Neuanfang nach dem Scheitern der Werkbundsiedlung
Wohnen in München
Text: Eisinger, Angelus, Hamburg/Zürich; Seifert, Jörg, Hamburg
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Luftbild: bing.com/Bauwelt
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Entwurf für die Werkbundsiedlung Wiesenfeld von Sakamoto
Rendering: Deutscher Werkbund
Entwurf für die Werkbundsiedlung Wiesenfeld von Sakamoto
Rendering: Deutscher Werkbund
Im Jahr 2006 hatte München nach Ideen für die Werkbundsiedlung Wiesenfeld auf dem Areal der ehemaligen Luitpoldkaserne gesucht. Das unkonventionelle Punkthochhaus-Konzept des japanischen Architekten Kazunari Sakamoto gewann den Wettbewerb, wurde überall hoch gelobt und scheiterte kläglich am Veto der Stadtverordneten.
Auf vergrößertem Gelände nimmt die Stadt nun erneut Anlauf zum städtebaulichen Experiment. Auch wenn der Name „Kreativquartier“ wenig animierend klingt – der jetzt prämierte Vorschlag des Büros Teleinternetcafe verspricht wesentlich mehr als ein mit Bottom-up-Strategien angereichertes planerisches Business as usual. Gelingt die Erneuerung im zweiten Anlauf?
München soll ein Kreativquartier bekommen. Im Frühjahr wurde ein entsprechender städtebaulich-landschaftsplanerischer Ideenwettbewerb entschieden. Überraschend klar konnten sich dabei Teleintercafe und TH Treibhaus Landschaftsarchitektur, ein junges Berliner Architektenteam mit Münchner Hintergrund, gegen rund 130 Kontrahenten durchsetzen. Weniger frisch wirken dagegen die zentralen Begriffe ihres Beitrags: „Kreativlabor“, „Kreativpark“, „Kreativfeld“ und „Kreativplattform“ sind wettbewerbstaktisch gesetzt. Doch macht die repetitive Reihung etwas skeptisch, wie viel Substanz sich tatsächlich hinter diesen Etiketten verbirgt. Insgesamt ist das in den Plänen und Unterlagen verwendete Vokabular durchaus das einschlägige – was kaum verwundert, schreiben sich doch alle Städte, die etwas auf sich halten, noch immer die Aufgabe „kreative Stadt“ ganz oben in ihre Agenden.
Deshalb könnte man den Wettbewerb um das Münchner Kreativquartier nur allzu leicht in eine dieser heute üblichen Stadtentwicklungsschubladen packen, deren Protagonisten nach Richard Floridas Litanei der Creative Class eifrig bemüht sind, die volatile Schicht junger, gut ausgebildeter Menschen an ihre Stadt und deren Ökonomie zu binden, wann immer sich Optionen dazu bieten. Diese sind freilich in den von Nachfragedruck und Aufwertungsschüben geprägten Innenstädten zunehmend schwieriger zu finden. So stellt auch das etwa 20 Hektar große Areal zwischen Maxvorstadt, Schwabing West und Olympiapark für die Münchner Stadtentwicklung eine der wenigen noch vorhandenen Möglichkeiten dar, innenstadtnah auf Quartiersebene diesen Ansprüchen nachzukommen – an einer Stelle, die bereits heute rege Zwischennutzungen kennt. Auch die siegreichen Projektverfasser bedienen sich in ihren Beschreibungen und Analysen vieler der üblichen Vokabeln des gängigen Urbanitätshypes: „Shared Space“ und „Urban Farming“ gehören ebenso dazu wie „Allmende“ oder „Bewohnergärten“. Und doch ist das, was hier nun für das ehemalige Militärareal avisiert wird, alles andere als alternativ angehauchtes planerisches Business as usual.
Strategische Renderings
Es sind bereits die Renderings, die von einem unüblichen Entwicklungspfad auf dem Weg zur kreativen, ressourcenbewussten und nachhaltigen Stadt künden. Die Stadtprospekte zum „Kreativlabor“ oder dem „Kreativfeld“ werden nicht ausschließlich von den üblichen Trendfiguren aus dem Standardrepertoire der Visualisierungstechniken bevölkert. Vielmehr zeigen sie Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und Sozialisierung, welche die vielfältigen Angebote im Quartier nutzen. Was sie zusammenbringt ist also eine Aktualisierung des urbanen Versprechens, für dessen Einlösung – das ist entscheidend – bereits konkrete Vorschläge mitgeliefert werden. Die Renderings spiegeln die strategische Komplexität des Wettbewerbsbeitrags. Die Verfasser wiederholen nicht einfach das Hohelied auf die kompakte, durchmischte und mit Öffentlichkeit gesegnete Stadt, sondern zeigen anhand einer breiten Palette von Interventionen, wie und wo sie zu welchem Zeitpunkt diese Qualitäten konkret herstellen wollen. Folgerichtig wollen sie das Quartier mit 900 Wohnungen, 770 Arbeitsplätzen und neuen Freiräumen nicht per Masterplan entwickeln, sondern in einem offenen Prozess, der Bauliches wie Soziales, Denkmalpflegerisches wie Nutzungsbezogenes moderiert. Die Unterteilung in die vier unabhängigen, aber gut vernetzten Quartierbausteine Labor, Park, Plattform und Feld erlaubt sowohl das Etappieren wie auch die Ausformulierung der unterschiedlichen stadträumlichen Charakteristika, die dort entstehen sollen.
Grobkörnige und präzise Elemente
Wie konsequent dabei Neuland betreten wird, zumindest für Münchner Verhältnisse, zeigt die Tatsache, dass die Projektverfasser ausgerechnet im Teilareal „Kreativlabor“ auf eine maximal mögliche Arbeit mit dem Bestand setzen – also genau dort, wo die Auslober im Gegensatz zu den anderen drei Teilbereichen keinerlei Bausubstanz als erhaltenswert ausgewiesen hatten. Seitens der Stadt hatte man ursprünglich die beiden großen, denkmalgeschützten Hallen im zentral gelegenen Bereich des „Kreativparks“ als künftigen Nukleus des Gesamtareals avisiert. Die Jutier- und die Tonnenhalle, zwei gut 100 Meter lange Funktionsbauten aus dem Jahr 1926, stehen seit Jahren leer, nachdem erstere zwischen 2000 und 2003 eine temporäre Spielstätte der Münchner Kammerspiele beherbergt hatte. Die Architekten von Teleinternetcafe schlagen vor, diese beiden Solitäre, für deren künftige (Wieder-)Nutzung gerade ein separates Wettbewerbsverfahren läuft, durch die Anlage eines Parks mit niederschwelligem Investitionsaufwand frei zu stellen.
Der konzeptionelle Schwerpunkt des Entwurfs liegt auf dem nordwestlichen Teilareal, am Leonrodplatz. Das „Kreativlabor“ sehen sie als ein städtebauliches Pattern aus Gewerbe- und Lagerhallen, Wohnhäusern, Atelierflächen und charakteristischen Zwischenräumen. Durch Erhalten, Ergänzen, Weiterbauen und Erneuern soll die spezifische Atmosphäre bewahrt bleiben. Deshalb schließt der Beitrag auch eine detaillierte Erfassung der bestehenden Strukturen in ihrer Nutzung wie in ihrer Beschaffenheit ein. Bestandserhaltung ist hier weder rhetorisches Zugeständnis an den Zeitgeist, noch ein in der Denkmalpflege gängiges Konservieren in Zeiten des immobilienökonomischen Rufs nach Neuem, sondern strategische Reflexion darüber, wie das baulich und sozial Vorhandene zum unverzichtbaren Baustein des zukünftigen Quartieralltags werden kann. Dabei besticht die Variationsbreite innerhalb des angestrebten ergebnisoffenen Prozesses, der hier nur grob choreografiert ist und später durch eine Entwicklungsagentur begleitet werden soll.
Fehlende Strategie bei der Werkbundsiedlung
Die typologische Ausformulierung einzelner Gebäude in Plänen und Modell ist deshalb nicht allzu wörtlich zu nehmen – ganz im Gegensatz etwa zu dem viel beachteten, aber 2007 gescheiterten Projekt der Werkbundsiedlung Wiesenfeld im nordöstlichen Teilgebiet, dem jetzigen „Kreativfeld“. Im seinerzeit siegreichen Wettbewerbsbeitrag hatte Kazunari Sakamoto für das gut fünf Hektar große Areal der Luitpoldkaserne mehr als 40 versetzt angeordnete, vier-, acht- und elfgeschossige Punktwohnhäuser vorgesehen, die in der überarbeiteten Fassung dann auf 24 reduziert und schließlich vom Münchner Stadtrat abgelehnt wurden.
Ein direkter Vergleich der Projekte von Teleinternetcafe und Sakamoto ist wenig sinnvoll, da beide nicht nur im Umfang erheblich differieren, sondern auch völlig anderen Prämissen geschuldet sind. Dennoch lässt sich rückblickend Folgendes festhalten: Sakamotos Entwurf basierte ausschließlich auf einer städtebaulichen Idee, die stark polarisierte, weil sie zwar unkonventionell, aber nicht erprobt war, weil sie ferner als Implantat aus einem anderen Kulturkreis erschien und zudem an die Vorstellung geknüpft war, man könne Planungsbeteiligte und spätere Nutzer auf die Utopie eines „sozialen Individualismus“ verpflichten. Planung, Politik und Stadtalltag sollten sich den Bedingungen unterordnen, die der Architekt vorab entworfen hatte. In dieser Haltung zeigte sich Sakamotos Nähe zu den Vorfahren der Moderne viel eher als etwa im städtebaulich-typologischen Ansatz „Punkthaus mit fließenden Freiflächen“. Anders als Le Corbusier diktierte Sakamoto zwar nicht jedes Detail, sondern ließ zahlreiche Unbestimmtheiten, die eben gerade disziplinierend auf alle Beteiligten wirken sollten. Was fehlte, waren konkrete Vorstellungen zur Prozessmoderation, sprich: eine überzeugende Strategie zur Umsetzung der seinerzeit viel diskutierten Idee. So ist die Werkbundsiedlung unter anderem daran gescheitert, dass dem Architekten und den Initiatoren ein architektonisch-städtebauliches Labor zum urbanen Wohnen vorschwebte, ohne dass es gelang, die entsprechenden Laborbedingungen hierfür zu schaffen.
Plattformen statt „sozialem Individualismus“
Anders bei Teleinternetcafe: Auf dem einst für die Werkbundsiedlung vorgesehenen Teilareal „Kreativfeld“ schlägt das Berliner Architektenteam eine Bebauung mit Wohnzeilen, Grundschule, Kita und zwei Bürohäusern vor, die eben nur auf den ersten Blick als konventionelle Planung daherkommt. Entsprechendes gilt für die Nachverdichtung und Erweiterung des bestehenden offenen Hochschulcampus im südlichen Bereich der „Kreativplattform“. Im Gesamtkonzept kommt diesen beiden Bausteinen eine Entlastungsfunktion zur Freihaltung des „Kreativparks“ und vor allem zur langsamen und behutsamen Bestandstransformation des „Kreativlabors“ zu. Demnach werden hier konkrete Vorschläge zu Prozessdesign und zu möglichen Laborbedingungen unterbreitet.
Macht man Sakamoto und dem Werkbund zum Vorwurf, vor sechs Jahren allein auf eine große, mit zu hohen Erwartungen überfrachtete Idee gesetzt zu haben, so könnte man eine solche jetzt vielleicht vermissen und den Architekten von Teleinternetcafe entgegenhalten, in ihrem Projekt alle derzeit gängigen Themen einer – nennen wir es – Bottom-up-Stadtplanung verarbeitet zu haben. Doch vielleicht verdichten sich genau in diesem Vorschlag die Lehren aus der lokalen Vorgeschichte: Verzicht auf den großen städtebaulichen Wurf, stattdessen aufeinander abgestimmte Einzelinterventionen, die vom gegenwärtigen Ist-Zustand ausgehen, Ergebnisoffenheit zulassen und deshalb viel Sorgfalt auf die Prozessgestaltung verwenden.
Bestandstransformation und prozessuales Denken sind allemal lohnenswerte Ansätze, denen europaweit immer mehr Beachtung zuteil wird. Nach dem Scheitern von 2007 täte die Münchner Stadtpolitik gut daran, dem aktuellen Projekt, das dieser Logik folgt, eine Chance zu geben.
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