Bauwelt

Museum der Geschichte des Wittelsbacher Königshauses


Die Könige und der Kitsch


Text: Aicher, Florian, Leutkirch


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    Marcus Ebener

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Unterhalb der Schlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau eröffnete am 9. September das Museum der Geschichte des Wittelsbacher Könighauses. Volker Staab ergänzte hierfür das frühere Hotel Alpenrose um einen neuen Gebäudeteil mit feierlicher Lichtdecke.
Auf der Terrasse des einstigen Grandhotel Alpenrose. Bei einsetzendem Allgäuer Nieselregen auf den verabredeten Gesprächspartner wartend, geht der Blick weit über den Alpsee, bei den Bergekegeln ziehen chinesische Landschaftszeichnungen durch den Kopf, Wolken enthüllen nur gelegentlich die Gipfel, Nebel wabert aus den Wäldern: Da kann sie einen schon anwehen, die romantische Schwermut, die dem hier aufgewachsenen König Ludwig II. seine Amtsausübung so schwer gemacht hat. Doch man muss sich ja nur umdrehen: Das Geschiebe der Touristen, die vielen Busse und Autos vertreiben diese Gedanken umgehend, und man mag sich nicht ausmalen, wie ein Sonnentag hier aussieht ...

Das Bräuhaus
Immer schon war’s so: Da hat der Hausherr sich nach seinem Tod jeden Besuch verbeten, doch die Erben öffnen wenige Jahre später die Anlage und eine beispiellose Geschichte des Tourismus nimmt ihren Lauf, treibt ein dem Fremdenverkehr gewidmetes Gemeinwesen hervor. So auch hier: 1886, zwölf Jahre nach Ludwigs II. Tod, wird das vormalige Dorf-Bräuhaus „Jägerhof“ zu einem kleinen Bierpalast Seidel’scher Prägung nobilitiert und sieben Jahre darauf um das Hotel ergänzt – der Jägerhof von leutselig bunter und verspielt „ungeordneter“ Ansicht, das neue „Königliche Hofhotel und Pension zur Alpenrose“ nobel weiß, Ton in Ton, bereits in antikisierendem Jugendstil, lediglich die vorgelagerte Schicht der Fensterläden und Balkone in kühlem Grün. Nochmals fünf Jahre, und das Ganze wird durch eine säulenbestandene Halle zu einem Ensemble zusammengebunden.

Alte Eingriffe, neue Eingriffe
Nach Jahren gastronomischer Irrungen, beim Hotel unter anderem mit entsprechenden Zeitgeist-Adaptionen insbesondere der siebziger Jahre, die dem vermeintlichen Kitsch des 19. Jahrhunderts meinten mit Pop-Art zu Leibe rücken zu müssen, hat man sich wieder des „Kini“ (bairisch für König) besonnen: Nach umfangreicher Renovierung bietet der Baukomplex zu etwa zwei Dritteln Raum für das Museum der Bayerischen Könige, der Rest ist anspruchsvoller Gastronomie und einigen Gästezimmern gewidmet.
Die Umnutzung des Gästehauses brachte gravierende Eingriffe mit sich – die kleinteilige Raumstruktur ist durch Zimmerfluchten ersetzt, die statische Struktur wurde insgesamt verändert und Brandabschnitte eingezogen. In enger Absprache mit dem Denkmalamt wurde ein Schnitt nahe der Entstehungszeit gelegt – was davor entstand wurde restauriert, nachträgliche Eingriffe rückgängig gemacht, neue Eingriffe deutlich vom Historischen unterschieden, ohne sich aufzudrängen, beim Mobiliar sachlich zurückhaltend verfahren. Hellgrau bis Weiß dominieren die Räume, Fichtendielen und das feine Lineament dunkel gebeizter Eschemöbel bilden Kon­traste, dazu die Farbakzente der alten, grünen Türen. Die Farben des Lebens fügen die Nutzer hinzu.
Im gegenüberliegenden Jägerhaus dominiert die Ausstellungsarchitektur aus dunkelbraunen hochfesten Mineralfaserplatten, Glasvitrinen, genau abgestimmter und objektbezogener LED-Beleuchtung. Die geputzten Wände treten dahinter zurück – sofern sie nicht der verborgenen Technik halber Gipskartonschalen sind – ebenso der Boden aus den historischen Dielen. Einzelnen Exponaten gewidmete Räume und der Museumsshop sind farbig gehalten.
Im Zwischenbau ist ein großzügiges Foyer mit historischer Decke untergebracht, ebensolchen Leuchten und andeutungsweise aufgenommener Dekoration der Wände. Die warme Helligkeit des Raums wird entschieden geprägt durch den Terrazzoboden aus dem Kalk der Region, der sich in der wassergebundenen Decke und einem Spezialasphalt fortsetzt. Der am reinsten erhaltene und entsprechend restaurierte Raum ist ein angegliederter „Palmengarten“ für temporäre Ausstellungen, der die Stimmung des barockisierenden Jugendstils vermittelt.

Unter funkelndem Firmament
Das eigentliche Kernstück des Museums ist der große Ausstellungssaal als komplet neu gestalteter Aufbau auf diesen Zwischenbau. Biegt man nach dem dunkel gehaltenen Aufgang der breiten, einläufigen Treppe in den zentralen „Saal der Könige“, so taucht man in einen Licht-Raum unter funkelndem Firmament. Als Tonne überwölbt es frei den Raum, durch stehende Flachstähle rautenförmig gegliedert, dazwischen opake Deckenpaneele mit LED-Hinterleuchtung – 866 an der Zahl. Statisch handelt es sich um eine einfach gekrümmte Tonnenschale, konstruiert nach dem „Zollinger-Prinzip“, über dem in sich verdrehten und dem Radius folgend lasergeschnittenen Flachstahlrost mit Längsträgern sowie radialen Flacheisen ist sie zur Aufnahme der Dachdeckung mit Trapezblech versehen. Den darunter liegenden historischen Grundriss berücksichtigend lagert die Konstruktion im Wesentlichen in den Eckpunkten der Schale auf.

Zauberwelt des Kunstlichts
Den Hauptraum begleiten auf beiden Längsseiten zwei Räume unterschiedlicher Breite mit nur halber Dachschale in gleicher Konstruktion und Oberfläche, im Zenit des Bogens endend ist der maximale Ausblick auf voller Höhe der bis zum Boden reichenden Festverglasung gegeben. Der Zauberwelt des Kunstlichts im Zentrum steht größtmöglicher Landschaftsbezug gegenüber – auf der einen Seite den herandrängenden Berg hinauf, auf der andern über den See in den Wechsel von Berg und Tal hinein.
Dieser Ortsbezug ist kein bloß optischer. Der Bezug zu den „kunstsinnigen“ Wittelsbachern des 19. Jahrhunderts liegt auf der Hand. Die romantische Aufladung der Gegend durch Schloss Hohenschwangau – 1838 bis 1850 von Quaglio, Ziebland und Ohlmüller in Szene gesetzt und Kulisse der Jugend des „Märchenkönigs“ – spielt hier hinein, die neogotischen „konstruktiven“ Rippendecken finden ein zeitgenössisches Pendant. „Oh, wie ist es notwendig, sich solche Paradiese zu schaffen, solche poetischen Zufluchtsorte, wo man auf einige Zeit die schauderhafte Zeit, in der wir leben, vergessen kann“, so seine Worte, und einen solchen Raum als Zauberwelt ließ er sich auf seiner Residenz in München als Wintergarten mit Teich bauen, mit Gelegenheit zu Bootsfahrten, die nur Auserwählte, etwa Richard Wagner, erleben durften – das Ganze tonnenförmig überwölbt mit einer seinerzeit hochmodernen Stahlglas-Konstruktion. Das lässt sich ohne weiteres auch von den Dachschalen des neuen Museums sagen.

Kitsch?
Die beiden Seitenschalen sind als Ganzes im Werk vorgefertigt, per Schwerlasttransport geliefert und mit einem Kran in die präzise Lage gebracht; die zentrale Schale in fünf Segmenten und „in der Luft“ gefügt. Ein Meisterwerk der Planung sphärischer Körper, der Statik, der Konstruktion und Baulogistik. Material und Form sind das Ergebnis mehrerer Anläufe. Und ein Griff über die verkürzte Rationalität des bloß Linearen und Additiven hinaus – was die Gefährdung einschließen kann, sich dem zu nähern, was schillernd Kitsch genannt wird.
Der Ort inspirierte schließlich auch die Außenhülle der Schalen als „fünfte Fassade“: Ein Panzer aus Aluminiumschindeln changiert in einem freien Spiel in fünf Farbtönen zwischen Gold und Dunkelbraun. Auch hier: Offenhalten für das romantische Viel- bis Zwiespältige? Das hätte man kaum vom Büro Staab erwartet – und erfährt auf diesem Weg, dass in jeder Aufgabe eine eigene Note gesucht wird.



Fakten
Architekten Staab Architekten, Berlin
Adresse Alpseestraße, Hohenschwangau, Schwangau


aus Bauwelt 38.2011
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