Auf sicherem Weg
Für den Bau eines Krematoriums in Thun in der Schweiz wählte die Jury eine klassische Form, obwohl andere Projekte präziser auf den Ort zugeschnitten waren
Text: Herzog, Andres, Zürich
Auf sicherem Weg
Für den Bau eines Krematoriums in Thun in der Schweiz wählte die Jury eine klassische Form, obwohl andere Projekte präziser auf den Ort zugeschnitten waren
Text: Herzog, Andres, Zürich
Markus Schietsch, den kennt man doch. Der deutsche Architekt, der seit 2005 in Zürich ein Büro betreibt, machte vor zwei Jahren mit einem Gebäude Schlagzeilen: Der Elefantenpark im Zoo Zürich, der sich spektakulär über die Grauhäuter wölbt, brachte mit seiner organischen Form Statiker und Holzbauer ins Schwitzen (Bauwelt 29.2012). In Thun im Berner Oberland zeigt der Architekt nun aber: Ich kann auch anders. Sein Vorschlag für den Bau eines Krematoriums, den die Jury aus 138 Arbeiten zum Sieger kürte, folgt klassischen Regeln. Ruhig steht das flache Volumen in der Parkanlage, auf drei Seiten gefasst von einer Säulenkolonnade, und erinnert an einen Tempel. Nichts ist frei geformt, alles folgt einer klaren Ordnung, auch wenn die Säulen versetzt zueinander stehen. Alles gut also?
Krematorien verlangen nach einem Spagat. Einerseits sollen sie vertraut und geborgen wirken, will man die Trauernden doch nicht mit zu viel Formfreude brüskieren. Doch in einem nüchtern-funktionalen Bau möchte sich niemand von einem Angehörigen verabschieden. Gefragt ist also sakrales Fingerspitzengefühl. Wer auf Nummer sicher gehen will, greift darum wie Markus Schietsch auf bekanntes Vokabular zurück. Drei weitere der acht prämierten Projekte tun es ihm gleich, wenn auch weniger gekonnt. Das spanische Büro Barozzi/Veiga auf dem vierten Rang schlägt einen von Säulen gerahmten Baukörper vor. Doch die Architekten vertrauen der Idee des Tempels zu wenig und entwerfen im Inneren eine dunkle Gegenwelt, die überinszeniert wirkt.
Mit klassischen Elementen der Architektur arbeiten auch Felgendreher Olfs Köchling aus Berlin. Ihr hyperreduzierter Bau, den eine Arkade fasst und ein Tonnengewölbe überdacht, vermittelt gekonnt zwischen Bescheidenheit und Poesie. Leider unterlaufen den Verfassern funktionale Mängel, über die die Jury nicht hinwegsehen konnte. Die vielen Eingänge verwirren, und der direkte Zugang von außen zu den Aufbahrungskapellen stört den Betrieb. Das Resultat ist ein Ankauf.
Das Büro Bube aus Rotterdam konzentriert die Anlage ebenfalls in einem quadratischen Volumen, dessen Backsteinfassade aber nicht auf Tempel macht, sondern sich skulptural auffächert und auf diese Weise geschickt Funktionen wie den Kamin integriert. Allerdings weist der Grundriss Mängel auf, welche die Jury mit „labyrinthisch“ umschreibt, und die Ankunft neben Parkplatz und Werkhof fällt gar nüchtern aus.
Überhaupt verdeutlicht das Projekt ein Problem, das vielen herkömmlichen Lösungsansätzen gemein ist: Sie könnten irgendwo stehen. Stärker auf den Ort bezogen sind die Arbeiten, die bekannte Bilder meiden und etwas Neues wagen. Mauro Turin Architectes aus Lausanne werfen die Konventionen völlig über den Haufen. Sie bauen kein Gebäude, sondern eine Brücke, die eine künstliche Leerstelle überragt. Ein poetisches Symbol für die Verbindung zwischen Leben und Tod. Doch Aufwand und räumlicher Ertrag stimmen nicht überein, zumal das Konzept die betrieblichen Anforderungen „komplett ausblendet“, so die Jury, die das Projekt mit einem Ankauf würdigte.
Übers Ziel hinaus schießen auch Aviolat Chaperon Escobar Architectes aus Fribourg. Sie lassen das Krematorium – in Anlehnung an die Berge ringsum – als steinerne Skulptur aus dem Boden ragen. Das führt zu überraschenden Innenräumen, die schräg zum Zenitallicht hochragen. Die Anlage wirkt allerdings zu monumental. Sie erinnert eher an ein Mausoleum oder – wie die Jury meint – an einen Bunker denn an eine Aufbahrungshalle.
Gibt es also keinen goldenen Mittelweg? Doch. Zwei Teilnehmer arbeiten weder mit der Sicherheitsleine der Tradition noch mit tollkühnen Experimenten, sondern ganz nah dran an der Aufgabe und aus dem Kontext heraus. Ihr Ausgangspunkt ist die Friedhofsmauer. Das Architekten-Kollektiv aus Winterthur entwirft eine vier Meter hohe Sichtbacksteinwand, die den Übergang zum angrenzenden Wohnviertel markiert. Der Werkhof, der sich dazwischenschiebt, widerspricht diesem Gedanken jedoch.
Konsequenter ist der Beitrag von MSM-A und Rico Wasescha aus Zürich. Sie schlagen eine raumhaltige Friedhofsmauer vor, die auf der einen Seite in einer langen Säulenhalle die öffentlichen Funktionen aufnimmt. Auf der anderen sind alle dienenden Räume wie auf einer Perlenschnur aufgereiht und lassen sich beliebig vergrößern und etappieren. Jeder Teil des Krematoriums erhält ein eigenes kleines Dach und wirkt dadurch wie ein Haus, das mit dem Wohnquartier in Dialog tritt. Städtebau und Funktionalität greifen nahtlos ineinander. Zudem spart der Bau an der Grundstücksgrenze Land. Was will man mehr?
Auch die Jury lobt die Idee als „bestechend“ und die Anlage als „hochfunktionell“, spricht ihr aber nur den 5. Rang zu. Statt dieser feinfühligen und ortsspezifischen Lösung zu vertrauen, entschied sie sich für ein altbewährtes, aber letztlich generisches Bild: das des Tempels.
Offener, einstufiger Projektwettbewerb
1. Rang/1. Preis Markus Schietsch Architekten, Zürich, mit Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich
2. Rang/2. Preis Architekten-Kollektiv, Winterthur, mit Graber Allemann Landschaftsarchitektur, Pfäffikon
3. Rang/1. Ankauf Felgendreher Olfs Köchling, Berlin, mit 100 Landschaftsarchitektur, Berlin
4. Rang/3.Preis Barozzi/Veiga, Barcelona, mit Pascal Heyraud architecte paysagiste, Neuchâtel
5. Rang/4. Preis Arbeitsgemeinschaft MSM-A und Rico Wasescha, Zürich, mit Graf Landschaftsarchitektur, Uerikon
6. Rang/5. Preis Aviolat Chaperon Escobar Architectes, Fribourg, Marceline Hauri, Planetage, Zürich
7. Rang/6. Preis Bube, Rotterdam, mit Pola, Berlin
8. Rang/2. Ankauf Mauro Turin Architectes, Lausanne, mit Paysagestion, Lausanne
Fachjury
Marco Graber, Barbara Holzer, Simon Schöni, Marc Syfrig
1. Rang/1. Preis Markus Schietsch Architekten, Zürich, mit Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich
2. Rang/2. Preis Architekten-Kollektiv, Winterthur, mit Graber Allemann Landschaftsarchitektur, Pfäffikon
3. Rang/1. Ankauf Felgendreher Olfs Köchling, Berlin, mit 100 Landschaftsarchitektur, Berlin
4. Rang/3.Preis Barozzi/Veiga, Barcelona, mit Pascal Heyraud architecte paysagiste, Neuchâtel
5. Rang/4. Preis Arbeitsgemeinschaft MSM-A und Rico Wasescha, Zürich, mit Graf Landschaftsarchitektur, Uerikon
6. Rang/5. Preis Aviolat Chaperon Escobar Architectes, Fribourg, Marceline Hauri, Planetage, Zürich
7. Rang/6. Preis Bube, Rotterdam, mit Pola, Berlin
8. Rang/2. Ankauf Mauro Turin Architectes, Lausanne, mit Paysagestion, Lausanne
Fachjury
Marco Graber, Barbara Holzer, Simon Schöni, Marc Syfrig
0 Kommentare