Saw-Swee-Hock-Studentenzentrum
Gefaltetes Studentenzentrum
Text: Schabel, Anna, London
Die irischen Architekten O’Donnell+Tuomey haben mit dem Saw-Swee-Hock-Studentenzentrum der London School of Economics einen komplexen Neubau errichtet. Wie ein gefalteter Vorhang schmiegt sich die perforierte Ziegelhaut des Gebäudes an die dichte Campus Bebauung
Nähert man sich in den Gassen des Stadtteils Westminster dem neuen Studentenzentrum der London School of Economics and Political Science (LSE), sieht man erst im letzten Moment dessen gesamte Größe. Keine seiner Fassaden kann man aus einem Abstand betrachten. Auf einem kleinen Grundstück hat das Architekturbüro O’Donnell + Tuomey eine außergewöhnliche Ziegelskulptur geschaffen. Alle Gebäude in der direkten Nachbarschaft sind, typisch für London, traditionell aus farblich unterschiedlichen Ziegeln errichtet. O’Donnell+Tuomey verwenden das Material auf besondere Weise: Die mehrfach geknickten Fassaden wurden mit Tausenden handgefertigten Ziegeln in ganz verschiedenen Formen verkleidet. Es entstehen geschlossene, gemusterte und perforierte Elemente. Die meisten Fenster bleiben hinter einem Ziegelgitter verborgen. Die Kubatur des Gebäudes erinnert an den Faltenwurf eines Capes.
Bis zu diesem Bau hatten die Dubliner Sheila O’Donnell und John Tuomey erst ein anderes Gebäude in London realisiert: die Photographer’s Gallery von 2012. Eine alte Lagerhalle stockten sie mit einer schlichten, schwarzen Fassade auf. Dass die Fassade des Studentenzentrums sehr viel verspielter ist, ist dem Nachbarrecht geschuldet, das für einen kubischen Bau eine Abtreppung mit kleinen Dachterrassen verlangt hätte.
Mehr als Lehrräume für die Studenten
Unter einem an der Fassade hoch aufsteigenden Vordach aus Glas befinden sich die beiden Vordereingänge des Zentrum: Sie führen zu Veranstaltungsräumen im Untergeschoss oder ins Foyer. Eine offene Treppe, die um die farbigen Aufzüge moduliert wurde, führt bis ins sechste Obergeschoss. Die Treppenskulptur, von der aus sich Sichtbeziehungen über die Stockwerke hinweg ergeben, war eine der maßgeblichen Entwurfsideen. Die entstandenen Durchblicke und Überlagerungen sorgen gleichzeitig für die Offenheit und für die Komplexität des Gebäudes. Umsetzen ließ sich die offene Treppe mit einer ausgeklügelten Brandschutzstrategie, zu der auch zusätzliche Fluchttreppenhäuser gehören.
Die Bauherrin wünschte sich in der Wettbewerbsausschreibung von 2009 „das beste Studentencenter Londons“. Verschiedenste Einrichtungen, die zum Studentenalltag gehören, sind hier auf rund 6100 Quadratmetern und insgesamt neun Ebenen untergebracht. Keine Ecke in dem polygonalen Grundriss blieb ungenutzt. Im ersten Obergeschoss, eine Art Piano Nobile, liegt das „Learning Café“, gleichzeitig Treffpunkt, Mensa und Computerarbeitsbereich. Die folgenden Ebenen haben eine geringere Raumhöhe. Ein Mediencenter mit Tonstudio, eine Kapelle sowie islamische Gebetsräume sind im zweiten Obergeschoss untergebracht. Im dritten befinden sich die Wohnheimvermittlung und das Studentenwerk, im vierten ein Fitnessstudio, im fünften die Berufsberatung und im sechsten Geschoss ein Café mit Dachterrasse. Im gesamten Gebäude lassen sich die Studenten mit Laptops zum Arbeiten nieder.
Die Gesamtgestaltung des Zentrums ermöglicht es, dass Tageslicht bis tief in die Innenräume fällt. Die nach innen geknickte Fassade bringt im Norden Licht ins Gebäude, während die Ziegelgitter die Südfenster verschatten. Die geringe Tiefe des Gebäudes sorgt problemlos für natürliche Belüftung. Insgesamt beliefen sich die Baukosten auf über 24 Millionen Pfund. Wie kann man sich das leisten?
Studiengebühren und Spenden
Die LSE wurde 1894 von Mitgliedern der Fabian Society (eine frühe sozialistische intellektuelle Bewegung) mit dem Ziel gegründet, die Gesellschaft durch Forschung zu den Themen Armut und Ungleichheit zu reformieren. Später kamen Politik, Soziologie und andere Studienfächer hinzu. In den Sechzigern löste sich die Hochschule stark von ihren sozialistischen Wurzeln. Seitdem nehmen die Wirtschaftsstudien mehr Raum ein. Heute verspricht der Name LSE einen auch international prestigeträchtigen Abschluss. Viele Studenten kommen aus dem nicht-europäischen Ausland und mit ihnen hohe Einnahmen an Studiengebühren. Professor Saw Swee Hock, der das Studentenzentrum finanziell stark unterstützt und dessen Namen es trägt, ist selber ein ehemaliger Student aus Singapur. Mit der Hilfe von Spenden und finanzieller Unterstützung durch gut situierte Ehemalige kann die LSE in ihre Gebäude investieren. Das Studentenzentrum ist allerdings der erste komplette Neubau seit 40 Jahren.
Robust, vor allem kein Weiß
Die Innenräume des Zentrums sind von der Farbigkeit seiner Materialien geprägt: Beton, Terrazzo, eisenoxidroter Stahl und rötliches Jatoba-Holz aus den Tropen. Das Zusammenspiel dieser Materialien verweist auf die Sensibilität, mit der sich die Architekten der Bauaufgabe widmeten: Starke Farbkomposition und Kontraste ergeben ein nahezu graphisches Bild. Die Gegenüberstellung von sägerauem Boden und schwarzen Lackstühlen, rotem Stahl und Sichtbeton bestimmt den Charakter des Gebäudes. Ungewöhnlich ist der Verzicht auf Trockenbauwände. Abgesehen von den schallschluckenden „Wolken“ an der Decke, den Unterseite der Treppen und einiger Wände im Café fehlt es an Weiß im Gebäude. Alle Details sind aufeinander abgestimmt, alles ist robust und präsent. Die Emaille-Verkleidung an den Wänden der Aufzüge wurde aus einem eigenen Kunstfonds beauftragt und von John Tuomey entworfen.
Naturgemäß wechseln die Benutzer in einem öffentlichen Gebäude wie diesem ständig; überall werden neue Poster und Hinweise aufgehängt, Bilder der Tennis- und Rugbymannschaften angeheftet, Kisten und Mobiliar aufgestellt – alles muss das Gebäude aushalten können. Viele öffentliche Orte verkraften dies nicht; hier hingegen, in diesem komplexen Raumgebilde, herrscht kontrollierte Vielschichtigkeit.
Am Ende des Rundgangs blickt man von der Dachterrasse über das dicht bebaute Viertel, in dem die Riesenplatanen von Lincoln’s Inn Fields hervorstechen. Schräg gegenüber, auf der anderen Parkseite, steht das Haus von Sir John Soane – einem Architekten des 19. Jahrhunderts und Samm-ler von Antikem, Gemälden, Stichen und Skulpturen. Es ist Wunderkammer und Museum (
Bauwelt 11.2000) zugleich. Dort findet man nicht nur ein ähnliches Farbkonzept mit dominierenden Rot- und Gelbtönen, sondern auch komplexe Lichtführungen, Blickbeziehungen und Raumfolgen. Obwohl beide Gebäude Jahrhunderte trennen, kann man sich vorstellen, dass dieses Haus beim Entwurf für das Studentencenter Pate gestanden hat.
Fakten
Architekten
O’Donnell + Tuomey Architects, Dublin
Adresse
Sheffield St London School of Economics and Political Science, London WC2A, Großbritannien und Nordirland
aus
Bauwelt 29-30.2014
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