Bauwelt

Ordnungsamt



Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt/Main


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Die Behörde demonstriert Offenheit. Mit dem Neubau von Meixner Schlüter Wendt verfolgt die Stadt Frankfurt am Main zwei Ziele: ein neues Image für ihr meistbesuchtes Amt und die Aufwertung des vernachlässigten Gallusviertels. Die Architekten haben den kilometerlangen Bürotrakt in eine funktionale Großskulptur verwandelt.
Das Frankfurter Gallus ist kein Vorzeigeviertel. Entstanden während und nach der Fertigstellung des östlich gelegenen Hauptbahnhofs, ließen sich auf dem Gebiet vornehmlich Industrie- und Handwerksbetriebe nieder. Fabriknah wurden Wohnquartiere gebaut, unter denen die Hellerhof-Siedlung, die Mart Stam nach dem II. CIAM-Kongress (1929) realisierte, herausragt. Der Anfang der achtziger Jahre einsetzende De­industrialisierungsprozess und der Wandel der Stadt zur Dienstleistungsmetropole blieben gerade im Gallus nicht ohne Folgen, so dass die Wohnbevölkerung insgesamt aus eher sozial Schwachen besteht. Darüber hinaus prägt eine sehr heterogene Bebauung aus Gründerzeitquartieren, anspruchslosen Fünfziger-Jahre-Siedlungen, Fabrikbrachen sowie neuerdings billigen Bürobauten das Gebiet. In das Programm „Soziale Stadt“ wurde das Gallus als eines der ersten Frankfurter Problemviertel aufgenommen. Seitdem versucht auch das städti­sche Planungsamt durch eine Fülle von Maßnahmen und Projekten, die von der Verbesserung des Wohnumfelds bis zur Schaffung von Spiel- und Freiflächen reichen, das Niveau des Gallus anzuheben. Als Teil eines integrierten Aufwertungspro­zesses ist auch der signifikante Neubau des Ordnungsamtes an der Kleyer-, Rebstöcker und Kriftlerer Straße im Südwesten des Stadtteils zu verstehen, der in Public-Private-Partnership realisiert wurde.
Die Behörde, die innerhalb der Frankfurter Stadtverwaltung eines der größten Ämter ist und darüber hinaus eines mit dem intensivsten Publikumsverkehr, verteilte sich bisher auf acht Standorte über die ganze Stadt. Wegen der langen Wege und der dadurch vermehrten Koordinationsprobleme entschloss sich der Magistrat, das Amt in zwei Neubauten zusammenzufassen, die beide vor wenigen Wochen eröffnet wurden: einer am Römerhof nördlich des Gallus, in dem sich 250 Mitarbeiter um alle KFZ-Angelegenheiten kümmern, und ein zweiter, der hier besprochen wird, mit rund 460 Mitarbeitern, denen so verschiedene Bereiche wie Jagd- und Fischereirecht, Beherbergungs- und Reisegewerbe, Fundbüro, Sicher­heitsdienst und Ausländerangelegenheiten obliegen. Der Projektentwickler OFB hatte Ende 2005 ein Gutachterverfahren ausgelobt, bei dem sich unter sieben Teilnehmern das Büro Meixner Schlüter Wendt mit seinem Vorschlag durchsetzen konnte (Heft 4.2006). Das architektonische Konzept des Gebäudes ist komplex, spielt mit vermeintlichen Widersprüchen und Dichotomien, irritiert immer wieder die Wahrnehmung und markiert dennoch – oder gerade deshalb – den von der Amtsleitung gewünschten Wechsel von der Respekt heischenden Behörde hin zur bürgerfreundlichen Dienstleistungseinrichtung. Die sich zudem nicht nur mit einem öffentlich zugänglichen Hof, sondern auch mit einem Café zum Stadtteil öffnet, der besonders an dieser Ecke bisher arg trostlos wirkte und wenig gastronomische Infrastruktur bot.
Sondertypus offenes Amt
Der Bau greift die einen Block weiter gelegenen, geschwunge­nen Gleise der Bahn auf, die historische raison d’etre dieses Stadtteils. Die Kurve machten die Architekten zur konzeptionellen Grundlage, zumal sie von der Straßenbahn wiederholt wird. Zwischen der geschwungenen Struktur im Süden und der orthogonal geprägten Bebauung im Norden und Osten passten sie in das dreieckige Grundstück ein mehrfach gekrümmtes Band ein. Das schlangenartige Gebäude, städtebaulich laut Diktion der Architekten „ein öffentlicher Sondertypus“, vermittelt also geschickt zwischen den verschiedenen Strukturen des Quartiers, schafft aber darüber hinaus eine Verdichtung von Stadtraum und Baumassen – die Bruttogeschossfläche beträgt immerhin 30.000 Quadratmeter – bei gleichzeitig größtmöglicher Offenheit, wobei der dezent begrünte, mit Holzbänken ausgestattete Hof durchaus Qualitäten als Quartiersplatz zeigt.
Die Fassade als Organigramm
Markant, ohne vordergründig spektakulär zu sein, wiedererkennbar, ohne optisch aufzutrumpfen, sich einordnen, ohne sich unterzuordnen – diesen Spagat schafft das Gebäude durch die kongeniale Verbindung von skulpturaler Raumfigur und reich gegliederter Fassade, wobei sich zwei Prinzipien überlagern. Zum einen wurden die Baukörperseiten farblich differenziert: Der dunklen Seite mit zweigeschossigem Basalt­sockel und grauem Putz steht eine bleiche mit hellbeigem Muschelkalk und gebrochenem weißem Putz gegenüber, wo­bei durch die Mäanderstruktur beide Seiten fließend ineinander übergehen. Besonders an der rund 150 Meter langen Fassadenfront an der Rebstöcker Straße entsteht zunächst der Eindruck, dass man es mit zwei Bauten zu tun hat. Erst beim Näherkommen erkennt man, dass es sich um ein und dasselbe Gebäude handelt. Zum anderen wurden die einzelnen Geschosse unterschiedlich ausgebildet. Die horizontale Schichtung der Büroetagen, die in der Organisationsstruktur des Amtes verschie­denen Funktionseinheiten entsprechen, erhält somit ein starkes, identifizierbares und dennoch didaktikfreies Bild. Die immer gleiche Höhe der Regelgeschosse wird mit Vor- und Rücksprüngen, unterschiedlichen Brüstungs- und Sturzhöhen, verschiedenen Fensterhöhen und vertikalen Sonnenschutzlamellen überspielt.
Allein in das Ordnungsamt in der Kleyerstraße kommen täglich 600 bis 800 Bürger. Ziel der Amtsleitung war es deshalb, mit Schnellserviceschaltern und einer frühzeitigen Sortierung der verschiedenen Anliegen Wartezeiten möglichst gering zu halten. Um den Besuchern weite Wege zu ersparen, wurden die Servicebereiche im Erdgeschoss konzentriert, ausführlichere Einzelgespräche finden nach vorheriger Terminabsprache in den gesicherten oberen Etagen statt. Die großzügige Verglasung der öffentliche Bereiche, die sich – mancher mag sich an die sechziger Jahre erinnert fühlen – wie Raumtaschen aus der Gebäudegeometrie herausschälen, erleichtert die Orientierung. Am Gebäudekopf an der Kleyerstraße, durch ein zusätzliches Technikgeschoss erhöht, weitet sich der Haupteingang zu einer zweigeschossigen Halle. Der Nebeneingang für die Ausländerbehörde, vor der manchmal Leute bereits zwei Stunden vor Öffnung warten, ist durch das Auskragen der Regelgeschosse gekennzeichnet und bietet etwas Wetterschutz. Empfangstresen, Counter, Sitzbänke über den Heizkörpern so­wie Wand- und Deckenkofferungen für die Technikeinbauten führen als räumlich gefaltete Bandsegmente die Gebäudegeometrie in den Erdgeschosshallen fort. Kalkuliert gesetzte Hell-Dunkel-Kontraste im Mobiliar, bei opaken Glastüren sowie im Terrazzoboden geben eine zusätzliche, allerdings äußerst feinsinnige Orientierung.
Dieses Schema wird in den in der Regel zweihüftig organisierten Büroetagen subtil variiert: Der hell- bzw. dunkelgraue Anstrich der Flurseiten entspricht der hellen bzw. dunklen Baukörperseite, auch der Linoleumboden in den einzelnen Räumen wiederholt dieses Muster. Aus Gründen des Datenschutzes wurden bis auf wenige Ausnahmen Zellenbüros eingerichtet. Die Flure, deren Länge aufgrund der Gebäudeform stets überschaubar ist, erhielten Oberlichter und überstehende Türzargen, um sie abwechslungsreicher zu gestalten. Die Ausstattung in den Büroetagen orientiert sich am „Durchschnitt“, erklärt der Leiter des Liegenschaftsamtes Alfred Gangel. Der Standard ist freilich niedriger als in vergleichbaren Büros der Frankfurter Finanzwirtschaft. Treppen, Server- und Sanitärräume sowie Teeküchen sind in den Gebäudekurven untergebracht, die Brücken an der Rebstöcker Straße verkürzen die Wege der Mitarbeiter.
Der Beschluss des Stadtparlaments, künftig alle Bauten für die Stadtverwaltung – seien es neue Gebäude, seien es Anmietungen – im Passivhausstandard zu errichten, datiert aus dem Jahr 2008. Auch das neue Ordnungsamt orientiert sich an diesem Standard, den Energiebedarf bezieht es hauptsächlich aus Geothermie, bei Spitzenlasten im Winter soll der zusätzli­che Bedarf konventionell gedeckt werden. Eine modernisierte Verwaltung in einem formal anspruchsvollen Gebäude mit am­bitionierter Haustechnik – dieses ehrgeizige Ziele kann man als erreicht bezeichnen. Die Mitarbeiter hätten, so ist zu hören, ihr neues Amt nach Überwinden der üblichen Anfangspro­bleme angenommen. Die Kantine steht auch den Mitarbeitern der umliegenden Unternehmen offen. Es gibt sogar den Plan, sie für alle Gallusbewohner zu öffnen. Und das Kulturamt beabsichtigt, in der schönen Eingangshalle des Ordnungsamtes Ausstellungen, Vorträge und Lesun­gen zu veranstalten.



Fakten
Architekten Meixner Schlüter Wendt, Frankfurt/Main
aus Bauwelt 27-28.2009
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