Wohnsiedlung in Illzach
Preiswerte Wohnungen hoher architektonischer Qualität bauen – ist das überhaupt noch möglich, ohne in Vorfertigung, Modulen, Typen oder großen Serien zu denken? Kuhn und Lehmann haben im elsässischen Illzach Sozialwohnungen geplant, die beweisen: Es geht.
Text: Baus, Ursula, Stuttgart
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Die gestaltprägenden Wintergärten verdanken sich dem Beharrungsvermögen der Architekten. Sie überzeugten den Bauherrn, dafür das Budget um 8000 Euro je Haus aufzustocken.
Foto: Achim Birnbaum
Die gestaltprägenden Wintergärten verdanken sich dem Beharrungsvermögen der Architekten. Sie überzeugten den Bauherrn, dafür das Budget um 8000 Euro je Haus aufzustocken.
Foto: Achim Birnbaum
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Ein Regenrückhaltebecken, verborgen in dem südlich der fünf Doppelhäuser gelegenen Hügel, ...
Foto: Achim Birnbaum
Ein Regenrückhaltebecken, verborgen in dem südlich der fünf Doppelhäuser gelegenen Hügel, ...
Foto: Achim Birnbaum
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... ließ wenig Spielraum für die Bebauung des Grundstücks.
Foto: Achim Birnbaum
... ließ wenig Spielraum für die Bebauung des Grundstücks.
Foto: Achim Birnbaum
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Die Stadt überließ es deshalb einer Wohnungsbaugesellschaft in Erbpacht.
Foto: Achim Birnbaum
Die Stadt überließ es deshalb einer Wohnungsbaugesellschaft in Erbpacht.
Foto: Achim Birnbaum
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Die Nachbarschaft in der neuen Wohnanlage scheint, ein Jahr nach Einzug, zu funktionieren.
Foto: Achim Birnbaum
Die Nachbarschaft in der neuen Wohnanlage scheint, ein Jahr nach Einzug, zu funktionieren.
Foto: Achim Birnbaum
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So hat man sich inzwischen etwa auf ein gemeinsames Bepflanzungskonzept für die Gärten geeinigt.
Foto: Achim Birnbaum
So hat man sich inzwischen etwa auf ein gemeinsames Bepflanzungskonzept für die Gärten geeinigt.
Foto: Achim Birnbaum
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95 Quadratmeter messen die größeren, 70 Quadratmeter die kleineren Wohnungen.
Foto: Achim Birnbaum
95 Quadratmeter messen die größeren, 70 Quadratmeter die kleineren Wohnungen.
Foto: Achim Birnbaum
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Die Wendeltreppe zum Obergeschoss ist ein industrielles Standardprodukt aus Stahlblech.
Foto: Achim Birnbaum
Die Wendeltreppe zum Obergeschoss ist ein industrielles Standardprodukt aus Stahlblech.
Foto: Achim Birnbaum
Was sieht billig aus? Was einfach? Wenn sozialer Wohnungsbau stigmatisiert wird, liegt es selten an seiner fehlenden Architekturqualität. Schließlich bestätigt jedes Einfamilienhaus-Gebiet: Vermögende, private Bauherrschaften leisten sich – mit oder ohne Architekt – groteske Entgleisungen, die Wohlstand und Baukultur auseinandertreiben. Daneben fallen gerade in einer Wohnungsbautypologie, die strengen finanziellen und bürokratischen Auflagen unterliegt, bemerkenswerte Innovationen auf, in denen das gemeinschaftliche Miteinander eine prägende Rolle spielt. Gern wird ja beim sozialen Wohnungsbau auf Wien verwiesen, wo der soziale Wohnungsbau aber von einem klaren sozialpolitischen Willen begleitet war und wird, der andernorts nie existierte oder doch auf der Strecke blieb.
Nun also ein Blick nach Frankreich. Im elsässischen Illzach – einem Ort, der im Ballungsraum von Mulhouse seine Kontur verlor – entstanden 2016/17 zehn Sozialwohnungen. Vor Ort ist die 160 Jahre alte Wohnungsbaugesellschaft Somco ansässig, die älteste Gesellschaft in Frankreich für den Bau günstig zu mietender Wohnungen. Bereits 1853, als Reaktion auf den Aufstieg von Mulhouse zur Industriestadt, hatte die Somco in Mulhouse die Arbeitersiedlung Cité Manifeste gebaut. Um die Jahrtausendwende beauftragte das Unternehmen Architekten wie Lacaton & Vassal, Jean Nouvel und andere mit zeitgemäßem Sozialwohnungsbau in dieser Siedlung (Bauwelt 9.2005) – ausdrücklich, um auf aktuelle Gesellschaftsentwicklungen zu reagieren und neue Wohnungsmodelle zu konzipieren; hier wurden Architekten ermutigt, zweckgebunden einmal etwas anders zu machen als üblich. Die Stadt Illzach verfügte über ein innerörtliches Baugelände, das sich wegen eines Wasserrückhaltebeckens nicht für die gängige Vermarktung eignete. Illzach überließ der Somco das Gelände in Erbpacht, und die Wohnungsbaugesellschaft beauftragte die Freiburger Architekten Kuhn und Lehmann mit dem Bau von Drei- bis Vierzimmer-Wohnungen. Entstanden sind sieben große Wohnungen mit rund 95 und drei kleinere mit etwa 70 Quadratmetern Wohnfläche. Was auf den ersten Blick wie eine übliche Reihenhauskette wirkt, erweist sich als geschickte Kombination aus Reihen- und Doppelhaustypen, in denen die unterschiedlich großen Wohneinheiten miteinander verzahnt sind.
Die Doppelhaus-Einheiten sind jeweils von einem Hof erschlossen, der mit gartenseitig angebauten Schuppen gebildet und einem Kirschbäumchen bestückt ist. In den Erdgeschossen Küchen, Bäder, großer Raum, in den Obergeschossen weitere Zimmer; die Treppen sind übliche Industrievarianten aus Blech, die Innenwände sind verputzt, ein simpler Estrich vervollständigt das Ambiente, das sich die Bewohner auf recht unterschiedliche Weise angeeignet haben. Seit einem Jahr ist die Wohnanlage bezogen, und offenbar wächst langsam ein Gemeinschaftsgefühl. So einigte man sich auf ein gemeinsames Bepflanzungskonzept und kümmert sich um die Pflege der Häuser, drinnen wie draußen. Möglich wäre es auch, einzelne Wohneinheiten für Wohngemeinschaften zusammenzufassen.
Konstruktiv gingen die Architekten kaum Kompromisse ein. Hochlochziegelmauerwerk, Stahlbeton-Deckenplatten, Mineralwolle-Dämmung und eine beschichtete Wellblech-Hülle könnten im schlimmsten Fall recycelt werden, Kunststofffenster trüben die atmosphärische Stimmigkeit allerdings etwas. Ein Coup, der das Erscheinungsbild der Häuserreihe prägt, außerdem den Bewohnern je nach Jahreszeit eine zusätzliche Aufenthaltsfläche bietet, gelang Kuhn und Lehmann mit zweigeschossigen, unbeheizten Wintergärten, für die sie je etwa 8000 Euro zusätzlich zum Budget beim Bauherrn aushandelten. Es sind Holzkonstruktionen mit transluzenter Polycarbonatplatten-Hülle; pro Geschoss der Wohnungen öffnet je ein Fenster direkt nach außen und eines in den Wintergarten.
Not macht erfinderisch. Wenn bei einer Bauaufgabe wie dem sozialen Wohnungsbau auf Funktionalität und Angemessenheit geachtet werden muss, ist niemand gezwungen, auf ei-nen vermeintlich billigen Standard zurückzuweichen. Nichts spricht dagegen, Chancen des Unkonventionellen zu nutzen, mit dem auf gesellschaftliche Veränderung reagiert werden kann, auf die „der Markt“, genauer: gewinnoptimierende, risikoscheue Unternehmen selten eine Antwort suchen. Apropos Gewinn: Die Baukosten betrugen 1598 Euro pro Quadratmeter, die Nettomieten liegen bei 403 beziehungsweise 527 Euro.
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