Zwei T für ein K
Tour Total
Text: Paret, Lisa, Darmstadt
Ein Investor baut ein Bürohochhaus in einem Neubaugebiet, ein großer Konzern mietet es: Der Tour Total hatte die besten Voraussetzungen, eine belanglose Kapitalanlage zu werden. Doch Barkow Leibinger haben aus dem Turm ein Wahrzeichen am Berliner Hauptbahnhof gemacht – manchmal genügt eine raffinierte Fassade, um die Sache rauszureißen.
Einst wurden auf dem 40 Hektar großen Areal nördlich vom Berliner Hauptbahnhof Güter aus aller Welt verladen. Vor zehn Jahren verfrachtete man den Containerbahnhof dann selbst, an den Stadtrand. Mit ihm verschwanden Internationalität und Betriebsamkeit; zurück blieb ein kleines, trostloses Gewerbegebiet umgeben von alten Industrie- und Verwaltungsbauten und viel Brachland. Doch seit kurzem ist wieder Bewegung auf das Gelände gekommen: Der Tour Total, ein 68 Meter hoher, strahlend weißer Turm, ragt kraftvoll in den Himmel. Er ist Sitz der neuen Deutschlandzentrale des französischen Mineralölkonzerns Total und wurde von den Berliner Architekten Frank Barkow und Regine Leibinger entworfen.
Das Hochhaus ist der erste und bislang einsame Baustein der „Europacity“. Sie soll in den nächsten Jahren als neues Stadtquartier mit Büros, Einzelhandel, Wohnungen und Kulturcampus entlang der Heidestraße entstehen und den innerstädtischen Ort wieder aufleben lassen. Der Solitär liegt am wichtigsten Gelenk des neuen Viertels: an der Kreuzung von Heide- und Minna-Cauer-Straße, der Verlängerung der nördlichen Tiergartentunnel-Ausfahrt. Die Nordseite des Turms wird sich, wenn hier einmal alle Neubauten fertig sind, zu einem Quartiersplatz orientieren. Den westlichen Nachbarblock planen ebenfalls Barkow Leibinger. Zwischen beiden Gebäuden sehen sie eine Passage vor, die den vom Hauptbahn-
hof kommenden Passanten direkt auf den neuen Platz lenkt. Auf die verschiedenen Wegerichtungen der Umgebung reagierten die Architekten mit einer Verdrehung des Tour Total im Sockel, die sich im Hochhaus selbst als sanfter Knick in den Längsseiten des annähernd rechteckigen Grundrisses fortsetzt.
So ungewöhnlich die Kubatur des Turms ist, so wenig überraschen seine Grundrisse. Über dem zweigeschossigen Sockel liegen fünfzehn Büroetagen, den Abschluss bildet die Technikebene. Erschlossen wird der 18-Geschosser über einen Kern in der Mitte der Westfassade. Die stützenfreien Bürogeschosse sind herkömmlich organisiert: Um eine innenliegende Zone mit Fluchttreppenhaus und Nassräumen verläuft der offene Büroraum als Ring an den Fenstern entlang. Ihren Gestaltungsschwerpunkt haben Barkow Leibinger auf die Fassade gelegt.
Ein raffiniertes System aus rund 1300 dem Turm vorgehängten Betonfertigteilen bricht das strenge Grundraster des Tour Total, zeichnet einen fein geschwungenen Linienverlauf auf das Hochhaus und betont im Zusammenspiel mit den schlanken, geschosshohen Fenstern dessen Vertikalität. Je nach Wetter, Jahres- und Tageszeit variiert das Licht die Gestalt des Solitärs ganz erheblich: Während er vor grauem Himmel geradezu starr und schwer wirken kann, scheint bei wolkenlosem Blau sein luftiges Kleidchen so sehr im Wind zu flattern, dass man mitunter meint, der Turm würde ein wenig schief stehen.
Verantwortlich für die dynamische Anmutung des Tour Total ist ein diagonal über die vertikalen Fassadenelemente, die „Lisenen“, verlaufender Grat. Über vier Geschosse betrachtet, lässt sich dieser Grad als „K“ lesen, weshalb die Architekten von einem Ordnungsschema aus K-Modulen sprechen. Die wellenförmige Fassadenstruktur des Tour Total ergab sich, indem diese K-Module gegeneinander versetzt und gespiegelt wurden. Konstruiert (und das macht die Sache etwas kompliziert) ist die Fassade allerdings nicht aus diesen K-Modulen – die Struktur wurde in ein Fertigteilsystem aus T-förmigen Grundelementen übersetzt: die „T-Elemente“. Neben der vertikalen Lisene (mit dem diagonal verlaufenen Grat) bilden die T-Elemente auch das horizontale Fassadenband aus.
Jedes T-Element fasst zwei Geschosse in vertikaler und zwei Fenster in horizontaler Richtung. Um ein K-Modul auszubilden, braucht es also zwei T-Elemente. Mit vier verschiedenen T-Elementen, die sich einzig über die Lage des diagonalen Grats unterscheiden, ließ sich die von den Architekten entworfene Fassadenstruktur bauen. Das geometrische Spiel funktioniert folgendermaßen: Die vier unterschiedlichen T-Elemente liegen immer in gleicher Anordnung als „Paket“ nebeneinander. Um die gesamte Fassade zu „füllen“, müssen die Pakete im ersten Schritt jeweils um ein Element nach unten und zwei Elemente nach rechts versetzt angeordnet werden. Daraus entsteht eine Netzstruktur, die aber nur jedes zweite Lisenenfeld abdeckt. In einem zweiten Schritt muss dieses Netz deshalb dupliziert werden, diagonal um ein Fenster nach unten versetzt. Allein mit T-Elementen ließ sich die Fassade dann doch nicht konstruieren, für die Gebäudeecken und den Sockel kam eine ganze Reihe von Sonderteilen hinzu.
Im Foyer des Tour Total greift eine Wandskulptur aus weiß glasierten Keramikfliesen das wellenförmige Prinzip der Fassade auf. Wer das Haus bei grauem Himmel aufsucht, der bekommt hier die bewegte Variante vorgeführt.
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