. Zur rückwärtigen Gebäudeseite hin schließen sich Künstler-Ateliers direkt an die Ausstellungscluster an, im darüber liegenden Geschoss fanden Büros und Werkräume Platz.
Wiederkehrende organische Architektur
Isotrop nennen die Architekten diese repetitive, non-hierarchische Zell-Struktur. Sie verweist auf eine der interessanteren neueren Entwicklungen in der zeitgenössischen spanischen Architektur, die Rückbesinnung auf ein organisches Denken. „Towards an Organic Architecture“ lautete der Titel einer 1945 erschienenen Abhandlung von Bruno Zevi, dessen Ideen die spanischen Vertreter einer organischen Architektur der fünfziger und sechziger Jahre – auch in Anlehnung an die Arbeiten von Frank Lloyd Wright oder Alvar Aalto – wieder aufgriffen. Der wabenfömige Spanische Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung 1958 von José A. Corrals und Ramón V. Malezún gehört genauso hierher wie José María García de Paredes’ Hypostyl für die Kirche im Madrider Almendrales-Viertel von 1964.
Eine ganze Reihe spanischer Architekten sind im vergangenen Jahrzehnt von funktionalistischen oder minimalistischen Konzepten abgerückt, um eine erneute Annäherung an diese Ideen zu erproben; bekanntestes Beispiel ist wohl das 2005 eröffnete MUSAC Museum in León nach Entwürfen von Luis Mansilla und Emilio Tuñón. Auf die selbe Weise wie Mansilla/Tuñón verknüpfen auch Nieto und Sobejano das abwechslungsreiche Formenspiel mit strikter Disziplin hinsichtlich der Wahl der Materialien, der Verarbeitung und der Ausführung. Dieses Prinzip ihrer Arbeit wird auch in früheren, deutlich zurückgenommeneren Bauten deutlich. In Córdoba ahmen sie mit einer reduzierten Palette aus exquisit verarbeiteten rauen Oberflächen industrielle Strukturen nach. Die Schalfugen an den mächtigen, freistehenden tragenden Betonwänden und -decken sind so akkurat und gleichmäßig wie bei Sichtmauerwerk aus gebranntem Ziegel. Für die Böden fiel die Wahl auf Magnesit-Estrich, ein fugenloser, hoch-belastbarer Industrieboden auf Kunstharzbasis. An Stahltüren, Handläufen und Fensterrahmen kamen spezielle Fertigungstechniken zum Einsatz, um besonders viele Farbnuancen jener kristallinen Oberflächenmuster zu erzeugen, die bei den Galvanisierungsprozessen entstehen. „Unser Ziel war nicht der neutrale Raum“, erläutert Sobejano, „wir wollten architektonisch stark aufgeladene Räume, auf die die Künstler Bezug nehmen können.“ Mit seiner massigen Schwere, den streng definierten geometrischen Formen und den erfindungsreichen Anspielungen auf Córdobas islamisches Erbe erhält der Entwurf eine physische Präsenz, mit der sich die Architektur dem immateriellen, virtuellen und flüchtigen Charakter der Kunst entgegenstellt, für die sie ursprünglich erdacht wurde.
Inspiration Islam
Sobejano vergleicht die nach innen gestülpten, pyramidenförmigen Deckentrichter der einzelnen Ausstellungszellen mit den Muqarnas, deren kompliziert ineinandergreifende Muster aus Miniatur-Konsolen, Kehlungen und Stalaktit-Elementen sich an zahlreichen Gewölbedecken der Alhambra finden. Die ganz unterschiedlich hohen Decken laufen jeweils in einem sechseckigen, mit einer transluzenten Membran bespannten Oberlicht zusammen, dessen Form dem dazu gehörigen Raum entspricht. In den dicken Wänden zwischen den Zellen befinden sich Hohlräume für Haus- und Ausstellungstechnik. Wandauslässe im 90-Zentimeter-Raster ermöglichen flexibel angeordnete Kunstinstallationen. Jede einzelne Zelle lässt sich mithilfe von automatischen, in die oberen Wandpartien eingelassenen Falltoren aus Stahl zum autarken Ausstellungsraum abtrennen, sodass Künstler bzw. Ausstellungsprojekte je nach Bedarf eine oder mehrere Gelerien belegen können.
Die Außenfassade ist mit vorgefertigten Faserbeton-Paneelen verkleidet. In ihnen wird das Hexagon-Muster der Ausstellungsräume wieder aufgegriffen, auch hier in unterschiedlichen Größen und Formen variiert. Die lange Fassadenfläche zum Fluss hin ist eigentlich ein Flachrelief, wobei in jeder Einkerbung verdeckte Leuchtdioden angebracht wurden. Dadurch wird die Fassade zu einem Media-Screen aus über 1300 Pixeln, auf dem sich auch Bewegtbilder darstellen lassen – das Konzept entwickelten die Architekten gemeinsam mit dem Berliner Büro realities:united. Die gegenüberliegende Gebäudeseite ist mit einer konventionellen Vorhangfassade verkleidet, hinter deren Aussparungen im Lochmuster die Bürofenster liegen. Das Konzept der plastischen Fassade ist ein wiederkehrendes Motiv im Werk der Architekten. In Mérida ziehen sich Reliefs mit Plänen der Stadt, entworfen von der Künstlerin Esther Pizarro, über die Fassaden des Kongresszentrums, in San Sebastián, wo das Büro den Erweiterungsbau für das Museao San Telmo realisierte (
Bauwelt 22.11), bieten die unregelmäßig verteilten Löcher in den Aluminiumpaneelen Flechten und anderen Pflanzen Halt. Hier in Córdoba bekommt die perfekte Betonfertigteilhaut durch die unregelmäßige Irritation der wild durcheinander gewürfelten Sechsecke ordentliche Dellen.
Geschickt bearbeiten Nieto und Sobejano die Gebäudemasse im Sinne einer plastischen Form, etwa indem sie die hohe Silhouette der Black Box als Rahmen für die langgestreckte Öffnung an der Atelierfront nutzen. Diese Strategie erinnert an I.M. Peis Ostflügel der Washingtoner National Gallery, der ebenfalls auf einer nicht-rechtwinkligen Grundstruktur aufbaut. Zugleich unterstreicht genau dies, wie groß der Abstand zwischen dem strikten, dreieckigen Grundraster des East Wing und den offenen, wie Seifenblasen aneinander hängenden Raumzellen im Córdoba-Entwurf eigentlich ist: Mit ihren organischen Zufallsstrukturen sprengen Nieto Sobrejano die Geometrie auf.
Die Struktur islamischer Muster beschäftigte die Architekten erstmals während ihrer Arbeit am archäologischen Besucherzentrum des Madinat-Al-Zahra-Palastes nördlich von Córdoba, berichtet Enrique Sobejano. Der Entwurf trug dem Büro den Aga Khan Award for Architecture 2010 ein und zog neue Aufträge in Indien und Marokko nach sich, wo die Architekten ihre Auseinandersetzung mit diesem Thema derzeit weiter vertiefen. „Es geht darum,“ so Sobejano, „wie man Architektur und Raum mit zeitgenössischen Mitteln im Rahmen des islamisch-geometrischen Regelwerkes interpretieren kann. Im Grunde sind diese Regeln enorm aktuell: Sie sind antizentristisch, kombinatorisch und ermöglichen eine Ausdehnung nach allen Richtungen. Man legt drei oder vier Parameter fest, alles Weitere ergibt sich daraus. Das ist eine extrem moderne Art zu denken.“
Aus dem Englischen von Agnes Klooke
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