Bauwelt

Othmarschen: Wohnen bei Reemtsma



Text: Höhns, Ulrich, Oldenbüttel


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    Klaus Frahm

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Der Lübecker Architekt Helmut Riemann erhielt nicht nur den Auftrag, die drei ehemaligen Bauten der Verwaltung aus den Fünfzigern der Reemtsma Cigarettenfabriken umzubauen, sondern auf dem Areal auch Neubauten zu errichten. Und er konnte sich der Reemtsma-Villa selbst widmen. Sie wurde umfangreich saniert und in Teilen wieder einmal verändert.
Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zählen das nördliche Hochufer der Elbe und die angrenzende Parklandschaft westlich von Altona, seit 1937 mit Hamburg vereint, zu den bevorzugten Wohngegenden für Privilegierte, die sich hier von namhaften Architekten ihre Landsitze errichten ließen. Der Klassizismus brachte Glanzstücke wie das Haus Jenisch von Franz Gustav Forsmann oder das Landhaus Brandt von Axel Bundsen hervor, und hundert Jahre später wurde das Haus Michaelsen von Karl Schneider hoch über der Elbe zu einem der Wegbereiter der noch jungen Moderne.

„Haus K. in O.“

Als 1932 die Villa des Hamburger Tabakindustriellen Philipp Fürchtegott Reemtsma nach Plänen des Frankfurter Architek­ten Martin Elsaesser (1884–1957) fertiggestellt wurde, hatte die Architektur der ersten Moderne ihren Zenit bereits überschritten. „Haus K. in O.“, wie es anonymisiert veröffentlicht wurde, ist eine mit blassgrünen, großformatigen Keramikplatten verkleidete, formal zwischen radikalen Modernismen und stromlinienförmigem Art déco angesiedelte, stellenweise auch mit „gemütlichen“ Interieurs überraschende Wohnmaschine für eine Familie mit drei Kindern. Das mit 2000 Quadratmetern übergroße luxuriöse Haus in Othmarschen, unweit der Elbe im östlichen Anschluss an den Jenisch-Park gelegen und ausgestattet mit Hallenbad, Gästewohnungen und versenkbaren Gartenfensterfronten, war integraler Bestandteil eines baumbestandenen Parks, der wie auch die ausgedehnten Nutz- und Ziergärten, Gewächshäuser, eine Reitanlage und ein Schwimmbad auf den Grünreformer Leberecht Migge zurückgeht. Mondän zwar wie zeitgenössische Filmkulissen von Robert Mallet-Stevens, lag das Haus jedoch versteckt und suchte keinen Auftritt. Es repräsentierte unbedingte technische Modernität auf der Höhe der Zeit, war zugleich aber auch weltfern und autark. 1939 baute Elsaesser das Haus um und verschob den modernen Grundton innen hin zu einer in diesem Kontext irritierend konservativen Aussage im Stil der „neuen Zeit“. Persönliche und politische Gründe veranlassten den Bauherrn zu diesem Schritt.
1945 wurde das Haus zum „Officers Country Club“ für Angehörige der britischen Besatzungsmacht. 1952 wieder freigegeben, baute der Hamburger Architekt Godber Nissen (1906–1997) es zum Kasino für die Verwaltungsangestellten des Reemtsma-Konzerns um. Der Tessenow-Schüler, in den fünfziger Jahren einer der tonangebenden Vertreter der „Zweiten Moderne“ in Norddeutschland, entwarf zeitgleich mit dem Um­bau der Villa in deren unmittelbarer Nähe drei unprätentiöse, in die Topographie des Parks eingefügte flache Bürobauten mit Gelbklinkerfassaden als Verwaltungssitz des Konzerns. Sie waren durch zwei transparente Treppenhäuser zu einer funktionalen Einheit miteinander verbunden und traten nicht als einheitliche Großform, sondern als differenzierte, raum- bildende Einzelhäuser in Erscheinung, was einer Vorgabe der Genehmigungsbehörde entsprach, die davon ihre Zustimmung für den Bau von Büros inmitten des Parks abhängig gemacht hatte.

Umbau mit Kompromissen

2003 wechselte der Park mitsamt seine Bauten den Besitzer. Der neue Eigentümer ließ von vier zu einem Gutachterverfahren eingeladenen Architekten prüfen, ob und wie sich die Bürogebäude entsprechend der Lage in hochwertige Wohnungen umwandeln ließen. Der Lübecker Architekt Helmut Riemann überzeugte durch sein Konzept, die formale Integrität der Nissen-Bauten so weit wie möglich zu wahren und sie innen erinnernd und sichernd, aber doch so frei neu zu organisieren, dass in den langen Riegeln und Flügeln mit ihrer Mittelgang­erschließung 38 unterschiedlich große, individuelle Wohnungen mit jeweils einer eigenen Mitte entstehen konnten. Ihre strukturelle Perfektion, die wertvolle Ausstattung und ihre bisweilen enorme Größe verstecken sich von außen unsichtbar in den schlichten Bauten von 1954. Vermutlich war es dieses Understatement, das erst den Bauherrn und später die Mieter überzeugte.
Diesem Auftrag folgte die durchgreifende Sanierung der benachbarten, dem Park den Namen gebenden Reemtsma-Villa, die Raum für Büros bietet. Ein Mieter ist noch nicht gefunden. Die angemessene Darstellung der Dimension und Problematik dieser Arbeit an einem herausragenden Kulturdenkmal der Moderne mit den zahlreichen vorgefundenen, sich überlagernden, zuweilen miteinander konkurrierenden, bis in die Gegenwart reichenden Zeitschichten wäre ein eigenes Kapitel wert. Das Ergebnis ist, kurz gefasst, sehenswert. Dem Primat der Urform und der Details von 1932 verpflichtet, reagiert diese Arbeit durchaus auf historische Brüche und gestalterische Brechungen, wagt Rückbauten von NS-Zutaten ebenso wie der jüngsten Vergangenheit und entwickelt notwendige Ergänzungen aus dem historischen Kontext, verzichtet also auf die Darstellung der eigenen Handschrift.

Neubauten

Parallel dazu entwarf Riemann nördlich und westlich der Nissen-Bauten fünf frei stehende, gestaffelte, unterschiedlich große Wohnhäuser, die sich, rot verklinkert oder mit strahlend hellem Kehlheimer Auerkalkstein verkleidet, unverkennbar in die Tradition der klassischen Moderne stellen. So wurde in diesem weitläufigen Park ein einzigartiges Panorama moderner Architektur aus drei Epochen gesichert, saniert, umstrukturiert oder um neue Bausteine ergänzt, alle gemeinsam eingebettet in eine artifizielle Landschaft mit wiederum eigener Planungsgeschichte, der die Landschaftsplaner WES Schatz Betz Kaschke Wehberg-Krafft ihr heutiges Gesicht gaben. Alle Wohnungen der Park-Häuser werden im Interesse der Integrität des Gesamtbildes ausschließlich vermietet, der Park ist fast nur von Fußwegen durchzogen, so dass kaum ein Fahrzeug das Bild stört. Die Mieter parken nicht vor den Häusern, sondern in einer dreigeschossigen Tiefgarage.

„Wohnen im Büro“

Die drei Verwaltungsgebäude, die Godber Nissen aus jenem für die frühe Hamburger Nachkriegsmoderne typischen gel­ben, in der Nahsicht lebhaft bunten Ziegel subtil differenziert gestaltet hatte, erlebten nun eine behutsame weitere Individualisierung. Die verbindenden gläsernen Treppenhäuser wurden allerdings abgerissen, weil sie keine Funktion mehr hatten. Die Bewahrung der Ursprungsarchitektur, ihrer Proportionen, ihrer Erschließung und ihrer Materialien, stand dabei maßgebend im Vordergrund, so dass sich die Grundrissgestaltung und der Wohnungsschlüssel danach richteten. Um bei dieser Konversion dennoch kompakte, gut nutzbare und je nach Lage im Haus auch sehr große Wohnungen mit Gästezimmern und Nebentrakten zu gewinnen, wurde alles unternommen, um die reale Länge der Häuser und ihrer Flügel innen nicht mehr in Erscheinung treten zu lassen.

Das kleinste Haus (Haus A)

Das kleinste der drei Häuser im Osten, das ehemalige Eingangsgebäude, verlor seine zweigeschossige Halle und das weit auskragende Vordach. Es birgt nun fünf Maisonette-Wohnungen von etwa 160 bis 180 Quadratmeter Größe, die von der Nordseite durch neue, in das Naturstein-Rahmensystem des Fenstermaßes eingefügte Eingänge mit plastisch aus der Fassade herausgezogenen Rahmen und über kleine, vorgelagerte Podeste betreten werden. Die beiden etwas größeren Wohnun­gen an den Stirnseiten des zweigeschossigen Hauses beziehen die vorhandenen Loggien in ihre freiere Grundrissorganisation ein. Hier wie bei den anderen beiden Häusern wurde die vorgefundene Situation mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit und Sorgfalt aufgegriffen und dabei ein hohes Maß der Substanz und der ihr innewohnenden architektonischen Aussage bewahrt und weiterentwickelt. Die großen, ungeteilten Dreh- oder Schwingflügelfenster mit ihren bescheiden anmutenden Beschlägen und Fensterbänken wurden im Original erhalten und lediglich mit Gummilippendichtungen und energiesparenden Gläsern ausgestattet. Bauteil für Bauteil wurde bauphysikalisch untersucht und nach Möglichkeit mit Kalziumsilikatplatten dämmtechnisch von innen nachgebessert. Die Fenstergewände aus Naturstein, der Klinker, die Dachüberstände mit der patinierten Kupferblende blieben erhalten. Es gibt keine Veränderungen, die ins Auge springen. Oft ist ein zweiter Blick notwendig, um die tatsächlichen Neuerungen wie die Eingänge oder die Treppenhäuser an der Nordseite des mittleren Hauses überhaupt zu erkennen.

Das mittlere Haus (Haus B)

Das mittlere, deutlich größere Haus mit seinem vornehmen Staffelgeschoss für die ehemalige Vorstandsetage, dessen Dachüberstand von schlanken Zwillingsstützen getragen wird, wurde strukturell weitergehend umgeformt. Die Wohnungsgrößen liegen hier zwischen ca. 80 und 175 Quadratmetern. Die angesichts der Qualität der Nissen-Bauten erstaunlich banale Nordseite des Hauses (Fotos S. 28) bekam drei neue, kastenförmig aus der Fassade hervortretende, filigran verglaste Treppenhäuser mit innen farblich differenziertem Stucco-Putz. Fensterrahmen und Innentüren wurden erhalten. An der Südfassade finden sich im ersten Obergeschoss statt der ursprünglich einachsigen nun breitere, über zwei Fensterachsen reichende Stahlbalkone. Nach Süden orientieren sich die großen Wohnräume und auch die offenen Küchen, die ebenfalls komplett durchgestaltet und wie die Bäder gleichberechtigte Elemente der Innenarchitektur sind.
Die erlesene Ausstattung aller Wohnungen in den drei Häusern reicht bis in jedes Detail, wirkt aber nie aufdringlich oder überzogen. Das Interesse an der Wahrung der Authentizität der Altbauten, die ja in diesem „Luxussegment“ des Wohnens an einem solchen Ort unter den sonst üblichen Bedingungen keinen Bestand gehabt hätte, geht so weit, dass die Originalfenster auch bei den neu geschaffenen Bädern im Erdgeschoss beibehalten wurden.

Das U-förmige Haus

Im U-förmigen Haus im Westen befinden sich die größten Wohnungen. Das Raumangebot reicht hier von ca. 190 bis 320 Quadratmeter. Ein originales Treppenhaus wurde unter Beibehalt des Geländers erhöht – auf die alten, an den Seiten noch sichtbaren Stufen wurden neue gesetzt –, um Anschluss an die zur Verbesserung des Trittschallschutzes verstärkten Decken zu halten. Ein Treppenhaus an der Ostseite wurde im Sinne Nissens neu errichtet, um Ersatz für das entfallene gläserne Verbindungselement zwischen den Häusern zu schaffen. Zwei der großen Erdgeschoss-Wohnun­gen erhielten jeweils einen neuen, separaten Eingang an der Ost- bzw. Westfassade.
Die ehemals langen Mittelflure wurden durch Staffelung, Verbreiterung einzelner Zonen und das Öffnen mehrerer Bereiche so weit aufgelöst, dass sie zu Entrees, Dielen und Innenräumen wurden. Die Grundrisse zeigen aber auch, dass das axiale Erschließungsprinzip und das Raster dabei nicht grundsätzlich aufgegeben, sondern ihre Monotonie gebrochen, seitliche Verbindungen neu geschaffen und angrenzende Räume geöffnet wurden. In den beiden nach Süden gerichteten Gebäu­deflügeln wurde das Raster sogar zum Kern der Inszenierung der Erschließung. Hier führt der Weg von der Diele direkt auf den großen Wohnraum mit dem mittig angeordneten Kamin zu (Foto S. 26), und der Blick fällt auf die Reemtsma-Villa.
Die Umwidmung der Verwaltungsbauten im „Reemtsma Park“ zu Wohnungen ist ein Musterbeispiel für einen unaufdringlichen Umgang mit einem Kulturdenkmal aus den Fünfzigern in einem einzigartigen landschaftlichen und bauhistorischen Kontext. Dabei blieb die anspruchsvoll-bescheidene Architektur außen fast völlig und innen strukturell weitgehend erhalten – und doch wird in den Häusern nun kompromisslos ein neues Wohnen in großer Bandbreite ermöglicht.



Fakten
Architekten Helmut Riemann Architekten, Hamburg
Adresse Parkstr. 63/59, Klein Flottbeker Weg 89d-e, 22605 Hamburg


aus Bauwelt 07-08.2010

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