Verwaltungs- und Hotelbau
Flechtwerk
Text: Paul, Jochen, München
Die Münchner Hild und K Architekten erhielten nach einem von der Stadt geforderten Fassadenwettbewerb den Auftrag, die fast 300 Meter lange Gebäudefront eines Neubaus zu gestalten. Die eigenwillige Plastizität an der Tegernseer Landstraße lädt zum genaueren Hinschauen ein. Dies war auch der Wunsch des Bauherrn.
Wer in München mit dem Wagen auf dem Mittleren Ring in Richtung Autobahn Salzburg oder Lindau unterwegs ist – Fußgänger sollten die Gegend weiträumig meiden –, kann den „Giesinger“ nicht übersehen: Der lang gestreckte Gebäuderiegel entlang der Tegernseer Landstraße markiert mit seinem 15-geschossigen Büroturm den Abschluss nach Südwesten von einem der flächenmäßig größten Bauprojekte im Land.
Das Gelände des ehemaligen „AGFA-Camerawerkes“ zwischen Spix-, Weißensee-, Untersberg- und Perlacher Straße wurde 2006 städtebaulich neu geordnet, weil die Gebäude aus den dreißiger bis sechziger Jahren zuletzt nicht mehr den Anforderungen der AGFA-Gevaert HealthCare GmbH entsprachen, die ihre Firmenteile in Deutschland seit 1982 hier bündelt: Bis 2013 will die Büschl Unternehmensgruppe ein neues Quartier auf dem zehn Hektar großen Areal errichten, wo sich früher das Werk befand. Neben 38.000 Quadratmetern Büro- und Gewerbeflächen entstehen auch 1200 Wohnungen; das Gesamtinvestitionsvolumen liegt bei über 300 Millionen Euro. Soweit die schieren Dimensionen.
Nur Fassade
Weil der aus dem Architekturbüro Günter Büschl hervorgegangene Bauherr und Projektentwickler das Vorhaben auf dem Gelände nach Paragraph 34 BauGB, also ohne Bebauungsplan, umsetzen wollte, die Landeshauptstadt dagegen dem städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb von 2006 auch einen Architektenwettbewerb folgen lassen wollte, lobte die Park Immobilien GmbH & Co. KG als Investor einen beschränkt offenen Fassadenwettbewerb aus, den die Münchner Hild und K Architekten gewannen.
Bei ihrem Entwurf ging es Andreas Hild und seinem Partner Dionys Ottl darum, an der von Wohn- und Bürobauten aus den fünfziger bis neunziger Jahren gesäumten Stadtautobahnschneise einen Akzent zu setzen, der ihrer Bedeutung als südlichem Eingang der Stadt gerecht wird. Sie gliedern den fast 300 Meter langen Baukörper durch die plastische Durchbildung der Fassade und entwickeln damit gleichzeitig eine bildhaft-markante Idee für den Wettbewerb. Mit Erfolg: Ihr Konzept eines „Flechtwerks“ aus Beton und Metall sicherte ihnen nicht nur den ersten Preis, sondern erwies sich als formal starke und damit einfach zu erklärende Idee – ein nicht zu überschätzender Vorteil in den Baubesprechungen, war doch bereits bei der Grundsteinlegung viel die Rede von „aufgrund der internationalen Finanzkrise notwendigen Einsparungen“. In dieser Situation war es für Hilds Projektleiter Matthias Haber eine neue Erfahrung, als Architekt mit dem Prinzip des Flechtens, das genau festgelegt war, über ein ähnlich unwiderlegbares Argument gegenüber den Begehrlichkeiten der Kostencontroller zu verfügen wie zum Beispiel die Gewerke Elektroinstallation oder Heizung-Lüftung-Sanitär.
Während der zweigeschossige Sockel in gesäuertem und hydrophobiertem Beton – die braune Farbe geht auf Sand und Pigmente als Zuschlagstoffe zurück – ausgeführt wurde, sind die darüber liegenden Geschosse des L-förmigen „liegenden Hochhauses“ mit in unterschiedlichen Weißtönen pulverbeschichteten Aluminiumblechen verkleidet. Um den Flächenverlust der geflochtenen Fassade und der Rücksprünge des Baukörpers auszugleichen, kragen die Aluminiumbleche zur Spix- und zur Tegernseer Landstraße um zwei Achsen (2,40 Meter) vor. Die Logik des Flechtens besteht darin, dass Einzelelemente wie Brüstung, Sonnenschutz, Pfeiler und Tragwerk als „ineinander verwobene Bänder eines Gewebes“ aufgefasst werden. Das so entstandene Flechtwerk legt sich über alle Bauteile, betont damit die Gesamtstruktur des Gebäudes – selbst das Technikgeschoss folgt in reduzierter Form dem Fassadenmuster – und ermöglicht es, auf Bewegungsfugen komplett zu verzichten.
Webfehler
Im Gegensatz zu den gewalzten und gekanteten Aluminiumblechen mussten beim Beton die größeren Sockelelemente und die Brüstungen in zwei Längen gegossen werden. Die unterschiedlichen Radien von der Vorder- und Rückfassade des der Krümmung der Tegernseer Landstraße folgenden Bürogebäudes konnten nicht mehr über die Toleranz der Fugen ausgeglichen werden.
Entstanden ist eine trotz des ein oder anderen schwierigen Anschlusses – wo etwa Hofdurchfahrt, Quergebäude und der Übergang vom Sockelgeschoss zur vorspringenden Metallfassade aufeinander treffen – eine überraschend gut funktionierende Fassadenabfolge. So ließen sich etwa Balkone, Baldachine und Flugdächer problemlos integrieren, und selbst der Versprung in der Geschosshöhe an der Ecke Untersberg-/Tegernseer Landstraße – das Hotel „Motel One“ forderte mehr Zimmer und bekommt auf sechs Regelgeschossen sieben Geschosse unter – lässt sich als Webfehler interpretieren, der bei einem weniger plastischen Fassadenaufbau sicherlich viel unangenehmer auffallen würde.
Die Behauptung der Architekten, dass sich der rhythmische Aufbau des Flechtwerks „gerade aus dem schnell vorbeifahrenden Auto erschließt“, lässt sich im Berufsverkehr nicht überprüfen: Tempo 30 reicht dafür nicht aus.
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