Der Dom zu Hildesheim, neu gestimmt
Liturgische Achse im Welterbe-Band
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Knoten der Umgestaltung: In der Vierung treffen der aufs alte Niveau tiefer gelegte Boden, die schmaler geführte Treppe, die wieder geöffneten Abgänge in die Krypta und die sichtbaren Betonelemente der fünfziger Jahre aufeinander
Foto: Christian Richters
Knoten der Umgestaltung: In der Vierung treffen der aufs alte Niveau tiefer gelegte Boden, die schmaler geführte Treppe, die wieder geöffneten Abgänge in die Krypta und die sichtbaren Betonelemente der fünfziger Jahre aufeinander
Foto: Christian Richters
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Der Domhof wurde von Hahn Hertling von Hantelmann umgestaltet.
Foto: Christian Richters
Der Domhof wurde von Hahn Hertling von Hantelmann umgestaltet.
Foto: Christian Richters
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Godehardichor und Nordparadies im gotischen Teil des Nordquerschiffs
Foto: Christian Richters
Godehardichor und Nordparadies im gotischen Teil des Nordquerschiffs
Foto: Christian Richters
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Links die Ostfassade des Nordquerschiffs mit Blick in den Kreuzgang
Foto: Christian Richters
Links die Ostfassade des Nordquerschiffs mit Blick in den Kreuzgang
Foto: Christian Richters
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Ohne Anstrich sind die Betonsäulen als Elemente aus Nachkriegszeiten erkennbar.
Foto: Christian Richters
Ohne Anstrich sind die Betonsäulen als Elemente aus Nachkriegszeiten erkennbar.
Foto: Christian Richters
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Schnitt im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
Schnitt im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
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Bernwardtür, Taufbecken, Heziloleuchter und Altar bilden den westlichen Teil der liturgischen Achse.
Foto: Christian Richters
Bernwardtür, Taufbecken, Heziloleuchter und Altar bilden den westlichen Teil der liturgischen Achse.
Foto: Christian Richters
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Das kleine Foto unten zeigt den Godehardischrein aus dem 12. Jahrhundert in der Krypta.
Foto: Christian Richters
Das kleine Foto unten zeigt den Godehardischrein aus dem 12. Jahrhundert in der Krypta.
Foto: Christian Richters
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Fundamentplan Altfriddom, Baujahr ab 852 ff.
Grundriss im Maßstab 1:1500: Karl Bernhard Kruse
Fundamentplan Altfriddom, Baujahr ab 852 ff.
Grundriss im Maßstab 1:1500: Karl Bernhard Kruse
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Grundriss Bernwarddom, 993 ff.
Grundriss im Maßstab 1:1500: Karl Bernhard Kruse
Grundriss Bernwarddom, 993 ff.
Grundriss im Maßstab 1:1500: Karl Bernhard Kruse
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Grundriss Hezilodom, 1054 ff.
Grundriss im Maßstab 1:1500: Karl Bernhard Kruse
Grundriss Hezilodom, 1054 ff.
Grundriss im Maßstab 1:1500: Karl Bernhard Kruse
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Die ehemalige Domschule gibt sich mit der vorgestellten Glasvitrine als neuer Haupteingang des Weltkulturerbe-Ensembles zu erkennen
Foto: Christian Richters
Die ehemalige Domschule gibt sich mit der vorgestellten Glasvitrine als neuer Haupteingang des Weltkulturerbe-Ensembles zu erkennen
Foto: Christian Richters
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Die Glasvitrine bietet Besuchern Gelegenheit, sich mit Blick auf den Domhof auszuruhen. Mittig der Kassentresen, rechts der Abgang zu den Nebenräumen
Foto: Christian Richters
Die Glasvitrine bietet Besuchern Gelegenheit, sich mit Blick auf den Domhof auszuruhen. Mittig der Kassentresen, rechts der Abgang zu den Nebenräumen
Foto: Christian Richters
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Grundriss im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
Grundriss im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
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Grundriss im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
Grundriss im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
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Das Obergeschoss des Kreuzgangs war jahrzehntelang verbaut für verschiedene Nutzungen. Heute wieder ein durchgängiger Raum, wird es künftig vom Dommuseum als Ausstellungsort genutzt.
Foto: Christian Richters
Das Obergeschoss des Kreuzgangs war jahrzehntelang verbaut für verschiedene Nutzungen. Heute wieder ein durchgängiger Raum, wird es künftig vom Dommuseum als Ausstellungsort genutzt.
Foto: Christian Richters
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Schnitt im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
Schnitt im Maßstab 1:750
Zeichnung: Schilling Architekten
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Blick aus dem Kreuzgang auf die Bernwardsäule. Der Bronzeguss war im 11. Jahrhundert für die Michaeliskirche geschaffen worden, fand aber im 19. Jahrhundert den Weg in den Dom.
Foto: Christian Richters
Blick aus dem Kreuzgang auf die Bernwardsäule. Der Bronzeguss war im 11. Jahrhundert für die Michaeliskirche geschaffen worden, fand aber im 19. Jahrhundert den Weg in den Dom.
Foto: Christian Richters
Ein großes Ereignis ist auch erkennbar an den skurrilen Meldungen, die sich daran anlagern. Die Wiedereröffnung des Hildesheimer Doms Mitte August etwa nahm die Braunschweiger Münzhandelsgesellschaft MDM zum Anlass für eine Gedenkmedaille – auf dem Bestellformular prangte allerdings die Hildesheimer Kirche St. Michael, seit 1985 zusammen mit dem Dom auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO. Architektonisch wäre die Verwechslung insofern zu rechtfertigen, als die ottonische Basilika am Nordrand des Hildesheimer Stadtzentrums nicht zuletzt aufgrund ihres bereinigenden Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg eine einprägsamere Erscheinung bietet als der aus mehreren Bauphasen zusammengesetzte und über die Jahrhunderte veränderte Dom.
Nach dem 22,5 Millionen Euro Baukosten schweren Umbau durch das Kölner Büro Schilling Architekten zeigt sich das Innere des Doms nun von neuer Reinheit und Balance – die Raumkonzeption der Romanik wurde zurückgewonnen; gleichzeitig wurde eine ästhetische Zeitgenossenschaft und Abstraktion erzielt, die in einer katholischen Bischofskirche mit ihren erwarteten mannigfachen Reizen überrascht. Der Eintretende könnte sich in einer Kunsthalle wähnen, in der die sakralen Kunstwerke ihre ganze Aura entfalten können. Tatsächlich sind diese im Hildesheimer Dom von besonderem Rang. Hervor sticht eine Gruppe romanischer Arbeiten: Von Bernwardtür und Bernwardsäule über das Taufbecken bis hin zu Hezilo- und Thietmarleuchter erwartet den Besucher eine Reihe von Objekten, die in dieser Größe, Vielfalt und Qualität hierzulande so schnell nicht ein zweites Mal zu finden sein dürfte. Mithin erscheint es gerechtfertigt, dass die Architekten genau diese Kunstwerke, welche zuvor eher zusammenhanglos als Einzelereignisse aufgestellt waren, zum Ausgangspunkt ihrer Raumkonzeption einer „Liturgischen Achse“ nahmen, die Raum- und Kunsterlebnis zusammenbindet. Sie reicht vom Westportal, in dem die bronzene Bernwardtür nun wieder „richtig herum“ hängt, nämlich mit der Bildseite nach außen, bis hinaus in den Kreuzgang, zum 1000-jährigen Rosenstock. „Viel bewirken, ohne viel zu verändern“, fasst Johannes Schilling das Ziel der Planung zusammen.
Revision des Wiederaufbaus
Die neue Raumwirkung geht in erster Linie zu Lasten der baulich-räumlichen Veränderungen, die im Zuge des Wiederaufbaus des am 22. März 1945 zerbombten Sakralbaus vorgenommen worden sind – der Hildesheimer Dom war der einzige deutsche Dom, dessen Zerstörung so stark war, dass er neu geweiht werden musste. Aus diesem Grund ging der jetzt abgeschlossenen Realisierung des im Wettbewerb von 2005 prämierten Umbauprojekts nicht nur eine zwei Jahre währende Phase archäologischer Grabungen voraus, sondern auch eine Diskussion darüber, ob die fünf Jahrzehnte zuvor getroffenen Veränderungen nicht vielleicht einen eigenen Wert darstellten, der Dom nicht auch als Architektur des Wiederaufbaus zu begreifen und weiterzuentwickeln sei. In der Tat, mag vor zehn Jahren auch ein flüchtiger Blick den romanischen Kern des Doms erkannt haben – der Wiederaufbau war schließlich auf dem Grundriss des unter Bischof Hezilo im 11. Jahrhundert errichteten Doms erfolgt –, muss die Substanz ebenso wie der Raum selbst als ein Werk der Nachkriegszeit bezeichnet werden: Mittelalterlichen Ursprungs waren im Hauptschiff lediglich Fragmente von Mauerwerk und Säulen.
Der Hannoveraner Architekt Wilhelm Fricke (1890–1964) hatte den Wiederaufbau außer mit Ziegelsteinen auch mit Betonfertigteilen bewerkstelligt; diese waren sowohl für die Säulen wie für die gerippten Flachdecken zum Einsatz gekommen. Auch sämtliche Oberflächen waren in dieser Zeit neu gefasst worden. Der stärkste damalige Eingriff aber, mehr vom 1957 neu ins Amt gekommenen Bischof Janssen denn von Fricke verantwortet, war der höher gelegte Fußboden mit seinem dunklen, geäderten Natursteinbelag. Aufgrund dieser Maßnahme standen die Säulen des Mittelschiffs ohne Basis da, geradeso, als ob die Basilika in einem von unten aufsteigenden Steinmassiv versänke, aus dem heraus sich die Vierung mit dem Hochaltar noch weiter auftürmte – eine vertikale Dynamik, die keinen Anschluss fand an die Ausgeglichenheit der romanischen Anlage. Die dunkle Holzverkleidung der Flachdecke wirkte im Vergleich dazu wie ein bloßer Oberflächeneffekt, steuerte aber noch zusätzlich einen gegengerichteten, lastenden Eindruck bei.
Das alles ist passé – die miteinander konkurrierenden Elemente sind letztlich nicht als denkmalwürdig erachtet worden, da nicht originärer Bestandteil des von Fricke 1950 erarbeiteten Wiederaufbauplans, sondern spätere Zutat. Die Entscheidung für den höher gelegten Boden etwa war seinerzeit wohl in erster Linie deshalb gefallen, um den in der Vierung sehr hoch angeordneten Altar näher an die Gemeinde zu bringen, erzählt Johannes Schilling. Die Kölner Architekten haben den Boden wieder abgesenkt, um rund 30 Zentimeter, und auch die gotischen Seitenkapellen aufs gleiche Niveau gebracht; die verlorenen Basen der Säulen wurden in Beton nach archäologischen Befunden nachgebildet. Entsprechend abgesenkt wurde auch die Vierung, in der ein neuer Altar von Ulrich Rückriem aus Anröchter Dolomitblöcken aufgestellt worden ist. Die Treppe, die zuvor in voller Breite des Mittelschiffs hinaufführte, wurde wieder verschmälert, sodass die beiden Abgänge in die Krypta erneut geöffnet werden konnten. Krypta und Hauptschiff sind so wieder erlebbar miteinander verknüpft. Außerdem wurde die Öffnung des nördlichen Querhauses in den gotischen Godehardichor oberhalb des Nordparadieses geschlossen, die Treppenanlage, die hinaufführte, abgerissen, die romanische Raumproportion zurückgewonnen. Auch die in den fünfziger Jahren eingebaute Orgelempore im Westen des Hauptschiffs wurde abgerissen, ihre drei Durchgänge in die Westvorhalle auf einen reduziert; in ihm hängt nun die Bernwardtür. Darüber wurde die neue Orgel als schwalbennestartige Auskragung ins Mittelschiff angeordnet. Schließlich wurden sämtliche Oberflächen erneuert und tragen zum einheitlichen Raumeindruck bei: ein heller Sandstein auf dem Boden, heller Kalkputz an den Wänden, die Rippendecken unverkleidet, die Betonsäulen des Wiederaufbaus von ihrer Farbbeschichtung befreit und so als Elemente der Nachkriegszeit erkennbar gemacht.
6 aus 27 Höhenniveaus
All dies sind Maßnahmen, die in ihren Details zum Teil erst während der rund fünfjährigen Bauphase abgestimmt werden konnten, da sie im Einzelnen auch aufgrund der archäologischen Befunde gar nicht von vornherein zu erkennen waren. 21 Kapitelsitzungen zählt der Architekt, in denen die zahlreichen Entscheidungen getroffen wurden, und zwar weitgehend einvernehmlich. Doch griff das Projekt über den eigentlichen Kirchenraum hinaus – wer den Hildesheimer Dom kennt, weiß, dass die Basilika nur ein Teil eines größeren, etwas versteckt im Stadtgefüge liegenden Gesamtkomplexes ist. Und nicht nur der Dom selbst, auch dieser bedurfte der Erneuerung. Ziel war es etwa, den zweigeschossigen, abschnittsweise völlig verbauten Kreuzgang neu zu ordnen und in den Gesamtkomplex einzubinden, neue Räume für das Dommuseum und schließlich eine neue Eingangssituation für dieses Weltkulturerbe-Objekt und seine zahlreichen Besucher zu schaffen. All das natürlich behindertengerecht – was die Architekten dazu führte, die vorgefundenen 27 (sic!) verschiedenen Höhenniveaus auf nur noch sechs zu reduzieren. Dies gelang, obwohl ein Kernelement des Entwurfs bislang gar nicht realisiert worden ist – das geplante „Dom-Forum“, das an Stelle des Kardinal-Bertram-Hauses im Nordosten der Kathedrale einen dem Stadtzentrum zugewandten Empfangsraum bilden sollte, wurde aus Kostengründen zurückgestellt. Der Hauptzugang erfolgt durch eine gläserne Vitrine, die der zwischen Kardinal-Bertram-Haus und Dom gelegenen alten Domschule vorgestellt wurde; hier fanden auch die üblichen Nebenbereiche Platz. Von hier aus sind beide Geschosse des Kreuzgangs zu betreten: das untere, das zur St. Annen-Kapelle und zum berühmten Rosenstock führt, und das obere, welches das Museum erschließt und bereits zu dessen Ausstellungsfläche zählt. Dieses wird derzeit auf drei Ebenen in der ehemaligen Antonius-Kirche auf der Südseite des Kreuzganggevierts eingerichtet; im Frühjahr soll es eröffnen. Schon jetzt aber bietet sich vom oberen Kreuzgang aus eine ganz neue Perspektive in den Dom: durch das Fenster, das sich ins südliche Querhaus öffnet, lässt sich auch die Bernwardsäule von ganz neuer Warte aus betrachten.
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