Bauwelt

Wohnhaus


Maison L


Text: Pousse, Jean-François, Paris


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    Foto: George Dupin

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Unweit von Paris haben christian pottgiesser architecturepossibles einen unkonventionellen Wohnbau errichtet, der eine denkmalgeschützte ehemalige Orangerie ergänzt und entlastet. Eine kleine Turmsiedlung integriert die Landschaft und das sensible bauliche Umfeld.
Die Entstehungsgeschichte des Hauses ist das Ergebnis eines langen Reifungsprozesses. Im Jahr 2004 kontaktierten die Bauherren den Architekten Christian Pottgiesser, auf den sie in einem Zeitungsbericht gestoßen waren. Wie viele private Auftraggeber brachten auch sie genaue Vorstellungen mit: Für die sechsköpfige Familie planten sie eine Erweiterung des bestehenden Wohngebäudes, der Orangerie eines Schlosses aus dem 18. Jahrhundert. Gedacht war zunächst an eine eher hohe Ergänzung, die von einer Person bewohnt werden und an der westlichen Kante der Parzelle die Einsicht vom Nachbargrundstück verhindern sollte.
Sechs Jahre und zig Entwürfe, Detailstudien und Abänderungen später sieht alles anders aus. In ausgedehnten Diskussionen zwischen Bauherren und Architekt hat sich das Bauprogramm für den im vergangenen Sommer fertiggestellten Neubau herauskristallisiert, wobei nicht zuletzt auch den örtlichen Auflagen Rechnung getragen werden musste: Zu drei Seiten war Rücksicht auf historische Baudenkmäler zu nehmen, dazu kam die Vorschrift eines Satteldachs, außerdem musste ein Abwassersystem, das den Garten in zwei Hälften teilt, erhalten bleiben. Aus den ständig revidierten Vorentwürfen, Plänen und neu entwickelten Begehrlichkeiten mendelte sich schließlich der Wunsch nach gemeinschaftlich nutzba­ren Flächen für die gesamte Familie heraus. Dazu sollte jedes einzelne Familienmitglied einen eigenen privaten Raum erhalten. Schließlich stand der – in Programm und Ausführung ebenso einleuchtende wie überraschende – endgültige Entwurf: Auf einem voluminösen Gebäudesockel für die gemeinschaftliche Nutzung setzen fünf kleine Wohntürme wie Totempfähle auf. Jedes der Kinder erhält einen eigenen, der fünfte wird von den beiden Erwachsenen genutzt. Das an die westliche Giebelseite des Altbaus angebundene Erdgeschoss erinnert an eine Amöbe, der Architekt selbst spricht ein wenig scherzhaft von einer „mollusken Form“. Wie ein Fluss, der um eine Felsklippe herum fließt, „umspült“ das Sockelgeschoss auf fast 47 Meter Länge und im Schnitt etwa 15 Meter Breite die Basis von drei Turmbauten; die beiden anderen Wohntürme stehen zwar ein wenig abgerückt, werden aber auch von hier erschlossen. Und die Satteldachpflicht? Gilt nur für Dachflächen über 25 Quadratmeter.
Für die Außenansicht des Ensembles gibt es keine wirklichen Vorbilder, auch wenn Anklänge an italienische Orte wie Lucca oder San Gimignano aufscheinen. Der Gebäudesockel ist wie eine natürliche Felsformation ausgearbeitet und überspielt damit den Übergang zum alten Gebäudebestand. Eine portugiesische Baufirma führte die in sogenannter Cadaques-Technik ohne Mörtel geschichteten Natursteinmauern mit bewundernswertem handwerklichem Geschick aus, dazu wurden flächige, deckenhohe Fenster mit rostfarbenen Stahlrahmen eingepasst. Das als fünfte Fassade ausgearbeitete Dach ist über kleine Rampen an der Westseite betretbar und mit winterharten Sorten bepflanzt. Anstelle eines Geländers dienen Bambusstämme, die man dicht an dicht in jene Deckschicht aus ockerfarbenem Erdreich verankerte, aus der die „Folies“ der Wohntürme aufragen.
Die Turmmauern selbst nötigen schlichtweg Bewunderung ab: Der roh belassene, in minutiösen Tests entwickelte Beton aus weißem Zement mit hellgrauem Beischlag wurde in einer Schalung aus genagelten Tannenbrettern gegossen; die Fugenabdrücke der unterschiedlich breiten Schalbretter (7,5/12,5/15/17,5/20/22,5 cm) blieben erkennbar und verstärken den Eindruck eines fast natürlichen Materials. Auch hier war die bereits erwähnte Baufirma für die Umsetzung verantwortlich. Anhand der Innenräume wird dieser hochwertige Eindruck noch erheblich verstärkt, am besten tritt man dafür durch die verglaste Tür, die in den Giebel des Altbaus eingeschnitten wurde. Vor einem liegt ein „freier“ Raum, der sich erst nach und nach erschließt.
Selbst wenn das Auge den Fluchtpunkt rasch ausmacht, benötigt man mehrere Minuten, um die ungewohnte Dynamik zu dekodieren, die einen physisch erfasst. Die Abstände zwischen Boden und den leicht in die Schräge gekippten Betondecken sind ganz unterschiedlich, je nach Standpunkt beträgt die Raumhöhe zwischen 2,18 und 4,5 Meter. Der implizite Sog wird durch die geschwungenen Wände noch verstärkt. Ihr roher, kaum nachbearbeiteter Beton ist abschnittsweise farbig gestrichen: grau oder goldfarben, karminrot, hellrosa, weiß. Auch wenn sie nur knapp fünf Prozent der vertikalen Flächen ausmachen, erscheinen diese Zwischenwände allgegenwärtig.
Die (Kinder-)Türme mit jeweils 38 Quadratmeter Nutzfläche haben keine Türen, nur einen Eingang, in den die begehbare Ankleide und die Treppe integriert sind. Dagegen ist der Zugang zum Wohnturm der Eltern (63 Quadratmeter) anders markiert, hier führt eine Art Beton-Podium mit fünf Stufen zum Eingang hinauf. Kleine Fenster bieten auf den an der Außenmauer entlang laufenden Treppen und in den Bädern besondere Ausblicke. Sie sind in die glatten Außenfassaden ein­geschnitten, nicht mehr als eine einfache Aneinanderreihung von Öffnungen. Im Wohnraum selbst öffnet sich ein großes Panoramafenster zu einem weiten Blick über die Landschaft. Allgegenwärtig ist die Mischung aus Schlichtheit und Raffinement – davon zeugen die Materialien ebenso wie die am Maßstab des menschlichen Körpers orientierten räumlichen Dimensionen, die lichte Atmosphäre und die ungewöhnliche Sorgfalt, mit der die Übergänge entwickelt wurden. Besonders frappant wirken sie im Erdgeschoss, dessen sparsame Möblierung mit großen Einzelstücken die durchlässige Weitläufigkeit des Raums betont. Dieses Prinzip setzt sich im Garten fort, in den Pfade aus länglichen, aschefarbenen Betonplatten hineinführen.
Aus dem Französischen von Agnes Kloocke



Fakten
Architekten christian pottgiesser architecturepossibles, Paris
aus Bauwelt 13.2011
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