Wohnbebauung und Kindertagesstätte in München
Garagen, Wäschespinnen und viele Bäume prägten früher den Blockinnenhof im Münchner Stadtteil Haidhausen. Heute gibt es immer noch viele Bäume, zwei Wohnhäuser und eine Kindertagesstätte – eine überzeugende Nachverdichtung von Palais Mai Architekten
Text: Matzig, Katharina, München
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Die Architekten wählten für die Fassade der mäandernden Neubauten Egernsunder Ziegel mit Kalkbrand
Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
Die Architekten wählten für die Fassade der mäandernden Neubauten Egernsunder Ziegel mit Kalkbrand
Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
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Ein Großteil des Baumbestands konnte erhalten werden, sodass die neuen Wohnbauten und die Kita mitten im Grünen stehen
Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
Ein Großteil des Baumbestands konnte erhalten werden, sodass die neuen Wohnbauten und die Kita mitten im Grünen stehen
Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
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Gleicher Innenhof, anderer Eigentümer: Im Süden des Hofs wurde eine Kindertagesstätte an eine Brandwand gebaut
Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
Gleicher Innenhof, anderer Eigentümer: Im Süden des Hofs wurde eine Kindertagesstätte an eine Brandwand gebaut
Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
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Im Dachgeschoss werden durch Rücksprünge Terrassen ausgebildet.
Foto: Michael Heinrich
Im Dachgeschoss werden durch Rücksprünge Terrassen ausgebildet.
Foto: Michael Heinrich
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Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
Foto: Jüttner & Schels, Pk-Odessa
Das Rendering an der Hauswand ist verblasst: Gelb ist der Rasen, gelb die stattlichen Baumkronen, die Bauten im Innenhof, gelb auch die Kirche, deren Turm im Hintergrund in den gelben Himmel ragt. Im Text darunter werden die „sehr geehrten Mieterinnen und Mieter“ darü-ber informiert, dass die ersten Arbeiten im Innenhof zwischen Versailler Straße und Braystraße voraussichtlich am Montag, 11. November 2013, beginnen werden. Nicht einmal drei Jahre spä-ter sind die Bilder im Schaukasten veraltet. Der Rasen ist längst wieder ebenso grün wie die Bäume, die Gebäude im Innenhof schimmern beige und St.Gabriel streckt sich im roten Ziegelgewand dem weißblauen Himmel entgegen.
Auch die Website des Münchner Immobilienanbieters, der die „Wohnoase nahe des Prinzregentenplatzes“ anpreist, ist längst überholt. „Vermietet“ steht auf dem roten Balken, der quer über fast allen Grundrissen liegt. Das überrascht nicht: Die Wohnungsnot in München ist groß und auch jenseits der Wohnoase lässt sich beinahe jedes Mauseloch vermieten. Auf den Marketing-Jargon hätte der Makler daher verzichten können: „Haidhausen ist seit Jahren eines der begehrtesten Wohnquartiere in München. Die Nähe zur Innenstadt, zu vielen Restaurants und Bars sowie die hervorragende Infrastruktur mit vielfältigem Kulturangebot sprechen für die beliebte Lage. Die Neubau-Wohnanlage liegt ruhig, in einem begrünten Innenhof, erreichbar über zwei kleine Anliegerstraßen. Hier entstehen die 66 hochwertig ausgestatteten Mietwohnungen. Geschäfte des täglichen Bedarfs sowie Ärzte, Kindergärten und Schulen sind in nächs-ter Umgebung vorhanden.“
Ohne hin lassen die drei Bauten, zwei Wohngebäude und eine Kita, die im Innenhof entstanden sind, im fertigen Zustand jedes Rendering blass aussehen und übertreffen jede verbale Versprechung. Es grenzt an ein Wunder, dass es in München gelingen konnte, die seit Jahren diskutierte, aber so gut wie nie umgesetzte Forderung nach Nachverdichtung zu erfüllen und Wohnungen zu bauen, die – wie sonst in dieser Stadt üblich – weder erschreckend banal noch absurd hochpreisig sind.
Garant für das Gelingen der Hofbebauung am östlichen Rand der Münchner Innenstadt war, wie bei jedem überzeugenden Bau, das Vertrauen zwischen Bauherr und Architekt. In diesem Fall kam noch Mut hinzu. Denn eine wirkliche Expertise im Mietwohnungsbau hatte das Münchner Büro Palais Mai, das den „Nichtoffenen Planungswettbewerb im kooperativen Verfahren“ 2012 gewann und nach einer Überarbeitung auch tatsächlich mit der Realisierung von 66 Mietwohnungen und einer Kindertagesstätte beauftragt wurde, nicht. Bekannt wurden Ina-Maria Schmidbauer, Patrick von Ridder und Peter Scheller 2005 mit zwei leuchtend-luftigen Pavillons für die Franz-Marc-Retrospektive im Münchner Lenbachhaus, die 2008 für eine Kandinsky-Ausstellung wieder aufgebaut wurden. 2010 realisierten sie ein preisgekröntes Pfadfinderhaus im Münchner Umland, 2011 wurde sie mit dem „Förderpreis der Landeshauptstadt München“ ausgezeichnet. Auch wenn der Preis nicht an eine Altersvorgabe gebunden ist, so zeichnet er Architekten aus, deren Leistung das Versprechen auf die Zukunft ist.
Der Bayerischen Landesbrandversicherung als Bauherrin reichte das. Und das Ergebnis gibt ihr recht: Die Forderung im Wettbewerb, „für die anspruchsvolle Bauaufgabe, eine städtebaulich, gestalterisch, funktional, ökologisch und wirtschaftlich optimale Lösung zu finden und das politische Ziel ‚Mietwohnungsbau für München‘ zu unterstützen“, manifestiert der neue Innenhof überzeugend. Die polygonalen Bauten, die sich zwischen die alten Bäume – die meisten konnten erhalten werden – in den vormals von Garagenbauten und Wäschespinnen zugemüllten Hof legen, wurden Ende letzten Jahres fertiggestellt. An der Ost-, Süd- und Westseite werden sie von einer geschlossenen Blockrandbebauung aus den dreißiger Jahren begrenzt, im Norden blickt man aus dem noch immer großzügig und grün wirkenden Hof auf die 1926 von Otho Orlando Kurz und Eduard Herbert erbaute katholische Pfarrkirche St.Gabriel, die mit roten Ziegeln verblendet ist.
Den drei Partnern von Palais Mai, die in München zu Architekten ausgebildet wurden, war schon im Wettbewerbsentwurf klar, dass ihr Eingriff vermitteln muss und soll. Die Materialität der Kirche legte die Entscheidung für zweischaliges Mauerwerk nahe. Rot ist es allerdings nicht, roter Ziegel ist in München selten und in der Regel öffentlichen Bauten vorbehalten. Der von den Architekten ausgesuchte Egernsunder Ziegel wurden stattdessen vor dem Brand gekalkt und auf diese Weise den hell verputzten Fassaden der Straßenbebauung angepasst, deren Farbigkeit zwischen beige, lichtgelb und zartgrün changiert. Die Handwerklichkeit, die der Kirchenbau ausstrahlt, übersetzten die Architekten in eine Vermauerung im Wilden Verband. Nachverfugt wurde nicht. „Das kostete richtig Überredungs- und Überzeugungsarbeit gegenüber den Maurern“, grinst Peter Scheller. „Aber: Hinterhof ist Hinterhof, und das soll man auch sehen!“ Die Fensterbänke wurden aus Aluminium gefertigt, die Balkone kragen als Sichtbetonscheiben in den Hof.
Tatsächlich lohnt das genaue Hinsehen: Zurückhaltend nehmen die horizontalen Gliederungen in der gemauerten Fassade die Schmuckprofilierung der Kirche auf. Die in unterschiedlichen Grautönen eingesetzten Kunststofffenster – in den Wohnungen sind die Rahmen neutral weiß – sorgen für eine unaufdringliche Differenzierung der drei Bauten. Fünfgeschossig ragen die beiden Wohngebäude über polygonalen Grundrissen in die Höhe, Rücksprünge im Dachgeschoss sorgen für Struktur und bilden Dachterrassen aus. Mit Angst vor dem rechten Winkel hat das allerdings ebenso wenig zu tun wie mit modischer Attitüde. Polygone im Ziegelmaß – man muss sich schon sehr sicher sein, dass die Formen richtig sind, wissen die Architekten. Die Geometrie entstand von Beginn des Entwurfs an im Zweihundertstel. Im Modell wurde so lange geknickt und herumgeschoben, bis gut proportionierte Freiräume auf dem Grundstück entstanden, bis die Blickbeziehungen und Wege passten und ein Wohnen ohne Rückseite entworfen waren, mit 42 Wohnungstypen bei nur 66 Wohnungen. „Ein bisschen blöd“, so Scheller, „ist nur ein einziges Zimmer; die Dreiecksform ist wohl am besten als Schrank zu nutzen.“
Auch im Inneren der Häuser setzt sich die robuste und somit für den Vermieter nachhaltige Bauweise fort: In den Treppenhäuser wurde zweifarbiges Ziegelpflaster auf dem Boden verlegt, in den Wohnungen massives Fischgrätparkett aus Eiche, eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung sorgt für gute energetische Werte und beugt Schimmelbildung vor.
Im Süden des Blocks, an der Versailler Straße, steht der einzige Teil der Bebauung, der der Versicherungskammer nicht gehört. An seiner Brandwand ist eine winkelförmige viergeschossige Kindertagesstätte entstanden. Zwar waren auch dort eigentlich Wohnungen geplant, aber für eine Kita gab es nicht weniger Bedarf. Inzwischen ist jeder Platz in dem luftigen, im Inneren gelb und grün leuchtenden Haus vergeben.
Ganz abgeschlossen sind die Baumaßnahmen allerdings doch noch nicht. Palais Mai be-kam einen Folgeauftrag: Aufzüge werden künftig die schlichten Hoffassaden des Bestands gliedern und für die bequeme Erschließung der Blockrandaufstockung sorgen, die gerade geplant wird. Gekündigt hat auf Grund der Veränderungen noch kein Mieter. Warum auch: Schon das Wettbewerbsgebiet der ursprünglichen Verdichtung war Teil einer großflächigen Stadterweiterung der zwanziger und dreißiger Jahre, die Theodor Fischers Staffelbauordnung entsprach. Wie gut, dass die Stadt Bauherren und Architekten hat, die auch heute gestaffelte Stadtlandschaften planen können und für eine zeitgemäße Erweiterung sorgen, im Inneren und auf dem Dach.
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