Bauwelt

Luxus für alle?


Afforable Housing in New York


Text: Spertus, Juliette, Brooklyn


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    Foto: Robert Polidori

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    Still: aus einem Video des Downtown Brooklyn Partnership, 2006

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    Still: aus einem Video des Downtown Brooklyn Partnership, 2006

Der Wohnturm namens Toren von Skidmore, Owings & Merrill steht exemplarisch für ein Marktsegment, das Downtown Brooklyn in den letzten zehn Jahren grundlegend transformiert hat. Indem sie affordable housing in ihre Luxusobjekte integrieren, sichern sich Projektentwickler und Wohnungskäufer finanzielle Vorteile – auch zum Nutzen der Stadt?
Wenn ich vor zehn Jahren die längs der Autobahn aufgereihten Backsteintürme sah, wusste ich, dass ich in New York angekommen war. Diese Großanlagen für Familien mit nied­rigen und mittleren Einkommen, die bis in die 1960er Jahre gebaut wurden, bilden zwar nur einen kleinen Teil des Wohnungsbestands der Stadt, aber ihr Maßstab und der dominierende rote Backstein, unterbrochen von kleinen zweitgeteilten Schiebefenstern, verkündeten: Hier ist New York.
Wenn ich heute eine für New York typische Wohnform nennen sollte, so wäre es die Luxuseigentumswohnung, luxury condo. Auf der Westseite Manhattans oder entlang des East River in Brooklyn und Queens, drängeln sich bis zu 40 Geschosse hohen Glas- und Stahltürme auf ehemaligen Indu­striebrachen, die in den vergangenen zehn Jahren mit Hochhäusern für Wohn- und Geschäftsnutzung bebaut wurden. Downtown Brooklyn, das drittgrößte Geschäftszentrum New Yorks (nach Midtown und dem Financial District in Manhattan), wurde 2001 planerisch umgewidmet. Der Stadtrat legte einen „Special Downtown Brooklyn District“ fest, um Investitionen in ein Gebiet zu locken, das trotz des Wirtschafts- und Baubooms der 90er Jahren von großen Parkplatzbrachen und in die Jahre gekommenen öffentlichen und privaten Gebäuden geprägt war. Hier hatte sich seit dem Ende der Kahlschlagsanierung in den 70er Jahren fast nichts verändert. Der neue Flächennutzungsplan erlaubte nun Gewerbe, Vergnügungsstätten und Wohnen; Wohnen wurde in die Kategorie R10 (Hochhausbau) eingestuft. Der Plan war auf 35.000 neue Einwohner in dem Gebiet angelegt, die Umwidmung bescherte dem Stadtteil seine ersten Luxuswohntürme mit bislang über zweitausend neuen Wohnungen in Downtown Brooklyn.
Auf den ersten Blick haben die luxury condos mit den Backsteintürmen nichts gemein. Doch viele der neuen Hochhäuser enthalten affordable housing. Der 37-geschossige Toren (niederländisch für „Turm“) ist architektonisch das vielleicht bemerkenswerteste der neuen Hochhäuser, die das Gesicht der Flatbush Avenue verändert haben. Roger Duffy, Architekt bei Skidmore, Owings & Merrill (SOM), hat ihn für den Immobilienentwickler BFC Partners entworfen. Von den 240 Wohneinheiten sind 40 einkommensgebunden. Wie kommt so et­was zustande?
Zum Hintergrund: In den späten 60er Jahren, als sich die Stadt mit einem starken Bevölkerungsverlust konfrontiert sah, wurden die Steuergesetze geändert, um den Wohnungsbau anzukurbeln. Zwischen 1971 und 1987 war jeder Wohnungsneubau in New York nach dem Programm 421a steuerabzugsfähig, was bedeutet, dass die property tax, die Grund- und Wohneigentumssteuer, bis zu 25 Jahre lang lediglich auf den Grundstückswert vor der Bebauung zu entrichten ist. Um 1987 hatte sich der Wohnungsmarkt in Mid-Manhattan erholt und die Steuererleichterungen wurden für dieses Gebiet wieder zurückgenommen. Dieses Instrument zur allgemeinen Wohnungsbauförderung wurde in der Folge ausgedehnt und angepasst, um damit auch affordable housing und eine soziale Mischung in hochpreisigen Quartieren zu schaffen. Der größte Teil Manhattans und die besseren Lagen in den äußeren Stadtteilen wurden als sogenannte geographic exclusion areas (Ausschlusszonen) ausgewiesen. Hier muss ein Entwickler – um weiterhin den 421a-Steuererlass beanspruchen zu können – jetzt 20 Prozent der Wohnungen für jene Haushalte zur Verfügung stellen, die maximal 60 Prozent des mittleren Einkommens (AMI) verdienen. Downtown Brooklyn ist seit 2008 eine solche Ausschlusszone. Außerhalb dieser Zonen gibt es im 421a-Programm keine Auflagen zum Bau von affordable housing, Entwickler können sich aber umfangreiche Steuererleichterungen „erkaufen“, indem sie einen 20-Prozent-Anteil einkommensgebundener Wohnungen in ihre Projekte integrieren. Kritiker verweisen darauf, dass der Stadt durch das 421a-Programm Steuereinnahmen entgehen – allein 2011 waren es 911,6 Mio. Dollar –, die Zahl der einkommensgebundenen Wohnungen aber nur marginal ist. Hinzu kommt, dass die subventionierten Wohnungen lediglich für 35 Jahre einkommensgebunden bleiben und danach in den regulären Markt aufgenommen werden.
Stimulus oder Steuerverschwendung?
Ein ergänzendes planerisches Instrument, das seit 2008 in Downtown Brooklyn zur Anwendung kommt, ist das Inclu­sionary Housing-Programm. Seit 1987 wird Projektentwicklern ein 33-prozentiger Bonus in der Parzellenausnutzung gewährt, wenn sie 20 Prozent der Wohnungen für Geringverdiener (mit max. 80 Prozent des AMI) zur Verfügung stellen. In den ersten Iterationen des Programms wurden die einkommensgebundenen Wohnungen meist getrennt vom eigentlichen Projekt in den weniger teuren Lagen der Stadt errichtet. Seit 2005 müssen diese nun gleichmäßig innerhalb des Projekts verteilt und mit dem gleichen Standard ausgestattet sein. Die Kritiker sprechen jedoch auch hier von einer nicht adäquaten Zahl so produzierter Wohnungen und verweisen auf andere, ebenfalls hochpreisige Städte wie Boston, wo affor­dable housing in allen Neubauten mit mehr als 13 Wohnein­heiten obligatorisch ist. Die Befürworter heben hervor, dass die Wohnungen auf Dauer einkommensgebunden bleiben und dass das Programm, zumindest theoretisch, die Stadt nichts kostet.
Es war das Programm 421a, welches BFC Partners dazu bewog, im Toren affordable housing anzubieten. Durch die Propagierung seines 421a-Status hatte der Bau im Handumdrehen ei­nen Marktvorteil, weil die property tax den größten Brocken bei den laufenden Kosten im Wohneigentum darstellt; ein Vorteil, der sich jedoch bei den frei vermarktbaren Wohnungen bis heute nicht ausspielen ließ. Um die 40 einkommensgebundenen Einheiten, die für Haushalte mit bis zu 175 Prozent des AMI (ca. 140.000 Dollar Jahreseinkommen für eine vierköpfige Familie) bewarben sich 2000 Interessierte. Mit Rücksicht auf Nachbarschaftsgruppen sollte die Hälfte der ausgewählten Bewerber langansässige Bewohner des Quartiers sein, Angestellte der Stadt oder der Polizei oder aber Menschen mit Behinderung. Toren kam auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 auf den Markt. Trotz riesiger Nachfrage blieb ein Teil der einkommensgebundenen Wohnungen unveräußert, weil die durch die Stadtverwaltung ausgelosten Käufer keine Finanzierung zustande brachten. Diese Wohnungen wurden schließlich an den Nächstbesten vergeben, der die Einkommensbedingungen erfüllte und einen Bankkredit bekommen konnte. Viele halten es für wirtschaftlich unvertretbar, Wohnungen in Gebäuden mit Concierge-Dienst und Swimmingpool zu subventionieren. Für den verantwortlichen Architekten Roger Duffy ist es aber genau das, was die Steueranreize und den Flächenbonus so fortschrittlich macht: „Alle Bewohner teilen sich dieselbe Lobby und fahren im selben Fahrstuhl. Im Gegensatz zum social engineering der 60er Jahre gibt es hier keine Aufteilung nach Einkommensschichten.“
Wohnen unten, Wohnen oben 
Die Grundrisse im Toren erzählen eine etwas andere Geschichte. Sämtliche affordable-Einheiten liegen im Sockel des Gebäudes und unterscheiden sich in Größe und Ausstattung von denjenigen im Turm. (Das Gebäude musste die Bedingung einer gleichmäßigen Verteilung der Wohneinheiten nicht erfüllen, da es nicht Teil des Inclusionary Housing-Programms war.) Abträglich für das Ziel einer sozialen Mischung ist, dass Toren lediglich Ein- bis Dreizimmerwohnungen als affordable housing anbietet – zu klein für Familien mit mehr als einem Kind. Die Einkommensschichten mögen gemischt sein, sofern man ein Jahreseinkommen von 140.000 Dollar als einen an­gemessenen Ausgangspunkt für die Mischung ansieht; wenn aber die Haushaltsgrößen immer die gleichen sind, welche demografische Vielfalt kann dann entstehen? In gestalterischer Hinsicht setzt sich Toren mit seiner Vorhangfassade durchaus von den anderen neuen Hochhäusern der Umgebung ab. Die Idee, das Gebäude von der Orientierung der Grundrisse bis hin zur Fassadendetaillierung über die Ausblicke zu generieren, wurde konsequent und qualitätvoll umgesetzt. Um so widersinniger ist es, dass die identitätsstiftenden Ausblicke nirgendwo von allen Bewohnern geteilt werden können.
Roger Duffy beendet unser Gespräch mit einer Anekdote über sein eigenes Zuhause: Stuyvesant Town, der knapp 9.000 Wohnungen umfassenden Komplex, der in den 1940er Jahren von der Versicherungsgesellschaft Metropolitan Life für die Mittelschicht in Lower Manhattan erbaut worden war. „Die Gebäude sind zwar null-acht-fünfzehn, eines gleicht dem an­deren, es sind simple Backsteinbauten. Aber die Größe und die Qualität der Grünflächen, die Wege, Spielplätze und Parkanlagen machen die Anlage so attraktiv, sie funktioniert bestens. Bei vielen der frühen Wohnungsbauprojekte schoss man sich nicht allein auf die Architektur ein.“



Fakten
Architekten SOM, New York
Adresse Myrtle Ave & Flatbush Avenue Ext Brooklyn, NY 11201


aus Bauwelt 10.2012
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