Wohnblock
Rue de Sèvres No. 42
Text: Bourcier, Jean-Pierre, Paris
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Abbildung: Valode & Piste
Abbildung: Valode & Piste
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Ein altes, leer stehendes Krankenhaus an der Rue de Sèvres, benannt nach René Théophile Hyacinthe Laënnec, dem Erfinder des Stethoskops, gelangte in die Hände von Investoren. Das Areal wird dicht an dicht mit Wohnblocks mit horrenden Quadratmeterpreisen ergänzt. Die Kapelle soll auch vermarktet werden. Nun regt sich heftiger Widerstand.
Es war einmal eine schöne und nicht ganz unbedeutende Geschichte, die zu Beginn dieses Jahrhunderts für Aufruhr sorgte. Doch am Anfang eine Quizfrage: Welches Gebäude, das mit Persönlichkeiten aus der Geschichte Frankreichs in Verbindung gebracht wird, wechselte in einem der vornehmsten und reichsten Viertel von Paris für einen Quadratmeterpreis von weniger als 400 Euro den Besitzer?
Zu schwierig? Ein Hinweis: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis für Immobilientransaktionen in der Pariser Innenstadt lag in jenen Jahren bei 7000 Euro. Erstaunlich? Sie sagen es. „Je donne ma langue au chat“, meinen die Franzosen in einem solchen Fall, will sagen: „Ich passe.“
Die Antwort verschlägt vielen Parisern denn auch buchstäblich die Sprache: Jene 400 Euro betreffen den Verkauf einer Kapelle aus dem 17. Jahrhundert auf dem Areal des ehemaligen Hospizes, einer Gründung von Kardinal de La Rochefoucauld (1548–1645) an der Rue de Sèvres zwischen den Metrostationen Vaneau und Babylone im 7. Arrondissement. 1878 benannte man das Krankenhaus in „Hôpital Laënnec“ um, im Jahr 2000 schließlich wurden alle Funktionen in das neue Europa-Klinikum Georges Pompidou im 15. Arrondissement verlegt. Der Sakralbau im Herzen des Krankenhauses ging dann für 300.000 Euro an den Finanz- und Versicherungsdienstleister Allianz. Das sorgte für Gerede. Die seit der Schließung der Klinik erheblich heruntergekommene Kapelle steht zwischen Gebäuden in mitleiderregendem Zustand. Auf diesem mehr als vier Hektar großen Areal, Grünflächen eingerechnet, planen die Entwickler und Investoren Altarea Cogedim und die Allianz Gruppe das schicke Stadtquartier „Paris 7 Rive Gauche“. Hier, im 7. Arrondissement, bietet sich eine solche Gelegenheit „nur einmal in hundert Jahren“, preisen die Investoren ihr Projekt. Das kann man nur unterschreiben. Die Immobilienpreise für gewisse Luxusappartements liegen inzwischen jenseits von 20.000 Euro pro Quadratmeter.
Vor kurzem begannen erste Abrissarbeiten auf dem Gelände. Bis 2013 soll alles fertig sein. Die Rede ist von einem neuen Stadtpark in unmittelbarer Nähe des bisherigen Jardin Catherine-Labouré, ebenso von Sozialwohnungen, Studentenappartements, einem Altenwohnheim mit 42 Betten und von neuen Sichtfenstern auf das Innere des Areals in der Umfassungsmauer zur Rue de Sèvres. Die Rede ist aber auch von zwölf mit bester Technik und viel Service ausgestatten Gebäuden mit Eigentumswohnungen nach Entwürfen des Büros Valode & Pistre. Von 4500 Quadratmeter Gewerbeflächen. Von 17.200 Quadratmeter Büros in der historischen Bausubstanz – insbesondere in jenen berühmten Bauten, die in zwei Kreuzen und mit acht Höfen den Rahmen bilden für die Kapelle.
In diesen ersten Frühlingstagen lag die Zukunft der Kapelle noch ganz bei der Eigentümerin Allianz: Auf dem Areal soll ein sogenannter „polyvalenter Saal“ für Events der neuen Eigentümer entstehen. Diese Pläne sorgten für Empörung im Quartier und bei Denkmalschützern, insbesondere aus dem kirchlichen Umfeld.
Rasch fanden sich Protestgruppen zusammen. Man sieht hier einen Angriff auf die unanfechtbare Bestimmung des unter Denkmalschutz gestellten Gebäudes, und man will dessen religiösen Status erhalten. Besonders entschieden melden sich Béatrice de Andia, Gründungspräsidentin des „Observatoire du Patrimoine Religieux“ (OPR), und der ihr zur Seite stehende Vorsitzende Alain de la Bretesche vom Verband „Patrimoine et Environnement“ zu Wort. Arlette Vidal-Naquet vertritt das „Comité Laënnec-Turgot“, Ysabel de Naurois Turgot ist Repräsentantin für die „Société des Amis de Turgot et Armand de La Rochefoucauld“. Die Letztgenannten bestehen besonders darauf, dass die Gräber von „berühmten Personen der französischen Geschichte“ in der Kapelle restauriert werden: es handelt sich um die Grabstätten von Kardinal de La Rochefoucauld, von Jean-Pierre Camus, Bischof von Belley (1584–1652), und von vier Generationen der Familie Turgot.
Béatrice de Andia wirft den Behörden mangelnde Sorgfalt bei der Prüfung vor, vornehmlich in Bezug auf den Verkauf an die Allianz Gruppe und wegen der an die Gebäude geknüpften Auflagen. Sie setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um geltendem Recht Gehör zu verschaffen, insbesondere erinnert sie dabei an ein Gesetz von 1905, das „Zweckbestimmungen eines Gebäudes unabhängig vom jeweiligen Eigentümer als unkündbar und unveräußerlich“ festlegt. Die Kapelle bleibt also ein sakraler Ort. In einem Brief seitens des Erzbischofs von Paris, Kardinal André XXIII., wurde dies bestätigt. Ohne eine Zustimmung der Nachfahren der hier Bestatteten ist eine Umwidmung nicht möglich.
Die juristische Auseinandersetzung ist in vollem Gange. Eine entsprechende Petition auf der Webseite des Comité Laënnec-Turgot wird jetzt schon mit fast 10.000 Unterschriften unterstützt. Bürgerforen sind zunehmend gut besucht. Eine neue Anhörung mit der Bürgermeisterin des 7. Arrondissements, Rachida Dati, und allen vom Beschluss betroffenen Parteien ist für Ende April anberaumt.
Weshalb bezieht sich derartig energischer Widerstand fast ausschließlich auf die Zukunft der Kapelle, und warum interveniert so gut wie niemand – und wenn, dann nur schwach – gegen das Luxusprojekt „Paris 7 Rive Gauche“, gegen ein künftiges Nutzungsprogramm, aus dem sich unschwer eine „geschützte“ Enklave ablesen lässt, die dem Rest der Stadt den Rücken zukehrt? Um die Befindlichkeiten in diesem obskuren Kleinkrieg Rabelais’scher Manier zwischen der finanziellen Schlagkraft der Investoren und den religiös-moralischen Interessen von Nachkommen historischer Persönlichkeiten besser einordnen zu können, erweist sich ein kurzer Rundgang durch den Pariser Bezirk als hilfreich.
Wie ein aufgespannter Fächer liegt das 7. Arrondissement im Herzen der Stadt. Am Seine-Ufer im Norden halten die Assemblée Nationale und eine ganze Reihe von Ministerien die Stellung. Die beiden Schenkel des Dreiecks treffen sich im Süden an einer, nicht nur für die französische Monopoly-Ausgabe magischen Adresse: der Avenue de Breteuil, sehr exklusiv, sehr teuer. Entlang der Avenue des Suffren im Westen reihen sich das Marsfeld mit dem Eiffelturm, der Sitz der UNESCO und die École Militaire. In der Mittelachse schimmert die goldene, prunkvolle Kuppel des Invalidendoms, dahinter die Esplanade, das Musée Rodin. Die Grenze nach Osten bilden die Rue des Saints Pères und die Rue de Sèvres. Hier finden sich berühmte Stadtpalais, prachtvolle Boulevards und in der Verlängerung des künftigen „Paris 7 Rive Gauche“ die beiden Art-déco-Luxuskaufhäuser des Bon Marché, aufwendig grundsaniert durch den Milliardär Bernard Arnault.
Es ist ohne Frage das Goldene Dreieck von Paris, das sich hier ausfächert, gerade das 6. Arrondissement ist durchaus nicht zu verachten. Auch ist das 7. Arrondissement neben den vielen Kirchen und Kapellen seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten durch die starke Präsenz von privaten Oberschulen geprägt. Die Geschichtsträchtigkeit, das Ambiente und nicht zuletzt die exorbitanten Quadratmeterpreise bieten eine recht gute Erklärung, warum man sich hier mehr für den Wert des Sakralen als für den Gegenwert des Geldes engagiert – von Letzterem haben alle genug.
Aus dem Französischen von Agnes Kloocke
Keine Ortsbegehung
Während meines Besuchs der Rue de Sèvres Ende März waren auch Armand de La Rochefoucauld Duc de Doudeauville und seine Frau aus der Normandie zugegen. Sie zeigten mir das schon vor geraumer Zeit von der Stadt Paris aufgestellte Schild, das die Krankenhaus-Kapelle als geschütztes Monument vorstellt. Sie sind erbost über die Investoren, die zum geplanten, von der Straße abgeschirmten Luxusquartier die Kapelle gleich mitgekauft haben. Angeblich sollen die im Boden der Kapelle eingelassenen Grabdenkmäler ihrer Vorfahren und anderer Familien bereits ramponiert und mit Beton übergossen worden sein. Nun kämpfen der Herzog und andere Nachkommen um den Zugang in die Kapelle, damit sich sich ein genaues Bild machen können. Doch der Investor blockt ab. Er hat in seinem Exposé die Kapelle als Veranstaltungsort für die neuen Eigentümer mit im Angebot. Von Rochefoucauld ist zu hören, dass die Kapelle noch gar nicht entweiht wurde und dies ohne die Zustimmung der Nachkommen der dort Bestatteten auch unzulässig ist. Le Corbusier hatte nur wenige Schritte entfernt im Jesuitenkloster sein Atelier. Die Jesuiten verkauften schon Ende der sechziger Jahre zu einem sehr guten Preis ihre Häuser. Das Atelier wurde abgerissen. SR
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