30 Jahre DAM
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
30 Jahre DAM
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Über 330 Ausstellungen hat das Haus in den 30 Jahren seines Bestehens eröffnet. Das Museum hat Klotz’ Ziel erreicht: Es befeuerte den architektonischen und städtebaulichen Diskurs, wurde selbst aber auch Gegenstand der Diskussion.
Sex sells – auch in der Architektur. Die Playboy-Ausstellung, die das Deutsche Architekturmuseum Anfang dieses Jahres zeigte (Bauwelt 9), war mit die erfolgreichste Ausstellung der Institution in den vergangenen zehn Jahren. Erfolgreiche Architekten zwischen nackten Frauenkörpern – dies zog mehr Besucher an als die wissenschaftlich akribisch erarbeitete Schau „Interferenzen“, die den schwierigen deutsch-französischen Architekturdialog in den vergangenen 200 Jahren dokumentierte. Spektakel also statt Seriosität? Billige Effekte statt fachlichem Ernst? Quantität statt Qualität? Die Geschichte des Hauses, dessen Eröffnung sich am 1. Juni zum 30. Male jährt, ist ein stetes Pendeln zwischen beiden Extremen. Schon die erste Ausstellung „Revision der Moderne“, mit der das erste rein der Architektur gewidmete Museum ans Licht der Öffentlichkeit trat, provozierte reichlich Kritik: zu bunt, zu laut, zu modisch, riefen die Rezensenten. „Profaner Calvinismus“, Sinnesfeindlichkeit und Eiferertum schallte es von Gründungsdirektor Heinrich Klotz (1935–99) zurück.
Schon als der Frankfurter Magistrat 1979 verkündete, ein Architekturmuseum unter der Leitung des Kunsthistorikers Klotz einrichten zu wollen, erntete er Tadel. Klotz erläuterte unter der Überschrift „Ein Umschlagplatz für Bauideen“ in der FAZ sein Programm: Das Architekturmuseum solle „die Rolle der Architektur als entscheidendes Mittel der Umweltgestaltung einer fragmentarisch informierten Öffentlichkeit vor Augen führen“. Museum sei freilich nur ein „Hilfsbegriff“, ein Forum der Diskussion solle das Haus sein. Und Klotz wusste, dass das nur gelingen konnte, wenn er möglichst prägnante Ausstellungen und kontroverse Thesen mit Show verknüpfte. Sammeln sollte das Museum übrigens auch: Zeichnungen, Modelle, Skizzen – „jenen Teil des Bauens, der mit dem Bau nicht überliefert wird“. Die Stadt stellte Personal, Gebäude, Ausstellungs- und Ankaufsetat. Letzterer betrug jährlich 250.000 DM, wobei Klotz durch seine glänzenden Kontakte zur internationalen Architekturszene viele Dokumente kostenlos oder für wenig Geld erwarb. Er gewann viele Sponsoren, aber wenn das Geld einmal nicht reichte, halfen Kulturdezernent Hilmar Hoffmann oder Oberbürgermeister Walter Wallmann aus.
All dies änderte sich 1990: Wallmann war längst hessischer Ministerpräsident, Hoffman trat als Dezernent ab, und Klotz wurde Gründungsdirektor des Karlsruher ZKM. Vittorio Magnago Lampugnani, sein Nachfolger, widmete sich mit deutlich niedrigerem Etat der Architekturhistoriographie. Was das Publikum, das nun auf Weisung der Stadt Eintritt zahlen musste, gar nicht goutierte. Zählte die „Revision der Moderne“ 80.000 Besucher, so kamen unter der Leitung des kühlen, bisweilen überkorrekten Römers gerade 40.000 Besucher – im Jahr. Lampugnani hatte aufgrund seines kulturellen Hintergrundes eine distanzierte Haltung zur klassischen Moderne, er fokussierte sich auf die Moderaten und Reformer. Als er dann im Berliner Architekturstreit für die Konservativen Partei nahm, kam es zum offenen Konflikt. Manche witterten zwischen Frankfurt und Berlin eine Achse des Bösen, und Lampugnani wurde zum Ideologen eines steinernen „Neuteutonia“.
Selbst Nachfolger Wilfried Wang, der die Leitung 1995 übernahm, wurde üblen Verdächtigungen ausgesetzt, obwohl er erklärte, das DAM würde sich nicht zum Richter über einen bestimmten Architekturstil aufschwingen. In jenen Jahren, in denen die EWG sich zur EU wandelte, begann Wang die Architektur des 20. Jahrhunderts der einzelnen EU-Staaten zu präsentieren. Die Kataloge sind bis heute Standardwerke. Wang sammelte eine Menge – meist ausländische – Drittmittel ein, indes, die Ausstellungen blieben Orchideen: geschätzt von Spezialisten, während Laien wenig Zugang fanden. Er versuchte den Geburtsfehler des DAM, nationalen Anspruch zu haben, aber von den Wirren der Kommunalpolitik abhängig zu sein, zu korrigieren und das Haus in eine Stiftung zu überführen. Doch die Idee stieß weder bei der Stadt, noch beim Land, noch beim Bund auf Gegenliebe. Hinterbänkler im Rathaus forderten gar die Schließung des Hauses. Wang gab im Jahre 2000 auf, entnervt von der Frankfurter Kulturbürokratie.
Mit Ingeborg Flagge kam das DAM in ruhigere Gewässer. Ihr Motto lautete „Zum Verstehen verführen“. Sie engagierte sich mit Erfolg, neue Schichten für das Haus zu interessieren. Sie verstärkte die Kinder- und Jugendarbeit, gab Volkshochschulkurse im Museum, öffnete auch wieder die Dauerausstellung „Von der Urhütte zum Wolkenkratzer“. Flagges Ausstellung über den „Sonntags-Architekten“ Hundertwasser zog allerdings weniger Besucher an als erwartet – im Gegensatz zur Schau über den Wettbewerb für die Europäische Zentralbank, zu der das Publikum bei freiem Eintritt geradezu strömte. Kurator dieser Schau war Peter Cachola Schmal, der 2006 Flagges Nachfolger wurde. Schmal, eher Macher denn Wissenschaftler, führte Flagges inhaltlichen Ansatz fort und erhöhte nochmals die Schlagzahl: Bis zu 20 Ausstellungen im Jahr (unter Lampugnani waren es höchstens fünf), eine Unzahl von Veranstaltungen wie Pecha-Kucha-Night oder die Reihe „stadt+“ sollen nochmals ein anderes, bisher nicht architekturaffines Publikum ansprechen. Für wissenschaftliche Substanz sorgt Stellvertreter Wolfgang Voigt, der aus Altersgründen im Herbst nächsten Jahres ausscheiden wird.
Seit Flagge beträgt die Besucherzahl jährlich rund 80.000. Daran wird das Haus von Politik und Presse gemessen. Die Konkurrenz unter den Frankfurter Museen ist groß. Von seinem Ausstellungsetat, der bei 1,3 bis 1,5 Millionen Euro liegt, muss Schmal bis zu 90 Prozent bei Sponsoren auftreiben. „Ein vernünftiges Programm mit bescheidenen Mitteln“, lautet deshalb die Losung: Publikumsgewinner finanzieren anspruchsvolle Projekte – wenn nötig auch mit nackter Haut.
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