Im Südosten Berlins ist der erste Bauabschnitt des Magazins für die Staatsbibliothek zu Berlin fertiggestellt.
Der ungewöhnliche Zweckbau von Eberhard Wimmer Architekten findet mit einfachen Mitteln zu einer würdevollen und voraussichtlich auch dauerhaften Gestalt
Die Bauaufgabe hat etwas Pharaonisches, sowohl in ihrer zeitlichen als auch in ihrer räumlichen Dimension: 2005 Realisierungswettbewerb, 2014 Übergabe des ersten Bauabschnitts, 2036 des zweiten und 2060 des dritten. Auch bei gesündester Lebensführung dürfte der Münchener Architekt Eberhard Wimmer, dessen Entwurf sich unter 30 Konkurrenten durchgesetzt hatte, an der Vollendung seiner Speicherbibliothek nicht mehr aktiv beteiligt sein. Wenn nicht die Ewigkeit, so war doch die Dauerhaftigkeit von Konzept und Gestalt prägend für die architektonische Ausgestaltung seines Riesengebäudes, das unweit des Müggelsees im Berliner Südosten steht.
126x67 Meter Grundfläche misst der Ende Juni an die Nutzer übergebene erste Bauabschnitt. Das halbe Quadrat fasst sechs Millionen Bücher aus den Beständen der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) und des Ibero-Amerikanischen Instituts (IAI) sowie 12 Millionen analoge Fotografien der Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte (bpk). Zumeist handelt es sich um Bücher, die eher selten angefragt werden, aber dennoch für den Wissenschaftsbetrieb bereitgehalten werden müssen; allein der Bestand des renommierten IAI wächst jährlich um einen Regalkilometer. Im Gebäudekonzept ist folglich das Buchregal die maßgebende Einheit. Geschichtet und gestaffelt, bildet sich daraus ein „Perpetuum-Gebäude“ (Wimmer), das bei aller inneren Funktionalität wie eine Skulptur erdacht wurde. Die Herleitung beschreibt ein gegebenes Volumen, das quasi bildhauerisch bearbeitet wurde: Ein „herausgenommener“ Quader („Verschlussstein“) markiert dabei den Eingang, die Lichthöfe ergeben sich durch „Herausziehen“ einzelner Module.
Wenig Bewegung
Das Depotgebäude ohne Publikumsverkehr, in dem nur eine Handvoll Menschen arbeiten, liegt über 20 Kilometer entfernt von den beiden Häusern der Staatsbibliothek, das eine Unter den Linden (
Bauwelt 4.2013) das andere am Kulturforum. Zweimal pro Tag bringen LKW bestellte Bücher dorthin und nehmen die Rückläufer wieder mit. Bei der ersten Annäherung an das Gebäude mag es überraschen, dass diese einzige von außen erkennbare Tätigkeit nicht stärker inszeniert wurde. Weder das an der Nordwest-Ecke gelegene, vergleichsweise kleine Vordach, noch die Zufahrt ist sonderlich hervorgehoben. Die visuelle Diskretion ist aber nachvollziehbar, denn die Logistik würde kaum öffentlich wahrgenommen werden können, ist das Gebäude doch weiträumig umzäunt – zum Bedauern des Architekten, der sich mehr Öffnung und Durchwegung dieser für Berlin doch neuartigen „Speicherstadt“ vorstellen kann.
Noch bevor das Magazin auf sein Endmaß angewachsen sein wird, erhält es im Süden einen ähnlich großen Nachbarn: Das Zentraldepot der Staatlichen Museen zu Berlin wird hier eines Tages jene Bestände aufnehmen, die derzeit noch beengt in Berlin-Dahlem lagern (Planung: AV1 Architekten, Kaiserslautern). Den Platz für derlei staatskulturelle Großformate fand der Bauherr, die Bundesrepublik, auf dem Areal des ehemaligen Amtes für Standardisierung, Mess- und Regelwesen der DDR. Seit den fünfziger Jahren entstanden hier Labore und Prüfhallen, die inzwischen fast alle abgerissen sind. Die neue bauliche Schicht überlagert die alte Struktur, nur mancher Hauptweg bleibt für die Speicherstadt erhalten.
Das Innere des Gebäudes wird von Bibliotheks-, Haus- und Klimatechnik dominiert. Die gestalterische Arbeit des Architekten war auf Flächen fokussiert, mit denen Menschen in Berührung kommen: das Foyer, die vier Lichthöfe, die Fassaden. Um die Funktion des Lagerns und Lastens anzudeuten, hat Eberhard Wimmer eine Fassadenlogik entwickelt, die mit wenigen Materialien eine moderate Lebendigkeit hervorbringt. Bei der Auswahl des Natursteins, mit dem der „Verschlussstein“, das Foyer und die Südfassade verkleidet sind, musste berücksichtigt werden, dass in fünfzig Jahren noch ausreichend Reserven derselben Güte im Steinbruch liegen. Der „Verde San Francisco“ aus dem brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais wurde unweit des Steinbruchs präzise zugeschnitten und bearbeitet. Unterteilt ist jedes Element in eine größere geschliffene Fläche und einen Randeinschnitt, der sägerau blieb. In der Fassade entsteht dadurch eine vertikale Scheinfuge, die das Bild verfeinert. An der Südfassade kam der Stein in drei verschiedenen Stärken und freier Anordnung zum Einsatz, die Schatten fügen sich auf der Riesenfläche zu einer lebhaften Struktur. Krustenplatten, mit denen diese Anmutung ursprünglich hätte erzeugt werden sollen, erwiesen sich für eine freie Ankeraufhängung als ungeeignet. Die übrigen Fassaden bestehen aus geschosshohen Betonfertigteilen, die sich ebenfalls in das 1,20 Meter-Raster einordnen. Der Abstand ihrer horizontalen Linierung nimmt nach oben hin zu, was das Stapeln und Lasten im Inneren andeutet. Zwischen den Stößen der Fertigteile ragen an der Ost- und Westseite Naturstein-Schwerter unterschiedlich weit heraus, ähnlich wie Buchrücken aus einem Regal. Je nach Sonnenstand lässt das Schattenspiel die vier Geschosse mal mehr, mal weniger deutlich hervortreten. Diese Symbiose aus Feinheit und Archaik bringt ein Gebäude zum Sprechen, dem eher Schweigen auferlegt ist. Seriös, wie sich das für ein „Schatzhaus“ gehört, und als angemessene architektonische Übersetzung des Surrens elektronisch gesteuerter Kompaktregalanlagen und Buchförderbänder.
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