Bauwelt

Schlesisches Museum


Kattowitzer Kulturförderanlage


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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75 Jahre nach der Zerstörung des ersten Neubaus durch die deutsche Wehrmacht im Jahre 1939 blickt das Schlesische Museum Kattowitz nun hoffnungsfroh auf die Einweihungsfeier am neuen Standort. Riegler Riewe haben das Raum­programm weitgehend unter die Erdoberfläche versenkt, um den Hinterlassenschaften des Industriezeitalters auf der Zechenbrache ihre Präsenz zu belassen
Wer das Ruhrgebiet kennt, wird sich in Kattowitz über den Kontrastreichtum des Stadtbildes nicht wundern. Vor allem zu Gelsenkirchen weist das Zentrum der rund 310.000 Einwohner zählenden Hauptstadt der Wojwodschaft Schlesien einige äußerliche Ähnlichkeiten auf. Wie dort empfängt den Reisenden anstelle eines Bahnhofs ein Einkaufszentrum, hier allerdings erst vor zwei Jahren entstanden; ihm musste ein eigenwilliger Bahnhofsbau der Spätmoderne weichen, von dem heute nur noch zwei Achsen seiner Betonschirmdachkonstruktion künden. Die dann folgende, parallel zur Bahntrasse sich erstreckende Innenstadt stammt aus dem 19. Jahrhundert, als Kattowitz zur Stadt wuchs. Der Marktplatz schließlich, etwa in der Mitte dieser gründerzeitlichen Bandstadt gelegen, weitet sich nach Norden in die Stadtlandschaft der Nachkriegsmoderne auf, mit der „Spodek“, Untertasse, genannten Veranstaltungshalle im Fluchtpunkt der Perspektive und mit seitlich der Blickachse aufgereihten Punkt- und Scheibenhochhäusern – eine Situation, die abermals an Gelsenkirchen denken lässt, und zwar an den Blick aus dem Stadtzentrum Richtung Musiktheater. Mit dem Unterschied, dass in Kattowitz deutlich gesteigerte Dimensionen realisiert wurden und, hinsichtlich der Randbebauung, auch eine architektonisch höhere Qualität, was sich aus der Ambition der Planung erklärt: Die Industriestadt sollte zur sozialistischen Musterstadt erblühen; von 1953 bis ’56 trug sie gar den Namen Stalinogród.
Der Grandezza dieser Magistrale zu widerstehen ist unmöglich. Insofern konnte für das Schlesische Museum kaum ein besserer Standort gefunden werden als die Brache der 1994 geschlossenen Zeche „Katowice“ – diese befindet sich in Sichtweite, gleich hinter dem östlich der „Untertasse“ ebenfalls neu gebauten Musik- und Kongresszentrum. Fünf Minuten von der „Untertasse“ aus spaziert, und schon steht man vor dem 273 Millionen Zloty (rund 66 Millionen Euro) teuren Museumsneubau der Grazer Architekten Riegler Riewe.
85 Jahre auf und ab
Das Schlesische Museum, bislang eher provisorisch in einem ehemaligen Hotel am Markt untergebracht, blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Gegründet wurde die Institution 1929, sieben Jahre, nachdem ein Drittel Oberschlesiens vom Deutschen Reich abgetrennt und Polen angegliedert worden war. Kattowitz firmierte damals als Hauptstadt der „Autonomen Wojwodschaft Schlesien“ und war Sitz des Schlesischen Parlaments. Das erste Museumsgebäude entstand von 1936–39 nach Plänen Karol Schayers, wurde aber nie seiner Bestimmung übergeben: Kurz vor Fertigstellung besetzte die deutsche Wehrmacht die Stadt und zerstörte den Neubau als kulturpolitisches Symbol des Polentums in Schlesien (Bauwelt 16.2009). Doch auch den nach 1945 herrschenden Kommunisten war ein solches, den Eigenheiten der Region gewidmetes Museum lange nicht geheuer. Erst 1984 erfolgte die Neugründung und, Schritt für Schritt, die Aneignung besagten Hotelgebäudes. 2007 schließlich wurde der internationale Wettbewerb für den Neubau auf der zentrumsnahen Zechenbrache mit der Kür des Entwurfs von Riegler Riewe entschieden (Bauwelt 27.2007); im Herbst nun soll das baulich bereits seit ein paar Monaten fertige Haus endlich eröffnet werden.
Was das Publikum dann zu sehen bekommt, ist vielfältig: Die umfangreiche Sammlung der Institution umfasst Malerei von polnischen und schlesischen Malern des 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch Dokumente der Zeitgeschichte und Alltagskultur. Die Ausstellungen, die Anfang Juni dieses Jahres im bisherigen Haus zu sehen waren, zeigen die Bandbreite des Interesses: Feldpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg, Street Art in Polen, die Entwicklung des Kinderspielzeugs im 20. Jahrhundert, das Photoplastikon (ein Apparat aus dem 19. Jahrhundert, der zur freiäugigen Betrachtung von Raumbildern entwickelt und kürzlich restauriert wurde) ...
So weit das Sammlungsgebiet, so weit wollen die Architekten, die für die Realisierung ihres Wettbewerbsbeitrags eigens eine Dependance in Kattowitz aufgebaut haben, auch die Möglichkeiten offenhalten, die der Neubau bietet. Dieser entwickelt sich zum größten Teil unter der Erde, ein Aspekt des Entwurfs, der im Wettbewerb eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat, wollte die Stadt doch keinesfalls das ehemalige Zechenareal und seine historischen Gebäude mit einer zu dominanten Kubatur zum Stadtzentrum hin abschotten. Das Eingraben der meisten Programmbereiche erlaubt es dagegen, den auf der Ostseite der Zechenbrache gelegenen Park über das Museumsareal hinweg nach Westen, Richtung Veranstaltungshalle, zu verlängern und damit eine attraktivere Fußwegverbindung ins Zentrum zu schaffen als die bestehende entlang der autobahnähnlichen Ost-West-Trasse, die das Areal im Süden tangiert.
Der Neubau entstand auf dem südlichen Teil der Brache, wo nur wenige bauliche Zeugnisse der industriellen Vergangenheit vorhanden waren. Neben den zwei unspektakulären Backsteinbauten der Waschkaue und des Maschinenhauses fällt vor allem der Förderturm ins Auge, der um einen Aufzug ergänzt wurde und künftig als Aussichtsturm dient. Die beiden anderen Altbauten werden ein Restaurant und das Polnische Bühnenbildzentrum beherbergen. Die Zukunft der Zechenanlagen im nördlichen Teil ist noch ungewiss, erhalten werden sollen sie auf jeden Fall.
Der Anspruch, eine „Ermöglichungsarchitektur“ zu schaffen, wie Mikolaj Szubert, Leiter des Kattowitzer Büros von Riegler Riewe, das Projekt beschreibt, findet sich in den vielen Zugängen widergespiegelt. Die abstrakten, in geätztes Glas gehüllten Quader, die die oberirdische Präsenz des Museums bilden (und abermals an Gelsenkirchen erinnern, wo Pfeiffer, Ellermann & Partner Mitte der neunziger Jahre die Architek-tur der stillgelegten Zeche Oberschuir ebenfalls mit einem minimalistischen Würfel aus Glas kontrastierten), bieten die Chance, das Museum an mehreren Stelle zu betreten. Von unterschiedlicher Dimension und Nutzung – der größte, im Osten gelegene Quader beherbergt die Verwaltung, die kleineren Rechtkante im Westen sind lediglich Laternen, die das Museum unter der Erde mit Tageslicht versorgen –, ergeben sie im Zusammenspiel ein lebhaftes, unhierarchisches Ensemble, mit vielen Blick- und Wegebeziehungen. Der Wunsch, das Muse-um mit der Umgebung zu vernetzen, wird von dem zwanglosen Beieinander der Quader anschaulich eingelöst.
Der eindrucksvollste Zugang ist sicher der über den gewaltigen, von einer Lichtkassettendecke überspannten Wechselausstellungssaal, der im Norden des Geländes vielleicht dereinst das Museum mit anderen Nutzungen auf dem Areal verknüpfen könnte. Heute aber liegt er noch im Abseits. Wichtiger sind deshalb der Eingangspavillon im Süden, der mit einer langen Rampe hinab in die Dauerausstellung führt, und der östlich benachbarte, der mit Rolltreppen die Besucher des Konferenzbereichs in die Tiefe bringt. Diese beiden publikumsintensiven Kernbereiche der Institution lassen sich miteinander verbinden, sodass etwa Vorträge und Seminare die Ausstellungen auf räumlich direkte Weise ergänzen können. Zoniert werden die großen, unterirdischen Hallen durch die Lichtquader, die ihre Decken durchdringen, und deren Gegenstück in Form von Patios, in die sich das Museum mit einer umlaufenden Pfosten-Riegel-Glasfassade öffnet.
Rückgrat des Museums aber ist der beeindruckend lange Korridor entlang der Südseite der Ausstellungs- und Tagungsräume, an dem Technik- und Lagerräume angeordnet sind – ein wahrer Stollen zur Kulturförderung, der die Stadt schon bald mit Anregungen versorgen könnte. Auftakt ist das Finale der von Stadt und NGOs an verschiedenen Orten durchgeführten Ausstellung „Metropolis“.



Fakten
Architekten Riegler Riewe, Graz
Adresse Aleja Walentego Roździeńskiego 3 40-005 Katowice, Polen


aus Bauwelt 27.2014
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