Bauwelt

Lokschuppen Wriezener Bahnhof



Text: Tempel, Christoph, Berlin


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    Foto: Hans-Christian Schink

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Was tun mit einem brachliegenden Stück „Metrozone“ im Umfeld des Berliner Ostbahnhofs? AFF-Architekten sanierten einen ehemaligen Lokschuppen als Gemeinschaftsraum für Nachbarschaftsnutzungen. Die gelungene Umgestaltung ist Teil eines partizipativen Planungsprozesses für den angrenzenden Park, dessen selektive Nutzung für Kritik gesorgt hat.
Das soll ein Lokschuppen sein? Wie ein Gewichtheber stemmt das Erdgeschoss die beiden auskragenden und im Verhältnis viel zu hohen Obergeschosse in die Höhe. Wie ein Lokschuppen sieht der dunkle Solitär jedenfalls nicht aus; ins Erdgeschoss passt höchstens eine kleine Lok, und was im Obergeschoss geschieht, erschließt sich von außen nicht. Nur zwei Schienen verweisen auf die frühere Nutzung, das wüste Umfeld zeugt von Aufräumarbeiten und wartet auch zwei Jahre nach Fertigstellung noch auf Gestaltung.
Hier, im Berliner Stadtteil Friedrichshain, auf dem Gelände des ehemaligen Wriezener Bahnhofs, zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke, befand sich unter anderem das Anfang der 1950er-Jahre errichtete Fernheizwerk Stalinallee. Über die Gleise wurde Kohle geliefert, und im Schuppen stand die werkseigene Diesellok. Oben lagerten die Reservelaufkatzen der Förderbrücken, deswegen die großen Tore in luftiger Höhe. Auf alten Fotos wirkt der Bau weniger erratisch: Eine Krahnbahn bindet ihn in Betriebsabläufe ein, und niedrige Anbauten lassen ihn noch nicht so eindrucksvoll in die Höhe streben, wie er dies heute tun kann. Ohne die umgebende Bebauung, die längst abgerissen ist, sieht der Lokschuppen heute ein wenig fragil aus. Deswegen haben die Architekten des Büros AFF, die für die Sanierung und die Umgestaltung in ein Gemeinschaftszentrum verantwortlich zeichnen, eine dunkle Farbe gewählt. Ein kräftiges Olivgrün, das dem Bau, so der Architekt Sven Fröhlich, ein selbstbewusstes Aussehen verleiht. Sowohl das Stahlfachwerk als auch die Mauerausfachung, die Fenster und das Traggerüst des Erdgeschosses wurden mit dieser Farbe gefasst, was dem Bau eine nervige Anmutung verleiht. Dabei sorgt die Farbe auch für Unterschiede: Die glatten Stahlteile heben sich deutlich von den stumpfen Mauerflächen ab und evozieren das Bild von einem Knochengerüst, das einen Körper trägt.
Die Architekten betrachten den Lokschuppen als Findling aus industrieller Vergangenheit mit dem man behutsam umgehen muss. Sie haben bei der Sanierung darauf geachtet, Vorgefundenes zu erhalten und Ergänzungen im selben Stil vorzunehmen. Durchgehend saniert und wärmegedämmt wurde nur das Erdgeschoss, im Obergeschoss beschränkten sie sich darauf, schadhafte Stellen im Mauerwerk zu beseitigen, das Stahlfachwerk von Rost zu befreien und zu streichen, die großen Tore wieder gangbar zu machen sowie die Fenster aufzuarbeiten.
Im Wettbewerbsentwurf 2008 war ein Gemeinschaftszentrum für künftige Nutzer vorgesehen, das im Zuge der partizipativen Planung des benachbarten Parks umgesetzt werden sollte. In der Projektphase des Wettbewerbs spielte deshalb auch das Obergeschoss des Lokschuppens eine entscheidende Rolle: Die Architekten hatten ihren Vorschlag „Wriezener Deck“ genannt: Der Bau war von einer Plattform aus Holz umgeben, die ebenerdig um das Gebäude angelegt war. Das Erdgeschoss wäre für die Besucher frei und offen gewesen. Vier ergänzende Raummodule für Café, WC, Büro und Lager umstanden die Plattform, um alle erdenklichen Nutzungen zu ermöglichen und wenn nötig beiseite geräumt zu werden. Über eine Rampe sollte das Obergeschoss an die Plattform angebunden werden – als temporär zu nutzender Veranstaltungsraum. Ein Teil des ambitonierten Konzepts fiel dann dem Mangel an Finanzen zum Opfer: Die Holzplattform wurde aufgegeben, und aus vier Containern wurden zwei: ein WC-Container und einer für das Büro. Dass damit auch das Café keinen Raum mehr hatte und so die Möglichkeit eines kommerziellen Betriebs entfiel, der den Gemeinschaftsgebrauch mit hätte tragen sollen, wird heute von allen Seiten kritisiert. Auch das Obergeschoss kann nicht öffentlich genutzt werden – es fehlt der Fluchtweg. Dem Gemeinschaftszentrum blieben allein das Erdgeschoss und der Bürocontainer.
Der von den Architekten überzeugend umgesetzte und in den strengen Fotos von Hans-Christian Schink festgehaltene konzeptionelle und ästhetische Anspruch des Schuppens als Orientierung bietendes Objekt im Park hat mit der Realität heute nur wenig zu tun. Die derzeitigen Nutzer, eine Künstlergruppe, haben einen Zaun um das Gebäude gezogen, die Idee eines allen offenstehenden Gemeinschaftszentrums ist in weite Ferne gerückt. Der von den Architekten „aufgeräumte“ Lokschuppen muss die Sammelleidenschaft der Künstler ertragen, die aus dem Umfeld ein Materiallager gemacht haben. Der graue November trägt zum Unbehagen über den Zustand des Gebäudes bei, ebenso die großen Pfützen und die noch größeren Graffitis. Der Architekt nimmt die momentane Abkapselung eines „öffentlichen Baus“ gelassen und spricht von einer weiteren temporären Überformung, der der Lokschuppen momentan unterworfen ist. Der Bau sei allemal robust genug, daraus erneut etwas Anderes entstehen lassen zu können. 



Fakten
Architekten AFF-Architekten, Berlin
Adresse Am Wriezener Bahnhof


aus Bauwelt 47.2013
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