Bauwelt

Von Almdudler bis Vöslauer


Vorarlberg Museum


Text: Aicher, Florian, Leutkirch


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    Adolf Bereuter

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Abgüsse von Plastikflaschenböden zieren den Neubau des Vorarlberg Museums in Bregenz von Cukrowicz Nachbaur. Von der Idee zur Umsetzung führte ein komplexer Weg, über Fibonacci-Teilungen, quasichaotische Ordnungen und die Auswahl der passenden Flaschen. Alles nur Fassade? Keineswegs: Innen überzeugt das Museum mindestens genauso.
Man kennt sie: die Landes-, Stadt- und Heimatmuseen, in denen alles gezeigt wird, was in der Gegend irgendwie mal vorkam. Präparate im Dämmerlicht und unter Staub – in Räumen, die Worte wie Museumspädagogik oder Ausstellungs­design nie vernommen haben. Dass eine Region, die in den letzten Jahrzehnten vor allem dank Architektur, Design und Kunst zum Innovationsmotor des Landes wurde, sich so nicht mehr ins Licht setzen wollte, versteht sich von selbst. Seit Ende Juni erstrahlt das „Vorarlberger Landesmuseum“ neu, als „vorarlberg museum“.
Das alte Museum platzte aus allen Nähten; vor gut 100 Jahren hatte man es an die Rückseite der „Bezirkshauptmannschaft“ (ein Verwaltungsbau der Landespolitik) angebaut. Der Entschluss, das Haus der Bezirkshauptmannschaft für das Museum frei zu machen, eröffnete Perspektiven für das schon lange Notwendige. Den 2007 veranstalteten Wettbewerb entschieden die Bregenzer Architekten Cukrovicz Nachbaur für sich. Der Museumsaltbau, nach lieblosen Modernisierungen der 60er Jahre seines Charmes beraubt, wurde zum Abbruch freigegeben, desgleichen, was am Verwaltungspalast über Jahrzehnte geflickt worden war. Drei Bauaufgaben mussten die Architekten also bewältigen: die Sanierung des historistischen Verwaltungsgebäudes, die Erneuerung seiner nicht unerheblichen Aufbauten und einen Neubau – und alle drei mussten sich schlüssig zu Einem verbinden.
Das neue Ganze integriert eine städtebauliche Paradoxie. Das Gebiet nördlich des Museums ist ehemaliges, vor der Stadt gelegenes Hafengelände; mit dem Bau der Eisenbahntrasse am Bodenseeufer wandelte es sich zu einer Seepromenade mit Verwaltung und Hotels, auf deren Rückseite der historische Kornmarkt „verblieb“. Von dort aus aber sind die ersten Kultur-
bauten – Museum und Theater – erschlossen, desgleichen das Kunstmuseum, 1997 nach Plänen von Peter Zumthor erbaut. Auch der Besuchereingang zum neuen Vorarlberg Museum befindet sich am neu gestalteten Kornmarkt. So hat Bregenz nun eine Seepromenade mit einer Perlenkette von Prachtbauten ohne öffentliche Eingänge von dort – und eine „Rückseite“ mit einem hellen, licht begrünten Stadtraum.
Logisch, dass diese „Rückseite“ und nicht die Promenade nun die Schauseite des neuen Museums ist. Indem die Architekten den Altbau, ein „U“ mit abgewinkelten Schenkeln, mit einem streng orthogonalen Quader geschlossen haben, ist ein Lichthof als Zentrum des neuen Museums entstanden. Und da der Neubau an der Südwest-Ecke anders als der Vorgänger nicht der Flucht des ehemaligen Verwaltungsbaus folgt, öffnet sich der Kornmarkt nun ein wenig zum Ufer. Diesen Bezug zum See unterstreicht das Museumsfoyer, das mit Shop und Café den Platz ergänzt und ihn gleichsam ums Eck führt.
Über dieser Erdgeschosszone erhebt sich ein nur durch wenige übergroße Fenster aufgelockertes, homogenes Volumen. Die Haut dieses Objekts ist, konservatorischen Belangen folgend, nahezu geschlossen – aber raffiniert bearbeitet. Was das allein städtebaulich bewirkt, versetzt in Staunen. Tausende eigenartiger Blüten in geheimnisvollem Muster treibt die Betonwand, das Relief gibt Rätsel auf, changiert im Wechsel des Lichts, verleiht dem harten Bau etwas Zartes und verknüpft sich dezent mit dem Bauschmuck der Umgebung, ohne tektonische oder materielle Bezüge herzustellen.
Die Fassade ist ein Gemeinschaftswerk der Architekten, des Künstlers Manfred Alois Mayr und des Architekten und Mathematikers Urs Beat Roth. Assoziationen zu Gefäßen und römischen Scherben, wie sie in der Sammlung des Museums zu finden sind, einerseits, Strick- und Textildruckmuster (zeitweise die Hauptindustrie Vorarlbergs) andererseits wiesen den Weg. Das Ergebnis ist eine quasichaotische Struktur aus Betongüssen von Pet-Flaschenböden. Das Auge glaubt, durchgängige Muster zu finden, und muss sich doch eines Besseren belehren lassen: Immer wieder anders, kein Rapport – und dennoch ganz ebenmäßig verteilt. Dass 13 Flaschenböden und pro Geschoss drei verschiedene Schalungsmatritzen für die 16.656 Abgüsse in der Ortbetonwand ausreichen, ist wirklich eine Kunst.
Diese Mischung aus Handgreiflichem, Witz und ernstem Spiel ist es, die sich als Qualitätsmerkmal auch durchs Innere zieht. Die sägerauhe Eiche der Böden, Bitumenterrazzo mit Steineinschlüssen der Gegend, großflächig Lehm als Dreilagenputz an Wand und Decke, massive Räuchereiche beim eingebauten Mobiliar und gewachste Messingflächen, wo der Bau angefasst wird – wohlüberlegt und sparsam eingesetzt: Stoff, der durch die Hand gegangen ist. Vom Licht ins Licht führt der Weg den Besucher, vom Platz durchs Foyer zum Lichthof und hinauf zu den drei Ausstellungsrundgängen, beginnend mit ei-nem Schaudepot, gefolgt von zwei Ausstellungsgeschossen.
Unterschiedliche Geschosshöhen von Alt- und Neubau versagten ungehinderte Rundgänge im Erd- und ersten Obergeschoss; hier sind Verwaltung und Museumspädagogik zuhause. In den Ausstellungsräumen verknüpfen wenige, doch exakt platzierte Fenster das Haus mit der Stadt. Den Vogel schießt freilich ein vom Wiener Künstler Florian Pumhösel gestalteter Raum ab, der nur Ausblick ist. Über dem Risalit des ehemaligen Regierungsbaus, den einst eine Kuppel abschloss, öffnet ein schwarzer, an den Balg einer Plattenkamera erinnernder Raum die Sicht auf den Horizont, zwei Ebenen über dem historischen Sockel: Panorama auf das Schwäbische Meer. Über allen Wipfeln. Kein Laut. Für ein Haus, das die Beziehungen im Land zum Thema hat, ein Höhepunkt.
Das Vorarlberg Museum ist, wenn man so will, eine Komposition dreier Bauten mit drei Haltungen – architektonische Textur (Altbau), darauf rationalistische Glätte (Aufstockung des Altbaus), daneben abstraktes Beziehungsspiel (Neubau), zusammengebunden durch gebrochenes Weiß, das je nach Licht und Oberfläche changiert – was allerdings hinter der sinnlichen Qualität des Inneren zurücksteht. Ein neuer Glanzpunkt für das an bemerkenswerter Architektur nicht armen „Ländle“, fast möchte man sagen: Wie man es hier erwartet – Sorgfalt, Können. Was den Bauherrn dazu bewogen hat, Ausstellungsarchitektur darin auszugießen, will man dann nicht mehr wissen.



Fakten
Architekten Cukrowicz Nachbaur, Bregenz
Adresse Kornmarktplatz 1 6900 Bregenz, Österreich ‎


aus Bauwelt 28.2013
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