Bauwelt

Stadtteilbibliothek in Kopenhagen


In Tingbjerg, einer Kopenhagener Stadterweiterung aus den fünf­ziger Jahren, hat das Büro COBE eine Bibliothek realisiert, die das bestehende Schul- und Sportzentrum ergänzt und dem Satel­liten zu etwas mehr Eigenständigkeit gegenüber dem Stadtzentrum verhilft.


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Die Siedlung Tingbjerg liegt als kleiner Satellit eingebettet in Grünflächen nordwestlich des Stadtzentrums von Kopenhagen. In der Bildmitte die neue Bibliothek
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Die Siedlung Tingbjerg liegt als kleiner Satellit eingebettet in Grünflächen nordwestlich des Stadtzentrums von Kopenhagen. In der Bildmitte die neue Bibliothek

    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    An der Straße Skolesiden bildet die Bücherei eine setzkastenartige Fassade aus, die das Geschehen im Inneren sichtbar macht.
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    An der Straße Skolesiden bildet die Bücherei eine setzkastenartige Fassade aus, die das Geschehen im Inneren sichtbar macht.

    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Mit der Schwimmhalle formt sie eine neue, zeichenhafte Dachlandschaft.
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Mit der Schwimmhalle formt sie eine neue, zeichenhafte Dachlandschaft.

    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Vom Eingangsbereich, der die Bibliothek mit der Schu­le verbindet, ...
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Vom Eingangsbereich, der die Bibliothek mit der Schu­le verbindet, ...

    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    ... reicht der Blick in Querrichtung durch den Veranstaltungssaal bis auf die Straße Skolesiden; wer den Kopf hebt, kann über die Galerien bis hoch zum First schauen.
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    ... reicht der Blick in Querrichtung durch den Veranstaltungssaal bis auf die Straße Skolesiden; wer den Kopf hebt, kann über die Galerien bis hoch zum First schauen.

    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Die Fassade mit ihren stab­artigen Elementen ordnet sich in Farbe und Material in die Umgebung ein.
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Die Fassade mit ihren stab­artigen Elementen ordnet sich in Farbe und Material in die Umgebung ein.

    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Das terrassierte Innere schafft zugleich eine Vielzahl unterschiedlicher Bereiche mit jeweils kla­rer Abgrenzung und Blickkontakte von oben nach unten.
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Das terrassierte Innere schafft zugleich eine Vielzahl unterschiedlicher Bereiche mit jeweils kla­rer Abgrenzung und Blickkontakte von oben nach unten.

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    Die Büchersammlung der Bibliothek verteilt sich über sämtliche Ebenen und verzahnt sich so mit den übrigen Angeboten im Haus.
    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Die Büchersammlung der Bibliothek verteilt sich über sämtliche Ebenen und verzahnt sich so mit den übrigen Angeboten im Haus.

    Foto: Fotos Rasmus Hjortshøj – COAST

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    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Foto: Ulrich Brinkmann

Tingbjerg wirkt wie aus einem skandinavischen Stadtplanungslehrbuch der Nachkriegszeit auf den Kopenhagener Stadtplan gefallen: Eingebettet in einen Grüngürtel, ordnen sich lang gestreckte, dreigeschossige Wohnhauszeilen in Nord-Süd-Richtung und kürzere, ebenso hohe in Ost-West-Richtung um ein Zentrum, das vor allem von der ausgreifenden Anlage der eingeschossigen Schule mit ihren Laubengängen, einer Schwimm- und einer Sporthalle gebildet wird. Lediglich ein einzelnes Hochhaus im Südosten markiert den Eingang in die Siedlung, wenn man aus dem rund acht Kilometer entfernten Stadtzentrum kommt, und sorgt für eine gewisse Sichtbarkeit des Satelliten in der Landschaft. Ein Besuch der Siedlung lohnt sich aber nicht nur für den, der sich für skandinavische Nachkriegsmoderne interessiert, sondern auch für Menschen, die zeitgenössische Architek­tur sehen wollen: Im vergangenen Oktober wurde in Tingbjerg eine neue Stadtteilbibliothek eingeweiht, die darüberhinaus als kleines Kulturzentrum und Begegnungsort fungieren soll. Geplant wurde das Gebäude mit seiner ungewöhnlichen, in Grundriss und Querschnitt dreieckigen Form vom Kopenhagener Architekturbüro COBE.
Hat man die Siedlung erreicht, ist der großstädtische Hintergrund nicht mehr präsent. Da­für sorgt der abstandhaltende Grünzug ebenso wie die starke Eigenwirkung der Anlage. Die homogene Architektur der Wohngebäude mit ihren ebenso sorgfältigen wie alltagstaulichen Details sprechen für die Hingabe, mit der sich Architekt Steen Eilar Rasmussen (1898–1990) in den fünf­ziger Jahren der Planung gewidmet hat. Gelbe Klinker für die Fassaden, hellgraue Schiebe­elemente für die großen, zweiflügeligen Fenster und flach geneigte, knapp überstehende Satteldächer bilden einen ruhigen Hintergrund für ein Wohnen im Grünen, das seinerzeit, als im Zuge der Sanierung des Stadtzentrums tausende Kopenhagener neu untergebracht werden mussten, das Leitbild abgab für eine ganze Reihe von Stadterweiterungen. Der „Fingerplan“, den Rasmussen mit seinem „Dansk Byplanlabora­torium“ (kurz DBL) ab 1945 maßgeblich mitentwickelt hatte, bevor das städtische Raumplanungsbüro unter Leitung des Architekten Peter Bredsdorff die Federführung übernahm, ordnete die­se Satelliten- oder Gartenstädte so an, dass auch weiterhin Landschaftsräume bis ins Innere der Stadt reichten. Anfang 1948 wurde der Fingerplan der Öffentlichkeit vorgestellt, und obwohl er nie offiziell verabschiedet wurde, prägt er die Planung in der dänischen Hauptstadt bis heute: Zuletzt wurden 2007 und 2013 überarbeitete Fingerpläne vorgestellt, mit denen die Entwicklung aktualisiert und weitergedacht worden ist.
Weiterzudenken ist aber nicht nur ein Stadtentwicklungsplan, weitergedacht werden müssen längst auch die einzelnen Siedlungen aus der Nachkriegszeit. Gegenüber den fünfziger Jahren haben sich die Ansprüche verändert; wo einst dänischer Mittelstand wohnte, leben heute ökonomisch Unterprivilegierte, viele von ihnen Migranten. In ihrem Buch „Our urban living room“, 2018 im schwedischen Verlag Arvinius+Orfeus erschienen, zeichnen COBE ein anschauliches Bild der Situation. In Tingbjerg etwa ist der Anteil nicht-westeuropäischer Einwohner fünf Mal höher als im städtischen Durchschnitt, der Anteil der Einwohner ohne Ausbildung doppelt so hoch, fast ebenso hoch auch jener der Arbeitslosen – das Viertel weist damit den desaströsesten Schnitt aller Kopenhagener Stadtteile auf. Immerhin ist der Wohnungsbestand, anders als in ähnlichen Nachkriegssiedlungen in deutschen Städten, noch in der Hand städtischer Wohnungsgesellschaften, die Interessen jenseits kurzfristiger Renditeziele verfolgen sollten: etwa die, Tingbjerg auch für ein anderes Publikum wieder attraktiver zu machen und so für mehr Vielfalt hinter den gleichförmigen Fassaden zu sorgen.
Ein Schritt hin zu einem besseren Angebot ist der Bau einer neuen Stadtteilbibliothek. Das Gebäude in Tingbjerg ist Teil eines Investitionsprogramms der Stadt Kopenhagen in die Peripherie, mit dem neue öffentliche Gebäude den Zusammenhalt als „Motor gesellschaftlichen Lebens“ antreiben sollen. Die Kombination einer Bücherei mit weiteren Angeboten liegt ganz auf einer Entwicklungslinie, die in den letzten zehn, fünfzehn Jahren das einst klar umrissene Raumprogramm eines solchen Gebäudes zu erweitern begonnen hat: die Bibliothek als Treffpunkt (Bauwelt 44.2008). Auch in Dänemark ist diese Tendenz ablesbar. Zwar schrumpfte die Anzahl von Bibliotheken dramatisch – von rund 8000 um die Jahrtausendwende auf gerade noch 484 im Jahr 2015 –, die Besucherzahlen aber pendeln konstant um die 36 Millionen pro Jahr. Der Zugang zu Informa­tionen mag sich dank digitaler Angebote auf die heimische Couch erweitert haben, der Bedarf an öffentlichen Räumen aber bleibt.
Dem Bau des 50 Millionen Kronen – rund 6,7 Millionen Euro – teuren Neubaus in Tingbjerg voraus ging ein Dialog mit den Anwohnern, um deren Wünsche und Anregungen einfließen zu lassen – die viergeschossige, bildschirmartige Straßenfassade stellt gleichwohl die Sehgewohnheiten der unmittelbar gegenüber Wohnenden in Frage, wie COBE-Architektin Caroline Nagel beim gemeinsamen Besuch des Neubaus erzählt. Für COBE war die Frage nach dem richtigen Maß an Einfügen und Abgrenzen beim Entwurf zentral; das Gebäude sollte Eigenständigkeit besitzen und als Ergänzung der Gegenwart erkennbar sein, gleichwohl den Bestand respektieren. Den Wettbewerb haben COBE aber nicht mit einem fertigen Entwurf gewonnen, sondern mit einem Kostenvoranschlag, den sie wie alle teilnehmenden Planer zusammen mit einem Bauträger erarbeitet hatten – die eigentliche Planung begann erst nach diesem Bieterverfahren.
Das unter mehreren Alternativen weiterverfolgte und schließlich realisierte Konzept trägt den schönen Namen „Kuss“: Die Bibliothek spitzt zur Schule hin förmlich den Mund. Mit dem steil geneigten Pultdach und seinem dreieckigen Grundriss leitet das Volumen den Besucher von beiden Richtungen hin zu den gläsernen Eingangstüren, die sich, bescheiden dimensioniert, nicht auf den ersten Blick als Haupteingang in das wichtigste Gebäudeensemble von Ting­bjerg zu erkennen geben. Auch wenn das am Tag des Besuchs herrschende Schneetreiben eine eher seltene Wetterlage in Kopenhagen sein mag– ein irgendwie gearteter Wetterschutz machte auch bei Regen das Warten vor der möglicherweise geschlossenen Tür angenehmer und den Haupteingang kenntlicher. Überzeugend hingegen die Kubatur: Gerade von der Südseite, mit dem geneigten Dach der Schwimmhalle im Hintergrund, ergibt sich ein Zusammenspiel aus Linien und Flächen, das die Ergänzung vollkommen selbstverständlich wirken lässt, aber auch von den Schulhöfen aus wirkt das Gebäude dank der Schrägen in Grundriss und Schnitt in keiner Weise erdrückend. Wie überhaupt die entwerferische Haltung gegenüber dem Kontext angemessen scheint: Nicht zu laut und nicht zu leise ist der Auftritt; den Bauten von Rasmussen erweist die neue Architektur Referenz, ist aber als Gesamtform ebenso wie in den Details der Glas- und Ziegelfassade eigenständig.
So beiläufig auch der Eingang behandelt ist – steht der Besucher erst im Foyer der Bibliothek, erwartet ihn durchaus ein „Wow“-Effekt. Steil staffeln sich die langgestreckten Galerien mit ihrer Holzverkleidung gegenüber dem Eingang in die Höhe, wobei die massiven Brüstungen nicht verraten, was im Einzelnen auf jeder Ebene passiert: Der erste Blick regt zur Erkundung an, und Kindern, die noch nicht abgeholt werden wollen, kommt die Gliederung des Raums mit reichlich Versteckmöglichkeiten entgegen. Und trotz des im Großen und Ganzen geschlossenen Charakters dieses Innenraums stellen einzelne, große Öffnungen doch Verbindungen nach Außen her, bieten Blicke auf die Straße, hinüber zur Schwimmhalle, über die Dächer der Schulpavillons. Und künftig wohl über neue Wohngebäude. Denn das ist auch den Stadtplanern in Kopenhagen klar: Mit einem öffentlichen Gebäude allein lassen sichdie Probleme eines Stadtteils nicht beheben, es braucht dazu auch Nachbarn mit einem anderen Hintergrund; eben das, was eine funktionierende Stadt ausmacht: eine ausgewogene Mischung.



Fakten
Architekten COBE, Kopenhagen; Rasmussen, Eilar (1898–1990)
Adresse Skolesiden 4, 2700 København, Dänemark


aus Bauwelt 5.2019
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