110 vergebliche Jahre
Wettbewerbe sind ein volkswirtschaftliches Desaster. Ein Vorschlag zur Reform von Martin Haas und Amandus Sattler
Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin
110 vergebliche Jahre
Wettbewerbe sind ein volkswirtschaftliches Desaster. Ein Vorschlag zur Reform von Martin Haas und Amandus Sattler
Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin
Sommerpause oder ernstes Thema? Das Thema ist schon seit April 2014 auf der Agenda. Damals traten die neuen EU-Vergaberichtlinien in Kraft, die innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Betroffen sind auch Vergabeverfahren und Wettbewerbe für Architekten. Da ist es kein Wunder, dass sich gegenwärtig viele mit dem Thema beschäftigen. Erstaunlich ist eher, dass schon ein Jahr verstrichen ist, ohne dass viel passierte. Wir haben im Juli zum Stand der Wettbewerbsverfahren ein Heft gemacht (Bauwelt 26.2015). Der BDA widmete der Sache den 11. BDA-Tag in Berlin und erarbeitete eine „BDA-Position zur Novelle des Vergaberechts und der Vergabeverordnung“. Das Positionspapier gibt es auf der Website des BDA. Es ist (natürlich) EU-rechtskonform und stellt qualitätsorientierte Vergabe, Chancengleichheit, Angemessenheit, Transparenz, Fairness und Entbürokratisierung in den Mittelpunkt der Überlegungen. Es gibt aber neben rechtlichen Rahmenbedingungen noch weitere, entscheidende Argumente, das Wettbewerbswesen endlich zu überarbeiten.
Denn offene Wettbewerbe haben inzwischen Seltenheitswert. Findet doch einmal einer statt, folgt in der Regel ein volkswirtschaftliches Desaster. Am Wettbewerb für das Dessauer Bauhaus Museum nahmen 831 Architekten teil, beim Wettbewerb für die Guggenheim-Filiale in Helsinki reichten 1715 Architekten Entwürfe ein. Zusammen 2546 Entwürfe für zwei Projekte, von denen eines vielleicht gar nicht gebaut werden wird, die Finanzierung in Helsinki ist ungewiss.
2015 hat das Kalenderjahr in Deutschland durchschnittlich 228 Arbeitstage, bei einem Jahresurlaub von 25 Tagen. Wenn an jedem der Entwürfe in den Architekturbüros auch nur zehn Tage gearbeitet wurde, dann entspricht dies einer Arbeitsleistung von mehr als 25.000 Arbeitstagen oder knapp 110 Arbeitsjahren. Unbezahlt für alle, bis auf wenige, die Preise und Anerkennungen erhalten oder gar bauen dürfen. Nur Architekten lassen sich dies gefallen, Grafiker, Designer oder Schuhmacher kämen nie auf solche Gedanken der Selbstausbeutung. Die anderen Kammer-Berufskollegen, Ärzte, Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater, erst recht nicht.
Auch deswegen, und nicht nur wegen der EU-Vorgabe, ist eine selbstbewusste Reform im Sinne der Architekten dringend erforderlich. Martin Haas, haascookzemmrich STUDIO2050, Stuttgart, und Amandus Sattler, Allmann Sattler Wappner, München, in Wettbewerben sonst Konkurrenten, haben sich zusammengesetzt und einen Vorschlag an die Präsidien der Bundesarchitektenkammer, der Architektenkammer Baden-Württemberg und des Bundesverbandes des BDA geschickt. Der Vorschlag ist kurz, leicht zu verstehen und vermeintlich praktikabel. Vielleicht erfüllte er noch nicht alle EU-Vorgaben, aber auf jeden Fall ist er konkret. Um ihn breiter zu diskutieren, drucken wir ihn hier ab.
Betreff: Reform Wettbewerbswesen
Sehr geehrte Damen und Herren,
Der Wettbewerb unter Architekten, der Wettstreit, Ideen zu entwickeln, ist für die Entwicklung unserer Baukultur von entscheidender Bedeutung.
In den letzten Jahren erleben wir allerdings eine wachsende Unzufriedenheit bei der Durchführung dieser Verfahren. Es gibt Entwicklungen, die Fairness und eine Chancengleichheit gefährden:
Die Vorauswahl der Teilnehmer ist fragwürdig, kompliziert und schränkt die Möglichkeiten junger Büros ein. Bei vielen Verfahren führt die hohe Teilnehmerzahl dazu, dass der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Risiko einer Teilnahme stehen. Eine Auftragsvergabe ist auch nach Wettbewerbsgewinn nicht sichergestellt. Hohe Ansprüche an besondere Themen, wie z.B. an Nachhaltigkeit und Konstruktion erfordern eine frühzeitige Einbindung von Fachingenieuren. Diese werden allerdings bei der Auftragsvergabe im Anschluss sehr oft übergangen. Die Bereitschaft zur Mitarbeit bei Wettbewerben schwindet bei vielen Ingenieurbüros.
Gerade bei öffentlichen Verfahren sind Preisgerichte oft über Jahre gleich besetzt. Die Preisgerichte sollten öfter wechseln, um eine Berechenbarkeit von Lösungen zu vermeiden und mehr Mut und Freiräume zulassen.
Daher empfehlen wir eine grundlegende Reform des Wettbewerbswesen auf Basis folgender Überlegungen:
Beschränkung der Teilnehmer
Je nach Projektgröße maximal 5 bis 10 Teilnehmer, um einem Preisgericht genügend Zeit der Beschäftigung mit den Arbeiten zu geben und das Risiko der Teilnehmer einzugrenzen.
Davon können ein Drittel der Teilnehmer vom Auslober gesetzt werden.
Die anderen werden aus den Bewerbern gelost, welche ihr Interesse bekundet haben (ohne weitere Qualifikationsnachweise).
Die anderen werden aus den Bewerbern gelost, welche ihr Interesse bekundet haben (ohne weitere Qualifikationsnachweise).
Vergütung der Leistungen
Vergütung der Leistung in Höhe des Honorars für den Vorentwurf auf die Teilnehmer aufgeteilt. Keine Preisgelder.
Das Bearbeitungshonorar kann bei Beauftragung angerechnet werden, wenn sich die Vorentwurfsplanung nicht grundlegend vom Wettbewerbsergebnis unterscheidet.
Auftragsvergabe
An den Preisträger des 1. Preises.
Preisgerichte
Die Preisrichter müssen öfter rotieren. Auch junge Büros sollten eingeladen werden Preisrichter zu werden, um mehr Mut und weniger Berechenbarkeit in den Verfahren zu bekommen.
Generell muss eine eindeutige Regel mögliche Auftragsübernahmen der Preisrichter und der Vorprüfer im Anschluss oder in Folgeverfahren ausgeschlossen werden.
Fachplaner
Bei geforderten Wettbewerbsleistungen, die nur durch Fachplaner zu erbringen sind, muss das gesamte Planungsteam als Preisträger mit der Aufgabe beauftragt werden. Im Wettbewerb eingeschaltete Fachplaner müssen verpflichtend im Anschluss an einen Wettbewerbsgewinn zur Angebotsabgabe aufgefordert werden.
Wir würden uns freuen, wenn Sie diese Vorschläge mit Ihren Gremien unterstützen, und stehen für einen weiteren Austausch gerne zur Verfügung.
Martin Haas Amandus Sattler Stuttgart 7.7.2015
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