Was heißt: affordable?
Affordable Housing in New York
Text: Schindler, Susanne, Princeton
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Quelle: NYC Department of Housing Preservation and Development
Quelle: NYC Department of Housing Preservation and Development
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Luftbild: NYC Department of Housing Preservation and Development
Luftbild: NYC Department of Housing Preservation and Development
Knapp ein Viertel der New Yorker Haushalte bezahlt heute mehr als die Hälfte des Einkommens für das Wohnen. Affordable Housing, einkommensgebundener Wohnraum, heißt das Instrument, mit dem in den vergangenen 20 Jahren ganze Stadtteile reanimiert wurden. Welche Rolle spielt es für die Zukunft der Stadt? Die wichtigsten Begriffe, Akteure, Ziele und Ergebnisse.
Richard Plunz’ Standardwerk The History of Housing in New York City (1990) illustriert die gesellschaftlichen Veränderungen der Stadt fast ausschließlich mit Grundrissen. In seinem Nachwort verweist der Autor auf die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm, auf den Boom von Luxus-Wohntürmen in Manhattan (Donald Trump) und auf den Bevölkerungsschwund und die Armut in den Außenbezirken (South Bronx), wo an Stelle niedergebrannter, sechsgeschossiger Mietshäuser suburbane Reihenhäuser errichtet werden – nur damit dort überhaupt etwas geschieht. Für die Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus sei die politisch konservative Kehrtwende verantwortlich, mit der die Finanzierung und Trägerschaft an nichtstaatliche Akteure abgegeben wurde. „Ein neues Amalgam aus öffentlicher und privater Produktion muss sich in einem bedeutenden Maßstab erst noch materialisieren.“
Heute spricht man von ultra-luxury, wenn es um das Marktsegment der obersten fünf Prozent, die Wohnungspreise jenseits von 7 Millionen Dollar geht. Die stadträumliche Veränderung lässt sich kaum besser schildern als am Beispiel der Umwandlung eines bislang von der Heilsarmee betriebenen Wohnheims für junge Frauen in bester Lage Manhattans (18 Gramercy Park South). Zuletzt war hier ein Einzelzimmer mit Badbenutzung, Frühstück und Abendessen ab 700 Dollar pro Monat zu haben. 2008 wurde die Immobilie für 60 Millionen Dollar verkauft, und anstelle der 300 Einzelzimmer entstehen nun 17 Wohnungen auf jeweils einem Geschoss, geplant von Robert A. M. Stern für den Projektentwickler W. L. Zeckendorf.
Anderswo hat sich die Lage seit 1990 jedoch grundlegend verändert. In der South Bronx läuft man heute an zehngeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern entlang. In Harlem sind die klassischen brownstones, viergeschossige Reihenhäuser aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, aber auch die Mietshäuser saniert, dazwischen stehen exklusive Neubauten. Ob man es Revitalisierung oder Gentrifizierung nennen will: Mitte der 90er Jahre war es dort noch unmöglich, in einem Supermarkt einzukaufen oder in einer Bankfiliale Geld abzuheben. Dieser Aufschwung basiert auf dem wirtschaftlichen Wachstum und wird, ebenso wie die Eindämmung der Kriminalität, Bürgermeister Rudolph Giuliani (1994–2001) zugeschrieben. Andere Analysen, etwa des Furman Center for Urban Real Estate and Policy an der New York University, zeigen hingegen, dass die Stabilisierung und das Wirtschaftswachstum der Stadt auch wesentlich mit dem von der Stadtverwaltung initiierten und mitfinanzierten Wohnungsbau für Haushalte mit geringem oder mittleren Einkommen zusammenhängt.
Diese aktive Rolle der Stadt begann Mitte der 80er Jahre unter Bürgermeister Edward Koch (1978–89), als die Stadtverwaltung mit einem enormen Bestand an Immobilien umgehen musste, die ihr wegen der Nichtbezahlung von Steuern zugefallen waren. Allein Central Harlem war zu 60 Prozent in städtischem Besitz. Koch lancierte einen Zehn-Jahres-Plan im Umfang von 6 Milliarden Dollar zur Sanierung dieses Bestands mit dem Ziel, ihn entweder an Bewohner oder an Projektentwickler zu veräußern. Seine Strategie zeigte Erfolg und wurde von seinen Nachfolgern im Wesentlichen fortgesetzt. Michael Bloomberg, seit 2002 im Amt, stellte mit seinem „New Housing Marketplace Plan“ 8,4 Milliarden Dollar für Erhalt und Schaffung von 165.000 affordable housing-Einheiten bereit. Das Ziel ist heute zu zwei Drittel erreicht.
Dabei kommt das eingangs von Plunz angedeutete, sich aber noch nicht klar abzeichnende „Amalgam“ aus drei Parteien zum Tragen: gemeinnützige Nachbarschaftsorganisationen, von denen viele in den Krisenzeiten der 70er Jahre entstanden sind und die lokalpolitische Einbindung absichern (non-profit community development corporations); gewinnorientierte Projektentwickler, die eine professionelle Abwicklung garantieren (for-profit developers); und die städtische Verwaltung. Bezeichnenderweise spricht man heute nicht mehr, wie noch vor zwanzig Jahren, von social housing, sondern von affordable housing. Der Begriff bedeutet wörtlich „bezahlbarer Wohnraum“. Laut bundesgesetzlicher Definition gilt, dass ein Haushalt nicht mehr als ein Drittel des Bruttoeinkommens für Wohnkosten ausgeben soll. Seit den 90er Jahren bezeichnet der Begriff in der Praxis jedoch staatlich subventionierten Wohnungsbau, der bestimmten Einkommensgruppen zu einem regulierten Miet- oder Kaufpreis vorbehalten ist. Ausschlaggebendes Kriterium ist der Area Median Income (AMI), auch Family Median Income (MFI) genannt, das mittlere Jahreseinkommen innerhalb einer geografisch definierten Gegend, das von der Bundesbehörde Housing and Urban Development (HUD) jährlich neu berechnet wird. 2011 lag das AMI der Stadt New York für eine vierköpfige Familie bei 80.200 Dollar. Wenn also eine Drei-Zimmer-Wohnung für Haushalte mit bis zu 50 Prozent AMI vorbehalten ist, können sich dafür nur Familien mit einem Jahreseinkommen von maximal 40.500 Dollar bewerben. Der Miet- oder Kaufpreis ist entsprechend festgelegt und gilt auch für nachfolgende Mieter oder Käufer.
Federführend bei Bau und Verwaltung von affordable housing ist in New York das Department of Housing Development and Preservation (HPD), das Auschreibungen für stadteigene Grundstücke vornimmt, meist für eine Mischung aus affordable und market-rate Wohnungen. Die Grundstücke werden zu einem symbolischen Preis vergeben, und die Stadt sichert die Finanzierung, indem sie Anleihen (bonds) ausgibt und günstige Hypotheken ermöglicht. Die übrige Finanzierung erfolgt über föderale Steueranreize für private Investments in affordable housing (Low Income Housing Tax Credits) und durch Banken. Parallel dazu sind Mechanismen entstanden, die über den freien Markt affordable housing schaffen sollen, etwa durch die Gewährung eines Flächenbonus oder über langfristige Steuererlässe.
Trotz aller „small government“-Rhetorik in den USA gibt es weiterhin einen öffentlich verwalteten Wohnungsbau, public housing genannt. Dieser ist Haushalten mit maximal 60 Prozent AMI vorbehalten, wird aus dem US-Bundeshaushalt finanziert und von städtischen Behörden verwaltet. Während die Budgets auf nationaler Ebene immer weiter gesenkt werden, verwaltet die New York City Housing Authority (NYCHA) nach wie vor 334 Anlagen mit insgesamt 400.000 Bewohnern. Daneben gibt es das Section 8 Voucher-Programm, eine Art Wohngeld, das die Miete im privaten Markt subventioniert, wovon rund 235.000 New Yorker profitieren. Das Angebot deckt kaum die Nachfrage, die Wartezeit für beide Programme beträgt rund acht Jahre.
Unverrückbare Typologie in neuer Dimension
Der Maßstab der affordable housing-Projekte, die in New York, oft ganze Stadtblocks umfassend gebaut werden, ist beeindruckend. Es entstehen sogar neue Stadtteile: Auf 12 Hektar am Ufer des East River in Queens wächst derzeit Hunter’s Point South: 5000 Wohneinheiten, die Haushalten zwischen 60 und 130 Prozent AMI vorbehalten sein werden. Bemerkenswert ist, dass sich die Stadtverwaltung einer Tradition der lange Zeit verpönten Stadtrand-Großsiedlungen der 70er Jahre besinnt: „das größte affordable housing-Projekt seit Co-op City“, heißt es in der Pressemitteilung.
Der Wohnungsbau, egal ob affordable oder market-rate, folgt allerdings typologisch und programmatisch einer Formel: dem double-loaded corridor, der zweihüftigen Erschließung, in einem knapp 20 Meter tiefen Riegel mit Wohnungen von null bis maximal drei Schlafzimmern. Die Konstruktionsweise ist bei einer Höhe von bis zu zwölf Geschossen block-and-plank, das heißt: tragende gemauerte Außenwände und eine tragende Innenwand mit vorgespannten Betondeckenteilen. Die Variation der Wohneinheiten ist entsprechend begrenzt. Je nach Einkommensgruppe gibt es ein oder zwei Bäder, große oder kleine Fenster, Granit- oder Laminat. Das vorgeschnürte Paket kann mit Penthouse-Maisonettes gekrönt oder durch eine Tiefgarage ergänzt werden – der double-loaded corridor wird nicht in Frage gestellt. Sogar die politisch wichtigsten Vorzeigeprojekte wie Hunter’s Point South legen diese Typologie durch ihren Masterplan fest, woran auch vielversprechende und im Bereich des affordable housing erst seit Kurzem tätige Architekturbüros wie SHoP nichts ändern können. Der architektonische Spielraum bleibt auf das Äußere beschränkt.
Die Erklärung für diese banale Grundrisslösung lautet, sie sei auf Grundlage des net-to-gross ratio, des Verhältnisses von vermietbarer zu nicht vermietbarer Fläche, die einzig wirtschaftliche Variante. Als Grund für den Mangel an großen Wohnungen wird angeführt, dass die Subvention nach Wohneinheiten, nicht nach Wohnungsgröße erfolge. Sogar in Melrose Commons in der South Bronx, wo die Neubauten zusammen mit der Nachbarschaftsorganisation „Nos Quedamos“ („Wir bleiben“) entwickelt werden und wo wegen der dort großen Familien Bedarf an großen Wohnungen besteht, heißt es: Nicht finanzierbar! Stattdessen werden dort Eigentumsreihenhäuser mit Einliegerwohnungen gebaut, so dass hier entweder eine erweiterte Familie Platz findet oder die Hypothek des Eigentümers durch Mieteinnahmen gesichert ist.
Die mangelnde programmatische oder typologische Vielfalt hat auch damit zu tun, dass bei der Projektvergabe durch die HPD oder bei der Bewerbung um tax credits die Erfahrung eines Planungsteams und das Finanzierungsmodell (je weniger Subventionen, desto besser) ausschlaggebend sind. Der Entwurf wird, mit wenigen Ausnahmen, nur hinsichtlich der Raumgrößen und -standards geprüft. Wettbewerbsverfahren einzuführen, um die Routine aufzubrechen oder um Nachwuchstalente ins Feld zu führen, wird als nicht praktikabel abgeschmettert; besondere Verfahren, wie für das Modellprojekt Via Verde (Seite 22), scheinen trotz erkennbarer Verbesserungen – Wohnungen, die quer zu lüften sind! – nicht reproduzierbar zu sein.
Ein grundsätzliches Politikum um affordable housing ist, dass die Baukosten oft höher sind als im freifinanzierten Wohnungsbau. Das liegt unter anderem daran, dass die beauftragten Baufirmen einen living wage bezahlen müssen, der meist doppelt so hoch ist wie der gesetzliche Mindestlohn. Frei finanzierte Entwickler können hingegen mit den billigsten Anbietern arbeiten. Außerdem bedarf affordable housing meist verschiedener Finanzierungsquellen, die sich teilweise gegenseitig bedingen, was den administrativen Aufwand erhöht. Hinzu kommen fragwürdige Mindeststandards: Warum muss jede Wohnung mindestens 40 Quadratmeter groß sein und über eine Küche verfügen?
Langfristige Bezahlbarkeit, bessere Architektur
Bessere Architektur entsteht nicht zuletzt durch die Trägerschaft. Ist der Bauherr eine gemeinnützige Organisation, die das Gebäude langfristig nutzen wird, sind die Chancen gut, dass innerhalb der Sachzwänge ungewöhnliche Lösungen geschaffen werden. Die sechs Bauten für betreutes Wohnen von Jonathan Kirschenfeld sind ein Beispiel dafür (Seite 18). Agiert der Bauherr gewinnorientiert und beinhaltet das Projekt keinerlei frei finanzierte Wohnungen, stehen die Chancen weniger gut. Was New York und in der Erweiterung die USA brauchen, ist eine Diskussion über andere als die etablierten Wege, Wohnungen langfristig bezahlbar zu halten, etwa über gemeinnützig verwaltetes Bodeneigentum (community land banks) oder gewinnbegrenzte Genossenschaften (limited-equity cooperatives). Da die Beteiligten an der langfristigen Qualität und Bezahlbarkeit des Baus Interesse haben, hätte dies unmittelbare Auswirkungen auf die Architektur. Diese Eigentumsmodelle existieren, werden aber in einem Land, das nach wie vor Wohneigentum als wichtigstes Element der individuellen Vermögensbildung betrachtet, kaum gefördert. Der finanzielle Vorteil privater Investoren scheint wichtiger zu sein als die Kosten, die dem Staat durch die Subventionierung entstehen: So läuft zum Beispiel die Preisbindung der Wohnungen, die über die förderalen tax credits finanziert werden, oft schon nach 15 Jahren aus.
Um für niedrige und mittlere – aber wie New York zeigt, auch darüber liegende – Einkommen bezahlbaren Wohnraum zu sichern, braucht es die Einsicht und den politischen Willen, dass dieser Wohnraum nur durch Subventionen zu produzieren ist. Um dies politisch durchzusetzen hilft es, daran zu erinnern, dass auch das ultra-luxury-Segment subventioniert wird, etwa über die Steuergesetzgebung oder die kommunale Infrastruktur. Das New Yorker Center for Urban Pedagogy bringt es auf den Punkt: „Almost all affordable housing is subsidized, but not all subsidized housing is affordable.“
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