Angriff auf Kenzo Tange
Text: Deipenbrock, Lisa, Berlin
Angriff auf Kenzo Tange
Text: Deipenbrock, Lisa, Berlin
http://www.bauwelt.de/cms/bauwerk.html?id=6121223&lang=de#.T5e9mfkSLngDie „internationale Stadt“ Kenzo Tanges, schützenswertes Erbe aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Erdbeben von 1963, wird mit einer zweifelhaften Interpretation der europäischen Stadt überschrieben.
Mazedonien war bis 1991 Teilrepublik Jugoslawiens, seit 2005 ist das Land Beitrittskandidat der Europäischen Union. Wegen eines Namensstreits mit dem Nachbarn Griechenland (dessen nördlichste Region ebenfalls Mazedonien heißt) ist Mazedonien in der EU nur unter dem Namen FYROM – Former Yugoslav Republic of Macedonia – anerkannt. Der ungeliebte Name erinnert stetig an die jüngere Geschichte, an die Zeit Titos und Miloševi´ cs, an die Umbrüche auf der Balkanhalbinsel und an die Kriege. Auch die in der Hauptstadt allgegenwärtige Architektur der Moderne zeugt von der kommunistischen Ära, von der sich die aktuelle Regierung allzu gerne befreien würde.
Tanges Masterplan
Das heutige Erscheinungsbild Skopjes basiert auf einer Katastrophe: 1963 zerstörte ein Erdbeben große Teile der Stadt. Mit Unterstützung der Vereinten Nationen wurde sie wieder aufgebaut und zu einem Symbol der internationalen Solidarität. Den dazu weltweit ausgeschriebenen städtebaulichen Wettbewerb gewann Kenzo Tange. Sein Masterplan sollte die Fehler der frühen Moderne vermeiden: Er respektierte die erhaltenen Stadtstrukturen und integrierte die neuen Gebäude in die Blockrandstruktur, Funktionen wurden überlagert und Nahversorgung angestrebt. Mit Kommunikations-, Bildungs- und Kulturachsen, innenstadtnahem Wohnen – in der „City-Wall“ aus achtgeschossigen, langgezogenen Wohnbauten – und mit einem Bahnhof auf neustem technischen Stand wurde begonnen, Skopje im zukunfts-optimistischen Geist der sechziger Jahre neu aufzubauen. Der Plan Tanges wurde jedoch nie vollständig umgesetzt. Seine Lücken wurden im Lauf der Zeit gefüllt, seine Funktionalität aber ist bis heute, z.B. bei der Straßenführung, eingeschränkt. Tange selbst distanzierte sich von der verfälschten Umsetzung – seine unverkennbaren Bauten prägen trotzdem bis heute das Stadtbild.
Skopje 2014 – Karikatur der europäischen Stadt
Nach Jahren des Stillstands ist nun die nationalistische Regierungspartei in einen Baurausch verfallen. Unter der Losung „Eine europäische Stadt braucht ein historisches Zentrum“ wird der Innenstadt seit 2010 ein neues Gesicht gegeben. Der junge Staat Mazedonien will durch den Rückgriff auf eine glorifizierte Vergangenheit die eigene Identität stärken: Die meisten Bauten des Programms „Skopje 2014“ beziehen sich formal auf das Serbische Königreich (1882–1918) oder auf die Zeit Alexander des Großen. Ohne Rücksicht auf bestehende Sichtachsen oder ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gebäuden und Freiräumen wird jede freie Stelle im Zentrum mit „historischen“ Versatzstücken – Gebäude und unzählige Statuen – bebaut. Der einst wohlproportionierte, weite Hauptplatz wird seit 2011 von einer 22 Meter hohen Statue Alexander des Großen besetzt. Auf der Achse, die von Süden auf den Platz zu führt, wird eine orthodoxe Kirche in Übergröße rekonstruiert, kurz hinter einem bereits fertiggestellten Triumphbogen. An der nördlichen Platzkante entstehen, neben zwei Hotels, die Neuinterpretation eines ehemaligen Offiziersgebäudes und ein funktionsloser runder Pavillon. Zwei neue Reiterstandbilder markieren den Zugang zur alten Brücke, die auf das nördliche Ufer des Flusses Vardar führt, wo das Opernhaus liegt. Der eindrucksvolle Blick vom Hauptplatz auf die weiße Oper, der Bau eines slowenischen Büros aus dem Jahr 1968, wird künftig verstellt durch eine Wand aus historisierenden Gebäuden: u.a. ein neues altes Theater, ein Museum des mazedonischen Freiheitskampfs, ein neuer Oberster Gerichtshof und ein neues Außenministerium. Nördlich der Oper ist eine Statue Philipp II. im Bau, die die seines Sohnes Alexander noch überragen soll.
Applaus der Masse, Protest der Architekten
Skopje 2014 ist alles andere als funktional – die Nutzungen werden zum Teil aus bestehenden Gebäuden abgezogen oder hätten anderswo integriert werden können. Zudem sind die Planungen nicht transparent. Die einzige Ankündigung erfolgte über ein Video auf YouTube (!), das Renderings der geplanten Bauten zeigte. Pläne, Daten oder Baukosten sind nicht veröffentlicht. Die Kostenschätzungen reichen bis zu 400 Millionen Euro; Geld, das die Stadt andernorts dringend benötigt. Die modernen Strukturen – in ihrer lokalen Ausprägung ein einzigartiges architektonisches Erbe – sind in keinem guten Zustand, die Verkehrsführung und der öffentliche Nahverkehr müssten verbessert werden und viele Wohngebäude sind sanierungsbedürftig. Aufgrund der geschickten Kampagne der Regierung unterstützt die Bevölkerung die historisierende Kosmetik trotzdem. Ihr wird eine europäische Stadt versprochen und Hoffnung gemacht auf einen Anstieg des Tourismus und auf neue Arbeitsplätze. Im populistischen architektonischen Mix der Jahrhunderte findet zudem fast jeder zumindest ein Gebäude nach seinem Geschmack, so kann man sich mit den Veränderungen arrangieren. Entsprechend schwer hat es der Protest der Architekten und Stadtplaner. Bereits 2008, schon vor Bekanntgabe des Projektes, hatte sich eine Gruppe junger Architekten zur „first Archibrigade“ zusammengeschlossen, um gegen den Bau der orthodoxen Kirche am Hauptplatz zu protestierten. Sie wurden als Ungläubige beschimpft, ihre fachlichen Argumente blieben ungehört. Jetzt, nachdem die meisten Aufträge vergeben sind, ist auch das architektonische Establishment in die Kritik eingestiegen. In einem offenen Brief fordert die mazedonische Architektenvereinigung die Stadt auf, die Pläne vorzulegen.
Mazedonische Version:
http://www.bauwelt.de/cms/bauwerk.html?id=6121223&lang=de#.T5e9mfkSLng
Tanges Masterplan
Das heutige Erscheinungsbild Skopjes basiert auf einer Katastrophe: 1963 zerstörte ein Erdbeben große Teile der Stadt. Mit Unterstützung der Vereinten Nationen wurde sie wieder aufgebaut und zu einem Symbol der internationalen Solidarität. Den dazu weltweit ausgeschriebenen städtebaulichen Wettbewerb gewann Kenzo Tange. Sein Masterplan sollte die Fehler der frühen Moderne vermeiden: Er respektierte die erhaltenen Stadtstrukturen und integrierte die neuen Gebäude in die Blockrandstruktur, Funktionen wurden überlagert und Nahversorgung angestrebt. Mit Kommunikations-, Bildungs- und Kulturachsen, innenstadtnahem Wohnen – in der „City-Wall“ aus achtgeschossigen, langgezogenen Wohnbauten – und mit einem Bahnhof auf neustem technischen Stand wurde begonnen, Skopje im zukunfts-optimistischen Geist der sechziger Jahre neu aufzubauen. Der Plan Tanges wurde jedoch nie vollständig umgesetzt. Seine Lücken wurden im Lauf der Zeit gefüllt, seine Funktionalität aber ist bis heute, z.B. bei der Straßenführung, eingeschränkt. Tange selbst distanzierte sich von der verfälschten Umsetzung – seine unverkennbaren Bauten prägen trotzdem bis heute das Stadtbild.
Skopje 2014 – Karikatur der europäischen Stadt
Nach Jahren des Stillstands ist nun die nationalistische Regierungspartei in einen Baurausch verfallen. Unter der Losung „Eine europäische Stadt braucht ein historisches Zentrum“ wird der Innenstadt seit 2010 ein neues Gesicht gegeben. Der junge Staat Mazedonien will durch den Rückgriff auf eine glorifizierte Vergangenheit die eigene Identität stärken: Die meisten Bauten des Programms „Skopje 2014“ beziehen sich formal auf das Serbische Königreich (1882–1918) oder auf die Zeit Alexander des Großen. Ohne Rücksicht auf bestehende Sichtachsen oder ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gebäuden und Freiräumen wird jede freie Stelle im Zentrum mit „historischen“ Versatzstücken – Gebäude und unzählige Statuen – bebaut. Der einst wohlproportionierte, weite Hauptplatz wird seit 2011 von einer 22 Meter hohen Statue Alexander des Großen besetzt. Auf der Achse, die von Süden auf den Platz zu führt, wird eine orthodoxe Kirche in Übergröße rekonstruiert, kurz hinter einem bereits fertiggestellten Triumphbogen. An der nördlichen Platzkante entstehen, neben zwei Hotels, die Neuinterpretation eines ehemaligen Offiziersgebäudes und ein funktionsloser runder Pavillon. Zwei neue Reiterstandbilder markieren den Zugang zur alten Brücke, die auf das nördliche Ufer des Flusses Vardar führt, wo das Opernhaus liegt. Der eindrucksvolle Blick vom Hauptplatz auf die weiße Oper, der Bau eines slowenischen Büros aus dem Jahr 1968, wird künftig verstellt durch eine Wand aus historisierenden Gebäuden: u.a. ein neues altes Theater, ein Museum des mazedonischen Freiheitskampfs, ein neuer Oberster Gerichtshof und ein neues Außenministerium. Nördlich der Oper ist eine Statue Philipp II. im Bau, die die seines Sohnes Alexander noch überragen soll.
Applaus der Masse, Protest der Architekten
Skopje 2014 ist alles andere als funktional – die Nutzungen werden zum Teil aus bestehenden Gebäuden abgezogen oder hätten anderswo integriert werden können. Zudem sind die Planungen nicht transparent. Die einzige Ankündigung erfolgte über ein Video auf YouTube (!), das Renderings der geplanten Bauten zeigte. Pläne, Daten oder Baukosten sind nicht veröffentlicht. Die Kostenschätzungen reichen bis zu 400 Millionen Euro; Geld, das die Stadt andernorts dringend benötigt. Die modernen Strukturen – in ihrer lokalen Ausprägung ein einzigartiges architektonisches Erbe – sind in keinem guten Zustand, die Verkehrsführung und der öffentliche Nahverkehr müssten verbessert werden und viele Wohngebäude sind sanierungsbedürftig. Aufgrund der geschickten Kampagne der Regierung unterstützt die Bevölkerung die historisierende Kosmetik trotzdem. Ihr wird eine europäische Stadt versprochen und Hoffnung gemacht auf einen Anstieg des Tourismus und auf neue Arbeitsplätze. Im populistischen architektonischen Mix der Jahrhunderte findet zudem fast jeder zumindest ein Gebäude nach seinem Geschmack, so kann man sich mit den Veränderungen arrangieren. Entsprechend schwer hat es der Protest der Architekten und Stadtplaner. Bereits 2008, schon vor Bekanntgabe des Projektes, hatte sich eine Gruppe junger Architekten zur „first Archibrigade“ zusammengeschlossen, um gegen den Bau der orthodoxen Kirche am Hauptplatz zu protestierten. Sie wurden als Ungläubige beschimpft, ihre fachlichen Argumente blieben ungehört. Jetzt, nachdem die meisten Aufträge vergeben sind, ist auch das architektonische Establishment in die Kritik eingestiegen. In einem offenen Brief fordert die mazedonische Architektenvereinigung die Stadt auf, die Pläne vorzulegen.
Mazedonische Version:
http://www.bauwelt.de/cms/bauwerk.html?id=6121223&lang=de#.T5e9mfkSLng
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