Bauwelt

Studentenwohnungen


Holzfertigbau in der Altstadt


Text: Rappel, Astrid, Paris


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    Foto: Paul Raftery

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Das Pariser Architekturbüro Lipsky + Rollet errichtete in der Altstadt von Troyes ein Universitätsareal. Zum Campus „Comtes de Champagne“ gehören auch 47 Studentenwohnungen – ein Experiment in Holzfertigbau. Die Innenräume ver­sprühen eher Almhüttencharme.
Troyes, eine circa 63.000 Einwohner zählende, an der Seine gelegene Stadt der Champagne, lebt hauptsächlich von Weinbau, in früheren Zeiten auch stark von der Textilindustrie. In den vergangenen Jahren kam der Tourismus hinzu, denn besonders die sanierte Altstadt mit den prächtigen Fachwerkhäusern lockt viele Besucher an. Stadt und Region, die unter dem Einbruch der Textilindustrie sehr zu leiden hatten, setzen heute auch auf neue Entwicklungsperspektiven, unter anderem auf den Ausbau der Technischen Hochschule.
Um die Aufnahmemöglichkeiten und Beherbergungskapazitäten für Studierende zu vergrößern, schrieb die Stadt vor neun Jahren einen Städtebau- und Architekturwettbewerb für ein neues Universitätsareal aus: den „Campus der Grafen der Champagne“, eine etwas altmodisch anmutende Namensgebung nach den Grafen, deren Hauptsitz Troyes im Mittelalter war. Unter ihnen organisierte sich auch einer der ersten europäischen Geldmärkte.
Der Campus soll außerdem einem historischen Standort, der von heterogener Bebauung aus unterschiedlichen Epochen umgeben ist, neues (studentisches) Leben einflößen. Bei dem Areal handelt es sich um die Brache des ehemaligen Hafenbeckens der Stadt mit einer Fläche von circa 2,2 Hektar. Das Terrain endet im Osten am Boulevard Henri Barbusse und an der Seine, im Süden wird es von einem schmalen Wasserlauf flankiert. Mit dieser Entscheidung zeigt sich ein in Frankreich schon seit einiger Zeit zu beobachtender politischer Wille zur Rückkehr der Universitäten in die Stadt; die Rückkehr erfolgt im Rahmen eines Programms, mit dem das Kultusministerium die Probleme wie Platzmangel, aber eben auch räumliche Isolierung zu bekämpfen versucht. Im Jahr 2003 erhielt das Büro Lipsky+Rollet den Auftrag für das Universitätszentrum mit Mensa, Sporthalle, Studentenwohnungen sowie Gemeinschafts- und Verwaltungsräumen. Bis zur Realisierung folgten eine Reihe von Umplanungen, die vor allem der Kostenreduzierung geschuldet waren.
Referenzen
Florence Lipsky und Pascal Rollet sind nicht nur praktizierende Architekten, seit längerem schon setzen sie sich auch theoretisch intensiv mit der Thematik der Hochschulplanung auseinander; Florence Lipsky lehrt an der Architekturschule in Marne-la-Vallée und hat den Universitätscampus mit vielen internationalen Beispielen zum Thema ihrer wissenschaftlichen Forschungsarbeit gemacht. Es verwundert deshalb nicht, dass die Architekten 2005 für ihren Bibliotheksneubau des „Campus de La Source“ in Orléans mit dem französischen Architekturpreis „Equerre d’argent“ ausgezeichnet und vor zwei Jahren für den Campus in Troyes nominiert wurden.
Der Campus orientiert sich, vielleicht aufgrund eines Aufenthalts der beiden Architekten in Berkeley, an angelsächsischen Modellen: Das Programm wurde bewusst untergliedert in vier unterschiedliche Baukörper. Sie ordnen sich als offenes Viereck um einen Platz und ein Wasserbecken, das einen Bezug herstellen soll zur Geschichte des Standorts mit dem alten Hafen. Außerdem wurde dem Fahrrad- und Fußverkehr besondere Beachtung geschenkt. Entsprechend dem historischen Stadtbild wählten die Architekten für die Fassaden vor allem Holz, das sie je nach Gebäude und Nutzung mit transparenten Polycarbonatplatten ergänzten.
Studentisches Wohnen
Die 47 Studentenwohnungen, davon vier behindertengerecht, sind in den beiden zweigeschossigen Pultbau-Hofgebäuden untergebracht. Inspiriert von der Typologie der dicht an dicht stehenden mittelalterlichen Fachwerkhäuser im Altstadtkern, sollen die Fassaden als eine Abfolge schmaler Stadthäuser aus der heutigen Zeit gesehen werden. Die Gebäude stehen auf massiven Sockelgeschossen, die die Gemeinschaftsfunktionen aufnehmen; das eine die Mensa und ein Cybercafé, das andere einen Raum für kulturelle Veranstaltungen und Verwaltungsräume. Die Wohnungen bilden Ebene für Ebene voneinander unabhängige Einheiten und haben einem Motel ähnlich jeweils einen direkten Zugang von außen. Sie umgeben den jeweils nach Süden offenen Block. Mit der zentralen Freifläche oberhalb des Sockelgeschosses entstand ein halböffentlicher Raum als gemeinsame Terrasse für die Bewohner. Auf der Südseite befinden sich zwei der Gemeinschaftsräume. Beim schmaleren Wohngebäude ist das Sockelgeschoss als Hof offen geblieben. Es liegt in der Hand der Studenten, ob sie die großzügigen Hofflächen tatsächlich als Treffpunkt nutzen.
Holz + Polycarbonat
Beide Materialien, das Holz der Fassaden und die davor liegende transparente Polycarbonat-Haut, die auf vertikalen Latten verankert wurde, spielen zusammen und ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen Texturen. Mit der gut sichtbaren Holzstruktur interpretieren die Architekten nicht nur das Fachwerk neu – vor allem bei den Pultdächern, in denen die Haustechnik untergebracht ist –, sondern finden gleichzeitig eine Lösung, wie das der Witterung ausgesetzte Holz zu schützen. Die Fenster sind als „Kästen“ mit breiten Rahmen vorgesetzt. Man gewinnt den Eindruck, als könne man sie auf der Fassade hin und her schieben.
Bis vor kurzem war in Frankreich Holz als Baumaterial und insbesondere als Tragwerk eher selten und hauptsächlich dem Einfamilienhaus vorbehalten. Beim Studentenwohnheim in Troyes erklärt sich sein Einsatz sowohl durch den Willen des Bauherrn als auch den der Architekten. Von ökologischen Gründen bewegt und um eine gestalterische Beziehung zu den Fachwerkhäusern im Zentrum bemüht der Bauherr, die Architekten unter anderem mit dem Ziel vor Augen, mit dem Holzfertigbau ein neues System zu testen, das fähig ist, die Anzahl der Gewerke zu reduzieren und eine nachlässige Ausführung im Innenausbau zu umgehen
In den Wohnungen kommt Holz bei der Tragstruktur wie auch beim Innenausbau zum Einsatz. Es handelt sich um Kreuzlagen-Massivholzplatten (KLH-Platten) aus Österreich (bis zu 16,2 cm dick). Holzfaserdämmplatten (8 cm) sorgen für die Isolierung. Ausnahmen sind die Fertignasszellen und der elastische Bodenbelag. Die Außenverkleidung der Gebäude besteht aus Birkenholz (Finnforest, 1,8 cm).
Zelle für Zelle montiert
Die einzelnen Bauteile der Wohneinheiten wurden bei der Holzfirma fertiggestellt und auf der Baustelle zusammengesetzt – jede unabhängig von ihrer Nachbarzelle, um die Herstellung zu erleichtern und um nach dem Einbau eine bessere Akustik zu gewährleisten. Die Fertigbauweise verlangte zwar schon in einer frühen Phase eine genau definierte und vorausschauende Detailplanung, ermöglichte aber durch die schnelle Montage (zwei Zellen pro Tag) erhebliche finanzielle Einsparungen während der Bauzeit und vermied die Beauftragung von Ausbaufirmen. Die Möblierung war, wenn auch von den Architekten gewünscht, nicht Bestandteil der Planung; Tisch, Stuhl und Bett wirken wie nachträglich dazugestellt.
Reißnägel reißen Wunden
Die Massivholzplatten der Innenwände und Decken der Wohnungen bleiben sichtbar, ebenso wie die innen liegenden Holzklappen der Fenster, die geschlossen den Raum vollständig abriegeln. Studenten, die sich beim Betreten einer Sauna eines leichten klaustrophobischen Gefühls nicht erwehren können oder eine Abneigung gegen die typischen Ikea-Möbel aus Kiefernholz der achtziger Jahre haben, sollten sich besser nicht für eine Wohnung in dieser Unterkunft bewerben. Die starke Präsenz des Holzes lässt dem Bewohner im Übrigen nur ein­geschränkte Möglichkeiten der persönlichen Einrichtung des Raums – und die gefürchteten Reißnägel in der Holzwand reißen bereits erste Wunden.
Die Holzboxen erzeugen – nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich – ein warmes Raumklima, besonders natürlich im Sommer. Bei schlechten Wetterverhältnissen kann es sein, dass durch den direkten Zugang von außen Kälte in den Raum dringt. Zudem scheinen in den Wintermonaten die Isolierung und die zentrale Heizungsanlage nicht ausreichend zu sein. Obwohl der eher traditionelle und Almhüttencharme versprühende Innenraum im Kontrast zum neuartigen Äußeren und zum innovativen Verfahren der Konstruktion steht, bleibt nach zwei Jahren der Nutzung als Fazit: den Studenten ist das nicht so wichtig. Sie sind mit ihren Wohnungen – vor allem aufgrund der Lage und den günstigen Konditionen – insgesamt zufrieden.



Fakten
Architekten Lipsky + Rollet, Paris
Adresse 15 Quai Comtes de Champagne, 10000 Troyes, Frankreich


aus Bauwelt 33.2011
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