Umnutzung eines Parkdecks
Quartiersplatz, nachgereicht
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
In einer Sechziger-Jahre-Siedlung am Rand von Göttingen hat Fabian Lippert eine Parkgarage renoviert und ihre Oberseite als öffentlichen Raum qualifiziert. Wie die Bewohner darauf reagieren, war für den Bauherrn ungewiss. Sitzkissen sind mitzubringen
Prominenter ließ sich die Parkgarage in Grone-Nord kaum platzieren. Die Siedlung aus den späten sechziger Jahren liegt am westlichen Stadtrand von Göttingen; fährt man über die Kasseler Landstraße stadtauswärts bis zum Siekweg und biegt von diesem in die St.-Heinrich-Straße ab, ist der Auto-Unterstande an der nächsten Ecke gar nicht zu übersehen – und dies, obwohl er rund 1,40 Meter tief in die Erde versenkt ist. Die Parkgarage ist quasi der Empfangsposten der Siedlung. In dieser Rolle gibt sie Auskunft über Wohnideale von einst – und in ihrer neuen Gestalt auch über die der Gegenwart.
Die Idee des unbeschwerten Autoverkehrs und, damit einhergehend, das funktionale und atmosphärische Entflechten der Stadt, scheine hier, in Grone-Nord, ins Repräsentative gesteigert worden zu sein: Die Bewohner dieser Siedlung hängen am Auto, sagt die Garage – und sie hängen von ihm ab. Denn außer Wohnung, Grundschule, Kindergarten und Betrachtungsgrün ist in der näheren Umgebung nicht viel anzutreffen; Besorgungen ebenso wie Freizeitunternehmungen erfordern die individuelle Mobilität der Bewohner. Man sieht sie förmlich vor sich stehen, all die VW Typ3 und NSU Prinz4, die Fiat850 und B-Kadett, welche die Erstbewohner einst hier untergestellt haben mögen. Die drei- bis achtgeschossigen Häuser von Grone-Nord – damals als Siedlung der Neuen Heimat gebaut – dürften zum Zeitpunkt ihres Bezugs im Jahr 1970 eher Menschen mit kleineren Möglichkeiten ein Zuhause geboten haben.
Daran hat sich nicht viel geändert, Grone-Nord gilt nicht gerade als die bestbeleumdete Lage in der niedersächsischen Universitätsstadt. Die Häuser sind in die Jahre gekommen. Zwar wirken sie nicht ungepflegt, doch größere Investitionen wurden in den letzten vierzig Jahren kaum vorgenommen. Für den architekturinteressierten Besucher vermag das atmosphärische Reize zu entfalten – selten nur noch ist das alltäglich-pragmatische Bauen dieser Zeit so unberührt anzutreffen. Doch haben sich die Ansprüche gewandelt. Deshalb sind Erneuerungsmaßnahmen an den Gebäuden wie auch im Außenraum der Siedlung zu erwarten. Mit dem Parkdeck Ecke Fröbelweg wurde ein Anfang gemacht.
Parkdeck wird Plaza
Die Parkgarage befand sich vor Beginn der Sanierung in einem derart kläglichen Zustand, dass zunächst sogar ihr Abriss erwogen wurde, um einen simplen Parkplatz anzulegen. Doch der Bauherr folgte dem Vorschlag seines Architekten, einen anderen Weg zu wählen: Die Garage wurde saniert und auf ihrem Oberdeck für rund eine Million Euro ein kleiner Quartiersplatz angelegt – ein ganz neues, urbanes Element
in dieser Umgebung, deren Freiraum bislang vor allem aus Grünflächen, Stellplätzen und Wendehämmern bestand. „Doch was zunächst als einfache Maßnahme erschien, entpuppte sich dann recht schnell als Herausforderung“, erzählt Fabian Lippert. Der Berliner Architekt ist Partner des Architekturbüros LKA-Berlin und war vor der „gestaltenden Sanierung“ des Parkdecks bereits mit anderen Erneuerungsmaßnahmen in der benachbarten Siedlung Grone-Süd, auf der anderen Seite der Kasseler Landstraße, betraut. Eine Schwierigkeit etwa bereitete der Umstand, dass die mit zehn Zentimeter Dicke nicht gerade üppig dimensionierte Dachplatte der Parkgarage aus Pi-Platten nur geringe Lasten aufnehmen konnte, was die Zahl der Alternativen für den Aufbau des Platzbelags begrenzte. Die Wahl fiel auf eine leichte Bedeckung aus Tartan über der wasserführenden Schicht, darin eingearbeitet ein Buchstabenbild der Berliner Künstlerin Ina Geißler, das, steht man auf dem Platz, an Sportplatzmarkierungen denken lässt, sich beim Blick von oben aus den umstehenden Gebäuden aber schnell als „GRONE“ entziffern lässt.
Ob das Angebot, das Auto vielleicht einmal stehen zu lassen und in Grone-Nord seine freie Zeit zu verbringen, von den Bewohnern angenommen wird? Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Denn der im Herbst eingeweihte, leicht südeuropäisch anmutende Platz – Lippert hat Mitte der neunziger Jahre in Barcelona Architektur studiert – verbindet zwei atmosphärisch ganz verschiedene Räume der Siedlung miteinander, die bislang durch die Parkgarage voneinander geschieden waren: den Verkehrsraum im Nordwesten des Parkdecks und den Erholungsbereich rings um einen kleinen Teich im Südosten. Die Verbindung erfolgt zunächst visuell, indem die massive Brüstung des Oberdecks abgeschnitten wurde, dann aber auch funktional, indem dem Garagenblock auf den beiden Straßenseiten ein aufgrund der beengten Platzverhältnisse recht steiler Treppensockel aus Weißbeton-Fertigteilen, auf den Teichseiten eine Rampenanlage und eine Erdböschung angefügt wurden. Die Anwohner dürften somit keine Mühe haben, den Platz ins Wegenetz der Siedlung zu integrieren.
Von der Straße aus lenken die beiden stählernen Follies, die wie zwei übergroße Tische auf dem Platz stehen, die Aufmerksamkeit auf sich. Exakt über den Stützen im Untergeschoss angeordnet, dient ihre filigrane Konstruktion – der Durchmesser ihrer Hohlprofile beträgt nur 14 Zentimeter – als Aufhängung für die Leuchten, und bei gleißendem Sonnenschein wie bei Regen können sie als Wetterschutz fungieren; vor allem aber bieten sie dem Passanten einen optischen Anreiz, überhaupt erst die Stufen hinauf auf den Platz zu erklimmen. Ist er oben angelangt, markieren sie zwei Orte – einen zum Sitzen und Schwatzen, einen zum Tischtennis spielen. Auf Wunsch des Bauherrn musste die Möblierung möglichst robust in Beton ausgeführt werden, um dem befürchteten Vandalismus möglichst lange standzuhalten. Beim Tischtennis ist eine harte Platte auch kein Nachteil – um sich länger als nur für eine Verschnaufpause niederzulassen, bedarf es aber vielleicht doch eines anderen Materials. Die Anwohner sind selbst gefordert – wer auf der Parkhaus-Plaza sitzen will, sollte vorsichtshalber ein Kissen mitnehmen. Oder besser gleich zwei, als einladende Geste an einen Nachbarn, doch auch herunter zu kommen.
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